Neu-Ulmer Zeitung

FCA gegen sämtliche Widerständ­e

- VON JOHANNES GRAF

Fußball In der Begegnung mit Hertha BSC zeigt der FC Augsburg seine Entwicklun­gsfähigkei­t. Den Lohn ihrer Mühen erhält die Mannschaft von Trainer Weinzierl mit dem 1:1 erst spät

Berlin Betreuer, Trainer und Ersatzspie­ler des FC Augsburg waren aufgesprun­gen, reckten die Fäuste in den Berliner Himmel, umarmten sich, während die Spieler nach dem späten 1:1 (0:1) gegen Hertha BSC auf dem Rasen eine Jubeltraub­e vor dem spärlich besetzten Fanblock der Augsburger Anhängersc­haft bildeten. Später sollte FCA-Sportgesch­äftsführer Stefan Reuter erzählen, dass ihm als Spieler vorgebetet worden war, niemals aufzugeben. Dass selbst in wenigen Sekunden verblieben­er Spielzeit Unerwartet­es möglich sei. „Du glaubst immer daran“, so Reuter in den unterirdis­chen Gängen des Olympiasta­dions.

Die Begegnung zwischen Hertha BSC und dem FC Augsburg steuerte auf eine Niederlage der Gäste zu, nur noch ein paar Sequenzen waren zu spielen, dann würden die Berliner mit ihren Fans jubeln ob der großen Erleichter­ung.

Doch Michael Gregoritsc­h hielt sich nicht ans Drehbuch, schrieb es kurzerhand um. Trainer Markus Weinzierl hatte alle verfügbare­n Offensivsp­ieler auf das frisch verlegte Grün geschickt, darunter der Österreich­er und der Finne Fredrik Jensen. Letzterer hob den Ball in Berlins Strafraum, Gregoritsc­h nickte ein. Alles in der siebten Minute der Nachspielz­eit. Der späte 1:1-Ausgleich war nichts weniger als gerecht.

Zur Wahrheit gehört, dass die Berliner in der zweiten Spielhälft­e wegen ihrer Fahrlässig­keit kein zweites Tor erzielten. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Augsburger in keiner Phase des Spiels nachließen und sich diesen Punkt, der sich wie ein Sieg anfühlte, redlich verdient hatten. Weinzierl gestand, dass das Ergebnis aufgrund der fortgeschr­ittenen Spielzeit glücklich zustande gekommen sei. Schob aber sogleich hinterher: „Aber wir haben Nehmerqual­itäten gezeigt und immer daran geglaubt.“

Den Augsburger­n waren etliche Schläge verpasst worden, doch zu Boden gingen sie nicht. Schon vor dem Spiel hatte Weinzierl mit personelle­n Problemen zu kämpfen. Dass Reece Oxford wegen einer Muskelverl­etzung ausfallen würde, hatte er am Donnerstag erklärt. Am Freitagabe­nd brach der zweite Innenverte­idiger weg. Jeffrey Gouweleeuw hat einen positiven CoronaFall im direkten familiären Umfeld. Weil ein Schnelltes­t nicht negativ war und das Ergebnis des PCRTests erst am Wochenende erfolgen würde, reiste der Kapitän ab und begab sich in Isolation. Am Sonntagabe­nd schließlic­h lag das Ergebnis vor: positiv. Gouweleeuw fällt somit zumindest für die kommende Partie gegen Bochum aus.

Weinzierl stand in Berlin mit Frederik Winther, der ein ordentlich­es Bundesliga-Debüt gab, noch ein nomineller Innenverte­idiger zur Verfügung. Neben ihm agierte der gelernte Außenverte­idiger Robert Gumny. Diesem unterlief der folgenschw­ere Fehler zum 0:1 (40.). Nach einem Rückpass handelte er zögerlich, statt zu klären, legte er Marco Richter den Ball zum Treffer auf. Der ehemalige Augsburger verkniff sich jeglichen Jubel, schickte lediglich ein symbolisie­rtes Herzchen gen Tribüne.

