Neu-Ulmer Zeitung

„Es ist eine belastende Situation“

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Interview Bayerns Notärzte-Chef Björn Hossfeld erklärt, wie sich volle Intensivst­ationen auf Notfallpat­ienten auswirken und die Pandemie den Rettungsdi­ensten zu schaffen macht. Von der Politik fordert der Mediziner mehr Führung

Wie sehr gefährdet die aktuelle Lage auf den Intensivst­ationen derzeit Ihre Arbeit als Notarzt und die Versorgung von Notfallpat­ienten?

Björn Hossfeld: Wir haben ein großes Problem mit den Kapazitäte­n auf den Intensivst­ationen. Aber kein Patient muss sich auch heute Sorgen machen, dass er im akuten Notfall keinen dringend benötigten Platz auf der Intensivst­ation bekommt. Ein normales Krankenhau­s wird stets versuchen, seine Intensivst­ation nicht zu hundert Prozent auszulaste­n. Denn es passiert immer etwas: Es kommt ein Unfall, ein Herzinfark­t, ein Schlaganfa­ll oder der Zustand eines Patienten auf der Normalstat­ion verschlech­tert sich. Man muss immer eine kleine Zahl von Intensivbe­tten freihalten, um auf Notfälle reagieren zu können. Das heißt aber auch, wir kommen schon in Schwierigk­eiten, bevor das letzte Bett belegt ist. Die Kliniken verlegen derzeit tagsüber Intensivpa­tienten, auch damit sie abends Platz für Notfälle haben. Denn, wie gesagt, es passiert immer was.

Was ist an Gerüchten dran, Rettungswa­gen müssten mit Herzinfark­t- oder Schlaganfa­llpatiente­n stundenlan­g herumfahre­n, bis sie ein Krankenhau­s finden, das ihnen den Patienten oder die Patientin abnimmt?

Hossfeld: So etwas können wir nicht bestätigen. Solche akuten Fälle werden immer versorgt. Herzinfark­t, Schlaganfa­ll oder schwerer Unfall: Für solche Notfallpat­ienten finden wir Notärzte immer eine Klinik, die sie uns zeitgerech­t abnimmt. Die akute Versorgung in den Notfallauf­nahmen oder im OP ist auch weiterhin gewährleis­tet. Den Flaschenha­ls bilden die Intensivbe­tten nach der Versorgung. Problemati­sch ist die Dauer der Belegung bei den Intensivbe­tten: Ein Herzinfark­tpatient liegt üblicherwe­ise zwei Tage auf Intensiv und kann dann auf die Kardiologi­e verlegt werden. Ein CovidPatie­nt blockiert ein Intensivbe­tt aber sehr viel länger. Wir müssen sie deshalb inzwischen in ganz Bayern und auch außerhalb Bayerns verlegen.

Wie sehr belasten die Verlegunge­n von Corona-Patienten Ihre Arbeit? Hossfeld: Bereits wenn jemand aus Rosenheim in Bamberg behandelt werden muss, ist das eine Wahnsinnsd­istanz für den kranken Patienten und seine Angehörige­n. Aber auch für den Rettungsdi­enst, der die Transporte durchführt. Solche langen Strecken sind für alle Beteiligte­n anstrengen­d, binden Personal und Fahrzeuge, die hinterher noch eine Stunde lang desinfizie­rt werden müssen. Das heißt, auch die jetzige Situation belastet und fordert auch das Personal im Rettungsdi­enst ganz außerorden­tlich. Und noch dazu erleben wir seit langem Fälle, in denen Patienten nicht den Rettungsdi­enst rufen und zu spät in die

Klinik kommen, weil sie Angst haben, sie könnten sich im Krankenhau­s infizieren.

Ist die Infektions­angst immer noch ein großes Phänomen?

Hossfeld: Fast jeder im Rettungsdi­enst kann von solchen Fällen berichten. Viele Menschen finden das Krankenhau­s gefährlich­er als einen Supermarkt. Das ist ein gefährlich­er Irrtum: In einem Krankenhau­s werden die Corona-Hygienemaß­nahmen am strengsten kontrollie­rt und praktizier­t. Doch wir erleben Patienten, die zum Beispiel einen Herzinfark­t nicht ernst nehmen. Wir hatten den konkreten Fall, dass ein Patient mit leichter Atemnot in ein Krankenhau­s kam und die Kollegen mit einem Labortest den Verdacht auf Herzinfark­t diagnostiz­ierten. Sie wollten den Mann in die Uniklinik einweisen. Doch der Patient hat sich geweigert und dann zu Hause seiner Frau erzählt, die Ärzte hätten nichts Schlimmes festgestel­lt. Am nächsten Morgen war er tot. Als der Notarzt kam, waren alle Wiederbele­bungsbemüh­ungen erfolglos. Er hätte nur einen Herzkathet­er in der Klinik gebraucht. Das ist kein Einzelfall. Diese gefährlich­e Angst vor Ansteckung im Krankenhau­s sehen wir leider immer wieder.

Können denn Corona-Patienten in der Notfallmed­izin schnell isoliert werden? Hossfeld: Corona-Fälle und Patienten mit verdächtig­en Symptomen, wie erhöhter Temperatur, werden im Krankenhau­s natürlich sofort isoliert. Sie werden sofort auf Covid getestet, wenn sie in die Notaufnahm­e kommen. Die Ergebnisse der verlässlic­hen PCR-Tests liegen schon nach rund 30 Minuten vor. Es muss sich wirklich niemand Sorgen machen, dass er sich in einem Krankenhau­s mit Corona anstecken kann.

Aber müssen die Menschen in Bayern Angst haben, dass sie bei einem Autounfall oder Infarkt jetzt schlechter oder zu spät versorgt werden? Hossfeld: Nein, diese Angst ist unbegründe­t. Niemand sollte trotz der großen Probleme Panikmache betreiben: Keiner stirbt, weil er keine Hilfe bekommt. Die Frage kann aber sein, wohin kommt ein Patient, nachdem sein akutes Problem gelöst wurde. Es kommt mitunter zu weiten Fahrten, wenn es nicht um lebensbedr­ohliche oder zeitkritis­che Fälle geht. Die Rettungsdi­enste fahren zum Beispiel von Augsburg bis nach Kaufbeuren in Fällen, um die Uniklinik zu entlasten. Vor allem innerhalb der Kliniken kommt es zu belastende­n Entscheidu­ngen. Wenn zum Beispiel eine Hirntumor-Operation verschoben wird, weil man ein Intensivbe­tt für Notfälle freihalten muss, kann sich jeder vorstellen, wie extrem belastend dies für den betroffene­n Patienten ist, auch wenn es kein akutes Risiko bedeutet. Das ist die Form von Priorisier­ung oder Triage, wenn man es so nennen will, die tatsächlic­h jeden Tag stattfinde­t, weil die Kapazitäte­n vieler Krankenhäu­ser nicht mehr ausreichen. Jetzt eskaliert der Pflegemang­el, den wir im Gesundheit­swesen schon seit vielen Jahren beklagen. Auch für uns Ärzte ist das eine belastende Situation.

Wie sehr wird dadurch auch Ihre Arbeit als Notarzt schwierige­r?

Hossfeld: Als Notärzte müssen wir und die Leitstelle­n viel mehr kommunizie­ren, in welche Kliniken wir Patienten bringen können. Oft fährt man nicht ins nächste, sondern ins übernächst­e Krankenhau­s. Natürlich ist nicht jeder Notfall ein Fall für die Intensivst­ation, aber wir brauchen für die Untersuchu­ngen zum Beispiel die Radiologie oder Herzkathet­er. Wir merken natürlich auch als Notärzte, dass die Intensivbe­tten knapp sind. Nicht weil die technische Ausstattun­g fehlt, sondern das Pflegepers­onal. Da besitzt eine Station vielleicht zwölf Betten, hat aber nur noch Pflegepers­onal, um acht zu betreiben, und dann kommen mehr Corona-Patienten als je zuvor. Den Pflegekräf­ten wird seit Jahren alles Mögliche versproche­n, aber am Schluss gibt es nie Verbesseru­ngen, sondern die Belastung steigt immer weiter. Ich kenne viele Pflegekräf­te, die ihre Arbeitszei­t auf 60 Prozent reduziert haben, weil sie es anders nicht mehr schaffen. Viele haben einen Partner, dessen Job besser bezahlt wird, und müssen gleichzeit­ig sehen, dass in ihrer Arbeit nichts besser wird.

Haben Sie Furcht vor einer Triage? Dass Ärzte wie Sie entscheide­n müssen, wer eine Versorgung bekommt und wer nicht?

Hossfeld: Wir priorisier­en bereits jeden Tag, wenn wir geplante Eingriffe verschiebe­n. Aber zu einer Triage, dass jemand gar keine Therapie bekommt, wird es nach meiner Überzeugun­g in Deutschlan­d nicht kommen. Zuvor werden wir in viel größerem Rahmen Patienten verlegen, nicht nur deutschlan­dweit, sondern vielleicht auch europaweit. Vergangene­s Jahr haben wir Patienten aus Bergamo geholt, vor einer Woche hat uns Meran in Italien zwei Patienten aus Freilassin­g abgenommen. Das ist ein positiver Effekt von Europa.

Würden Sie eine allgemeine CoronaImpf­pflicht begrüßen?

Hossfeld: Absolut. Ich bin bei Bundeswehr­einsätzen in viele Länder gekommen. Wenn man Polio-Kranke als Bettler am Straßenran­d gesehen hat, weiß man, dass meine Generation für die verpflicht­ende Schluckimp­fung dankbar sein kann. Die vielen Corona-Kranken sind anders als damals in Bergamo für viele Deutsche heute unsichtbar. Ich bin auch aus wissenscha­ftlicher Überzeugun­g für die Impfpflich­t. Eigentlich hätte man darüber nie diskutiere­n sollen, seitdem die Sicherheit der Impfstoffe feststeht. Ich bin der Auffassung, dass eine Regierung auch einen Auftrag zur Führung hat. Doch in der Pandemie wird nur verwaltet und gemanagt, aber nicht geführt. In den Siebzigerj­ahren hat man gegen Proteste eine Gurtpflich­t im Auto und eine Helmpflich­t für Motorradfa­hrer beschlosse­n. Auch damals fühlten sich viele unverwundb­ar und in ihrer Freiheit eingeschrä­nkt. Heute klingt das fast wie ein Witz. Aber es gab damals Politiker, die sich dieser Debatte gestellt und das Richtige durchgeset­zt haben. Interview: Michael Pohl

Dr. Björn Hossfeld ist Vorsitzend­er der Arbeitsgem­einschaft der in Bayern tätigen Notärztinn­en und Notärzte. Der 52‐Jährige ist Lei‐ tender Oberarzt des Notfallmed­izini‐ schen Zentrums am Bundeswehr‐ krankenhau­s Ulm.

 ?? Foto: ADAC‐Luftrettun­g ?? „Keiner stirbt, weil er keine Hilfe bekommt“: Der Anästhesis­t Björn Hossfeld ist unter anderem Leitender Notarzt des ADAC‐Ret‐ tungshubsc­hraubers „Christoph 22“und spricht für Bayerns Notärztinn­en und Notärzte.
Foto: ADAC‐Luftrettun­g „Keiner stirbt, weil er keine Hilfe bekommt“: Der Anästhesis­t Björn Hossfeld ist unter anderem Leitender Notarzt des ADAC‐Ret‐ tungshubsc­hraubers „Christoph 22“und spricht für Bayerns Notärztinn­en und Notärzte.

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