Neu-Ulmer Zeitung

„Bis zu meinem letzten Atemzug“

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Interview Veronica Ferres muss sich immer noch kneifen, um ihre große Filmkarrie­re glauben zu können. Inzwischen ist sie auch Produzenti­n in Hollywood. Sie spricht über ihre Wurzeln, Machtmissb­rauch und noch offene Projekte

Frau Ferres, Sie haben schon verschiede­nste internatio­nale Projekte produziert, aber bei „The Unforgivab­le“arbeiteten Sie mit einem der größten Hollywoods­tars überhaupt zusammen: Oscar-Gewinnerin Sandra Bullock. Wie kam es dazu?

Veronica Ferres: Ich kenne meinen Mitproduze­nten Graham King seit mehreren Jahren. Aus der Stunde, die unser erstes Meeting werden sollte, wurden dreieinhal­b. Am gleichen Abend rief mich Graham noch einmal an, um mir einige seiner Projekte vorzustell­en, und bei „The Unforgivab­le“sagte ich „Das muss erzählt werden, und dazu kann ich auch etwas beitragen.“So begann unsere Zusammenar­beit.

Es gelang Ihnen dabei auch, mit Nora Fingscheid­t eine deutsche Regisseuri­n durchzuset­zen. War das schwer? Ferres: Als ich „Systemspre­nger“auf der Berlinale gesehen habe, habe ich am ganzen Körper vor Glück gezittert, weil ich wusste: „The Unforgivab­le“ist der Film für Nora. Wir haben uns dann, weil es nicht anders ging, in einem sehr einfachen Selbstbedi­enungs-Café eines Supermarkt­es am Hamburger Flughafen getroffen, und zwischen uns entwickelt­e sich eine unglaublic­he Energie, die mich in meiner Meinung nur bestärkt hat. Ich habe sie danach Graham King als Regisseuri­n vorgeschla­gen, der bereit war, sie zu treffen. Danach musste Sandra Bullock überzeugt werden, „Systemspre­nger“anzuschaue­n, den sie einzigarti­g und spannend fand. Zu dritt, Graham King, Sandra Bullock und ich, waren wir ein starkes Team. Nora musste aber dann noch die Chefetage von Netflix von ihrer Vision überzeugen, was sie großartig gemacht hat, und so hat sie dann die Regie bekommen.

Abgesehen davon, dass Sie zunehmend internatio­nal produziere­n, spielen Sie auch immer häufiger in englischsp­rachigen Projekten – zuletzt unter anderem mit Morgan Freeman, Juliette Binoche und Anthony Hopkins. Was ist aus Ihren deutschen Schauspiel­rollen geworden?

Ferres: Sagen wir es so, ich bekomme interessan­te deutsche Angebote, aber ich möchte das Recht haben, mich mit über 50 weiterzuen­twickeln und bestimmte Rollen nicht mehr zu spielen. Sosehr ich meinen Beruf und meine Mutterspra­che liebe, meine Ausflüge gehen derzeit mehr ins Internatio­nale, weil man mir dort mehr zutraut. Letztlich sehe ich mich als Geschichte­nerzähleri­n, und deshalb trage ich immer zwei Hüte – den einer Produzenti­n und den einer Schauspiel­erin.

Die Bedingunge­n für weibliche Kreative sind heutzutage wohl besser als zu der Zeit, in der Sie anfingen. Würden Sie sich wünschen, Sie wären noch mal 20 und könnten jetzt neu einsteigen? Ferres: Wenn das möglich wäre, sofort. Unsere Generation musste mit der Selbstvers­tändlichke­it von Machtausüb­ung gegenüber Frauen leben, durch Schmerz und Ohnmacht hindurchge­hen. Und die jetzige Generation muss das zumindest in diesem Maße nicht mehr erleben. Denn die jungen Frauen von heute wissen, dass sie sich wehren können, dass sie eine Stimme haben und dass ihnen zugehört wird. Mir wurde nicht zugehört.

Wann haben Sie beispielsw­eise diese Ohnmacht erlebt?

Ferres: Das möchte ich nicht erzählen, denn dann haben wir morgen eine riesige Schlagzeil­e und es geht heute hier um den Film und nicht um mich. Aber der ganz normale Machtmissb­rauch von Männern am Set gegenüber Frauen, vor allem gegenüber Schauspiel­erinnen und weiblichen Teammitgli­edern, der gehörte zum Alltag.

Halt habe ich in mir. Das darf ich nicht da draußen suchen, dann wäre ich verloren.

Wie nehmen Sie eigentlich die amerikanis­che Filmbranch­e im Vergleich zur deutschen wahr?

Ferres: Film ist drüben eine Königsklas­se, und die ist knallhart. Um jede Möglichkei­t scharen sich Abertausen­de von tollen Kreativen und Machern. Und es gehört unheimlich viel Glück und Kraft dazu, sich von Rückschläg­en nicht entmutigen zu lassen, sondern wieder aufzustehe­n.

Sind Sie auch so knallhart?

Ferres: Nein, aber ich habe tolle Menschen um mich herum, die das sein können und mich schützen. Ich werde auch nicht so knallhart werden. Das kann ich als Künstlerin gar nicht. Ich werde mir immer eine Verletzbar­keit bewahren. Deshalb ist manches für mich schwierige­r. Ich leide mehr, aber habe auch mehr Spaß.

Haben Sie diese Erfahrunge­n auch gelehrt, sich beruflich durchzubox­en? Ferres: Ich boxe mich nicht durch. Ich habe auch meine Niederlage­n, aber ich glaube ganz fest daran, dass die Qualität der Arbeit auf Dauer überzeugt. Und die Arbeit spricht für sich. Daran möchte ich gemessen werden, egal welche Rückschläg­e oder Niederlage­n man hat. Nehmen Sie eine Sandra Bullock, die macht alles hundertpro­zentig.

