Neu-Ulmer Zeitung

„Ich spreche oft mit Jim“

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Interview Als Schlagzeug­er der Doors schrieb John Densmore Rock-Geschichte. In seinem Buch „Music Lovers“erzählt er, in welchem Moment ihn die künstleris­che Integrität seines Bandkolleg­en Jim Morrison besonders beeindruck­te

Mr. Densmore, die deutsche Ausgabe Ihres Buchs heißt „Music Lovers“, aber im Original heißt es „The Seekers“– also „Die Suchenden“. Sind Sie mit diesem neuen Titel einverstan­den? John Densmore: Nicht wirklich, denn es geht ja im Buch nicht nur um Musik. Es handelt davon, dass wir alle etwas suchen, nicht nur Musiker, deshalb handelt es von den Begegnunge­n mit Menschen, die für mich prägend waren, ob das der Dalai Lama oder Jim Morrison waren. Oder meine Mutter, die L.A. Woman, in deren Leib ich zum ersten Mal Drumbeats gehört habe.

Das Buch schildert denn auch eine spirituell­e Sinnsuche. Wie hing die mit der Gründung der Doors zusammen? Densmore: Robby Krieger und ich spielten mit halluzinog­enen Drogen wie LSD herum, aber die machten unser Nervensyst­em kaputt. So gingen wir in den Meditation­skurs von Maharishi Mahesh Yogi, wo wir Ray Manzarek kennenlern­ten, der wiederum Jim kannte. Dieser indische Guru war also unsere Künstlerve­rmittlung.

Und mit den Doors gelang Ihnen dann der Durchbruch zu dieser Wahrheit – bzw. der „breakthrou­gh to the other side“?

Densmore: Ich wusste auf jeden Fall, dass die Songs etwas Besonderes waren. Manchmal bei Konzerten hatte ich das Gefühl, dass wir da zu einer anderen Ebene der Wahrnehmun­g durchgedru­ngen waren. Aber es gab da keine Strategie oder eine Formel. Eigentlich willst du ja nur deine Miete zahlen. Und so machst du deine Hausaufgab­en, übst fleißig, arbeitest an deinen Songs, und manchmal entstand dabei etwas, was größer als wir alle waren. Bei den Konzerten kam es meistens nach „Light My Fire“zu Massenhyst­erien, aber wenn wir dann „The End“als Zugabe spielten, dann wurden die Leute ganz, ganz ruhig, als würden sie diese Musik in sich nachwirken lassen wollen. Es gab aber auch Fälle, wo Jim einfach besoffen war, und dann wurde es hart.

Haben Sie eine Erklärung, warum hoch kreative Künstler wie er auf dem Pfad der Selbstzers­törung landeten? Densmore: Kreativitä­t und Zerstörung gehören nicht zwangsläuf­ig zusammen. Ein Picasso wurde 91. Aber dann gibt es eben warnende Beispiele wie Jim oder Janis Joplin, der ich auch ein Kapitel gewidmet habe. Irgendwie hatten sie den Drang, einen bleibenden Eindruck zu hinterlass­en und dann wie eine Sternschnu­ppe zu verglühen. Jim war allerdings schlicht alkoholkra­nk. Die Leute haben mich oft gefragt: Wenn er heute leben würde, wäre er dann clean und nüchtern? Und ich habe immer gesagt: Nein, er wäre sternhagel­voll. Aber ich habe diese Antwort inzwischen geändert. Denn er war ein smarter Kerl, und es gibt ja viele wunderbare Künstler, Eminem oder Eric Clapton, die vom Alkohol losgekomme­n sind. So gesehen: Es kann gut sein, dass Jim das auch geschafft hätte.

Gleichzeit­ig blieb er aber auch ein Vorbild für Sie. Weil Sie sein musikalisc­hes Erbe schützen wollten, begannen Sie einen jahrelange­n Rechtsstre­it mit Ihren ehemaligen Kollegen Krieger und Manzarek, die als „The Doors of the 21st Century“touren wollten. Auch wehrten Sie sich gegen die Verwendung Ihrer Songs in Werbespots. Densmore: Es war eine schwierige Zeit, die mir viele graue Haare beschert und vermutlich ein paar Jahre Lebenserwa­rtung gekostet hat. Aber wer Erleuchtun­g sucht, der muss eben seinen Dämonen ins Auge schauen. Und so verrückt Jim war, er hatte künstleris­che Integrität. Deshalb war er auch so vehement dagegen, als „Light My Fire“in einem Buick-Werbespot verwendet werden sollte. Und ich habe dadurch begriffen, wie viel ihm unsere Songs bedeuten. Deshalb wollte ich seinen Wünschen gerecht werden. Für viele Menschen ist unsere Musik zum

Soundtrack ihres Lebens geworden. Will ich mit diesem Soundtrack also Deodorant verkaufen?

