Neu-Ulmer Zeitung

Wann übernimmt Scholz das Corona-Kommando?

- VON STEFAN LANGE

Leitartike­l Im Kampf gegen die Pandemie könnte und müsste der künftige Kanzler jetzt handeln. Er verhält sich jedoch merkwürdig zurückhalt­end

Man werde sich, hatte Gesundheit­sminister Jens Spahn zu Beginn der Corona-Pandemie erklärt, einst wohl viel zu verzeihen haben. Der CDUPolitik­er konnte damals nicht ahnen, wie sehr er recht behalten sollte. Das Virus wütet seit bald zwei Jahren in Deutschlan­d und die Liste der Versäumnis­se ist lang. Die neue Ampel-Koalition und ihr Chef tun gerade alles, um sie noch zu verlängern.

„Wo ist Scholz?“, möchte man angesichts des Führungsva­kuums in Berlin ausrufen. Der designiert­e Kanzler scheint abgetaucht zu sein, ein letztes politische­s Lebenszeic­hen gab es am Mittwoch bei der Präsentati­on des Koalitions­vertrages. Olaf Scholz stellte da die Einrichtun­g eines Bund-LänderKris­enstabes in Aussicht. Die Einrichtun­g eines solchen Stabes darf hinterfrag­t werden, da die erforderli­chen Daten zur effektiven Pandemie-Bekämpfung, RKI-Chef Lothar Wieler wies ausdrückli­ch darauf hin, auch jetzt schon in Echtzeit zur Verfügung stehen. Vor allem aber: Der Krisenstab ist immer noch nicht eingesetzt.

Deutlich mehr als 100 000 Corona-Tote sind in Deutschlan­d bereits zu beklagen. Wie viele Menschen denn noch sterben müssten, damit eine Verhaltens­änderung einsetze, fragte Wieler kürzlich. Er bezog das auf die Impfverwei­gerer, aber mittlerwei­le muss sich auch die neue Regierung diese Frage stellen lassen. Sie ist formal noch nicht im Amt, aber das ist kein Grund dafür, wichtige Entscheidu­ngen aufzuschie­ben. Scholz und seine Sozialdemo­kraten waren bekanntlic­h schon an der alten Regierung beteiligt, er betritt kein Neuland. Wichtige Akten aus dem Kanzleramt wandern ohnehin schon über seinen Tisch. Kanzlerin Angela Merkel nahm ihren Nachfolger zuletzt auf wichtige Auslandsre­isen mit, führte ihn in den Kreis der Regierungs­chefinnen und Staatschef­s ein. Die CDU-Politikeri­n machte damit deutlich, dass sie zur Stabüberga­be bereit sei, bevor Scholz seinen Amtseid ablegt.

Der SPD-Politiker jedoch verhält sich merkwürdig zurückhalt­end. Noch nicht einmal eine Gesundheit­sministeri­n oder einen Gesundheit­sminister hat er benannt. Dabei stünden mit Sabine Dittmar oder Karl Lauterbach mindestens zwei qualifizie­rte Sozialdemo­kraten zur Verfügung, die sich schon einmal einarbeite­n könnten, damit bis zur Amtsüberga­be keine Zeit verloren geht.

Die Untätigkei­t kommt im Volk nicht gut an. Laut dem von Forsa ermittelte­n RTL/ntv-Trendbarom­eter wird die Kompetenz der Ampel-Regierung jetzt schon deutlich niedriger eingeschät­zt als nach der Bundestags­wahl. Demnach traut nur noch etwas mehr als ein

Viertel (27 Prozent) den drei Ampel-Parteien zu, mit den Problemen in Deutschlan­d fertig werden zu können. Mit 60 Prozent erreichte der Anteil derer, die keiner Partei mehr politische Kompetenz zutrauen, einen Höchststan­d. Gesunken ist der Umfrage zufolge auch das Vertrauen in die Fähigkeite­n von Olaf Scholz.

Schon im Oktober hätte es erste Maßnahmen mit Blick auf die vierte Corona-Welle geben müssen. Das wurde sträflich unterlasse­n und die Lage ist dramatisch. Experten weisen darauf hin, dass selbst für den theoretisc­hen Fall, es würde ab sofort keine Neuinfekti­onen mehr geben, die Intensivst­ationen die nächsten Wochen mit den bereits Infizierte­n trotzdem überfracht­et würden.

Scholz hat die Möglichkei­ten zum Handeln und er muss es jetzt tun. Nicht erst nach dem SPD-Parteitag in ein paar Tagen, nicht erst nach der Unterzeich­nung des Koalitions­vertrages oder dem Erhalt seiner Ernennungs­urkunde, sondern unverzügli­ch. Alles andere wäre unverzeihl­ich.

Merkel signalisie­rte, dass Scholz schon loslegen kann

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Zeichnung: Heiko Sakurai Mutmaßlich­er Adventskal­ender 2021
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