Gibt es Projekte Ihrer Firma, die für Sie ähnlich persönlich wichtig sind? Ferres: Das sind viele „Female Empowermen­t“-Geschichte­n. Auch das Projekt von John Malkovich mit meiner Tochter gehört in diese Kategorie. Da gibt es Rollen, bei denen es früher nicht denkbar war, dass sie von Frauen gespielt werden. Wenn Mädchen, aber auch Jungs so etwas sehen, dann kann das die Kraft, an ihre Träume zu glauben, beflügeln und ihnen Mut machen, ihren Instinkten zu vertrauen.

Welche weiblichen Vorbilder hatten Sie zu Ihrer Zeit?

Ferres: Natürlich meine Mutter. Die war ihrer Zeit voraus, weil sie drei Kinder geboren hat und trotzdem gleich wieder berufstäti­g war. Sie wollte auf eigenen Beinen stehen. Ich bin an einem Donnerstag um 13.30 Uhr auf die Welt gekommen und um 12.30 Uhr stand sie noch auf dem Markt und hat Kartoffeln verkauft. So hat sie uns auch erzogen: Arbeit ist keine Schande, Arbeit ist Selbstbest­immung.

Gibt es auch künstleris­che Vorbilder? Ferres: Als ich 13, 14 war habe ich bei Pina Bausch im Tanztheate­r Wuppertal hospitiert. Sie ist in Solingen, also meiner Heimatstad­t, in einer Bierkneipe aufgewachs­en und hat ihre ganzen Fantasien entwickelt, wenn sie bei den Besoffenen unter dem Tisch hockte und hörte, was die so erzählen. Durch die Arbeit bei ihr ist meine Liebe zum Theater entstanden. Deshalb habe ich schon mit 17 in Köln Theater gespielt und bin dann nach München gegangen, um bei Privatlehr­ern zu studieren, weil ich an Schauspiel­schulen nicht angenommen wurde. Ich wollte eigentlich nie zu Film und Fernsehen, das fand ich immer blöd. Das hat sich dann einfach durch „Rote Erde“und „Zweite Heimat“ergeben.

Das heißt, den Traum von Hollywood hatten Sie nie?

Ferres: Den haben Sie nicht, wenn Sie aus Solingen-Mitte kommen. Ich muss mich heute oft noch kneifen, wenn ich das erlebe – zum Beispiel, als ich mit Morgan Freeman arbeiten konnte. Dieser Mann ist derart beeindruck­end. Wobei ich übrigens noch ein weiteres weibliches Vorbild hinzufügen möchte – und zwar meine liebe Freundin Senta Berger. Uns verbindet etwas ganz Tiefes und Besonderes.

Sie sagten mal, Sie möchten noch ein Kinderheim und eine Schauspiel­schule gründen. Wie steht es darum?

Ferres: Das Kinderheim ist immer noch in meinem Kopf. Aber ich muss den Kindern gerecht werden und im Moment arbeite ich zu viel, als dass ich da eine Konstante sein könnte, die Sicherheit gibt. Die Schauspiel­schule habe ich mit der Filmhochsc­hule abgedeckt. Vielleicht könnte ich die mit angeschlos­senem Kinderheim organisier­en. Aber im Ernst, das tue ich effektiv schon mit meiner Firma. Ich hole junge Talente von der Hochschule und gebe denen Chancen, hochkaräti­ge Projekte zu schreiben oder zu inszeniere­n. Oft sitze ich auch mit Baseball-Mütze undercover bei Filmfestiv­als im Publikum, um mir neue Talente anzuschaue­n. Mir geht es um das Weitergebe­n, und das ist auch der verbindend­e Gedanke hinter dem Kinderheim und der Schauspiel­schule: Von meiner Erfahrung sollen andere profitiere­n.

Und was geben diese jungen Nachwuchst­alente an Sie zurück?

Ferres: Eine moderne Sichtweise der Welt. Ich lerne durch sie eine moderne Bildsprach­e und ganz andere Erzählform­en. Ich erfahre deren Alltagspro­bleme, die ganz anders sind als meine. Das ist toll, spannend und herausford­ernd.

Ihre Freundin Senta Berger steht ja mit 80 Jahren noch vor der Kamera. Sehen Sie das eigentlich auch für sich? Ferres: Wie gesagt, ich sehe mich als Geschichte­nerzähleri­n, und ich würde das gerne bis zu meinem letzten Atemzug tun, ob vor oder hinter der Kamera.

Interview: Rüdiger Sturm

Veronica Ferres, 56, studierte an der Max‐Reinhardt‐Schule in Wien zur staatlich geprüften Schauspiel­e‐ rin. 25 Jahre ist es her, dass sie – nach vielen Theater‐ und ersten Film‐ rollen etwa bei Helmut Dietl und Edgar Reitz – mit „Das Superweib“einem großen Publikum bekannt wurde. Seitdem ist sie eine der Gro‐ ßen im Geschäft. Ferres lebt in zweiter Ehe mit Carsten Maschmeyer.

 ?? Foto: Bernd Jaworek ?? Aktuell läuft von Veronica Ferres „The Unforgivab­le“im Kino – von ihr produziert! Mit Sandra Bullock in der Hauptrolle. Solche Möglichkei­ten als Geschichte­nerzähleri­n habe sie nur in Hollywood.
Foto: Bernd Jaworek Aktuell läuft von Veronica Ferres „The Unforgivab­le“im Kino – von ihr produziert! Mit Sandra Bullock in der Hauptrolle. Solche Möglichkei­ten als Geschichte­nerzähleri­n habe sie nur in Hollywood.

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