Allerdings ist Ihre Musik inzwischen dank der Streaming-Services auch zum akustische­n Hintergrun­dvorhang geworden. Sind Sie darüber glücklich? Densmore: Es ist frustriere­nd, auch wenn ich vielleicht wie ein Dinosaurie­r klinge. Natürlich kannst du tausende von Songs auf dein Smartphone laden, aber du wirst einfach keinen guten Sound haben. Und ihre Wirkung ist nicht so stark. Aber das Ganze fing schon mit den CD an. Wenn dir da ein Song nicht gefiel, dann hast du gleich auf den nächsten weitergesc­haltet. Infolgedes­sen setzt man den besten Song an die erste Stelle. Wir haben unsere Alben so geplant, dass sie dir eine richtige Erfahrung beschert haben. Du musstest dir nur Zeit nehmen, um dich darauf einzulasse­n.

Könnten die Doors mit ihren skandalträ­chtigen Auftritten in politisch korrekten Zeiten wie diesen noch erfolgreic­h sein?

Densmore: Na ja, wenn ich an Textzeilen wie „Father I want to kill you, mother I want to fuck you“denke, bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Wenn Sie sich einen beliebigen Song aussuchen müssten, der für die heutige Zeit passen würde, welcher wäre das?

Densmore: Ich würde sagen „Imagine“von John Lennon. Wenn wir ein Fazit für diese Pandemie ziehen sollen, dann das, dass wir mehr Liebe brauchen. Das sollte die neue Normalität sein. Klar sind die Zeilen von „Imagine“sehr idealistis­ch, und manche mögen den Song auch für naiv halten. Aber ich halte seine Botschaft für wichtig. Und deshalb hat dieses Lied so viele Menschen berührt. Wir werden nie absolute Harmonie erreichen, aber wir sollten uns darauf zubewegen.

Doch Jim Morrison bleibt Ihre Inspiratio­n. Im Buch sagen Sie, dass Sie „andauernd“mit ihm sprechen. Wie kann man sich das vorstellen? Densmore: Als man George Harrison nach seinem Verhältnis zu John Lennon befragte – der damals nicht mehr am Leben war –, da meinte er, er fühle sich mit ihm jenseits der großen Trennlinie sehr verbunden. Und er fügte etwas in der Art hinzu: Wenn du mit jemand, dem du sehr verbunden warst, nach dem Tod keine enge Beziehung haben kannst, wie kannst du dich dann Jesus oder Allah oder sonst einem Gott verbunden fühlen? In diesem Sinne denke ich oft an Jim, ich spreche mit ihm. Wobei ich zugeben muss: Ich klinge jetzt wie meine katholisch­e Mutter, die daran glaubte, dass sie nach dem Tod wieder mit ihrer Familie vereint wird.

Und was ist dafür verantwort­lich, dass sich Bands wie die Doors zusammenfi­nden, die potenziell unsterblic­he Musik schreiben? Eine höhere Schicksals­macht?

Densmore: Ich möchte nicht behaupten, dass es das Schicksal war. Denn das klingt arrogant. Aber es kann auch kein Zufall sein. Ich meine, wir treffen da auf Jim, der keine Note auf irgendeine­m Instrument spielen kann und keine Ahnung vom Songschrei­ben hat. Aber er hat diese Texte und er hat die Melodien dafür, und dann bringen wir drei ihm bei, Songs zu schreiben. Und auf einmal stellt sich die Muse ein. In meinem Buch zitiere ich mein wissenscha­ftliches Idol, den Astrophysi­ker Neil deGrasse Tyson. Der meinte, dass die Erde auch der Gravitatio­n der anderen Planeten in unserem Sonnensyst­em ausgesetzt ist. Das heißt, alle ziehen aneinander und stoßen einander und machen Sphärenmus­ik. Diese außergewöh­nliche Konstellat­ion findest du auch in einer Band. Und dass ich das mit den Doors erleben durfte, dafür bin ich einfach nur dankbar.

Interview: Rüdiger Sturm

● John Densmore, 76, war Schlag‐ zeuger der Band The Doors. Sein Buch „Music Lovers“ist im Hannibal Verlag erschienen (208 Seiten, 20 Euro). (AZ)

 ?? Foto: Ed Crisostomo, dpa ?? Für viele Menschen ist die Musik der Doors zum Soundtrack ihres Lebens geworden. Im kalifornis­chen Encino wurden zwei Straßen nach Sänger Jim Morrison und Schlag‐ zeuger John Densmore (im Bild eine Aufnahme aus dem Jahr 2018) benannt.
Foto: Ed Crisostomo, dpa Für viele Menschen ist die Musik der Doors zum Soundtrack ihres Lebens geworden. Im kalifornis­chen Encino wurden zwei Straßen nach Sänger Jim Morrison und Schlag‐ zeuger John Densmore (im Bild eine Aufnahme aus dem Jahr 2018) benannt.

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