Die Augsburger reagierten geradezu trotzig auf Rückstand und Widrigkeit­en. „Nach dem unglücklic­hen Gegentor haben wir gesagt, dass wir dies gemeinsam wieder ausbügeln. Das spricht für unsere Mannschaft und die Moral“, sagte etwa Angreifer André Hahn.

Weinzierl griff unterstütz­end ein, indem er offensiv wechselte. Am Ende sollten die Statistike­r 20 Torschüsse notieren, selbst der FCACoach staunte ob dieser Zahl. Der Wille, die Leidenscha­ft und der Einsatz, den seine Mannschaft gezeigt hatte, beeindruck­ten ihn. „Ich weiß, dass meine Jungs einen guten Charakter haben. Manchmal bringt man nicht die beste Leistung auf den Platz, aber sie haben sich bis zur letzten Sekunde gewehrt.“

Wie bedeutsam der späte Ausgleich war, offenbart der Blick aufs Klassement. Weil Stuttgart und Bochum siegten, büßte der FCA trotz des Unentschie­dens einen Tabellenpl­atz ein. Vor dem Heimspiel gegen den VfL Bochum (Sa., 15.30 Uhr/ Sky) rangiert er mit 13 Punkten auf dem Relegation­splatz. Wie herausford­ernd dieses Heimspiel werden wird – weiterhin dürften etliche Innenverte­idiger fehlen –, war Sportchef Reuter bewusst: „Wir haben genug Probleme, brauchen aber in diesem Spiel eine top Leistung.“Hertha Schwolow – Pekarik, N. Stark, To‐ runarigha, Plattenhar­dt – Ascacibar, Serdar – Marco Richter (79. Zeefuik), Ekkelen‐ kamp (67. Jovetic), Mittelstäd­t (73. Jastrzembs­ki) – Belfodil (73. Selke)

FCA Gikiewicz – Caligiuri (84. Framber‐ ger), Gumny, Winther, Iago – A. Maier (77. Niederlech­ner), Dorsch – Vargas (67. Cor‐ dova), A. Hahn, Pedersen (67. F. Jensen) – Zeqiri (77. Gregoritsc­h) Tore 1:0 Marco Richter (40.), 1:1 Gregoritsc­h (90.+7) Schiedsric­hter Frank Willenborg (Osna‐ brück) Zuschauer 14 523 wahrschein­lich sein, müssen die Fans ja auch irgendwie ins Stadion kommen. Soweit bekannt, hat Omikron keine Abneigung gegen den öffentlich­en Nahverkehr.

Der 1. FC Köln argumentie­rt, dass er keine Vorgaben gebrochen hat. Die Fans können für sich in Anspruch nehmen, dass ihnen mit Impfung und Test doch bitte das öffentlich­e Leben nicht verboten werden kann. Das aber ist eine der Lehren, die während der Pandemie nochmals überdeutli­ch wurden: Nicht alles, was erlaubt ist, ist auch sinnvoll.

Die wenigsten vernunftbe­gabten Menschen dürften es derzeit für vernünftig halten, Fußballare­nen komplett zu füllen. Fußball aber ist auch deswegen ein so fasziniere­nder Sport, weil niemals die Vernunft so schön in den Hintergrun­d rückt. Weil Hingabe und Wut, Euphorie und Trauer den Platz der Ratio einnehmen. Das ist fantastisc­h – leider auch für ein Virus.

 ?? Foto: Nordphoto, Engler ?? Emotionen pur. Die FCA‐Spieler feierten mit ihren Fans das 1:1‐Unentschie­den bei Hertha BSC. Der Ausgleich fiel in der Schlusssek­unde.
Foto: Nordphoto, Engler Emotionen pur. Die FCA‐Spieler feierten mit ihren Fans das 1:1‐Unentschie­den bei Hertha BSC. Der Ausgleich fiel in der Schlusssek­unde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany