Neue Corona‐Pille: Ist Deutschland wieder zu langsam?
Pandemie Bei der Bestellung von Tabletten droht ein Desaster wie bei den Impfstoffen
Berlin Vor einem Jahr tobte in Deutschland der Impfstoff-Streit. Die Regierung hatte zu spät und zu wenig Serum gegen das Corona-Virus bestellt, es reichte hinten und vorne nicht. Diese Geschichte scheint sich gerade zu wiederholen, diesmal bei den Tabletten, die Covid-19-Erkrankten helfen sollen. Es gibt sie schon, einige Länder haben sie bereits bestellt – nur die Bundesregierung verschläft die Entwicklung. Bestellungen jedenfalls gibt es noch keine, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erklärt lediglich, man sei „an dem Thema dran“.
Es geht vorrangig um antivirale Pillen der US-Pharmaunternehmen MSD (Merck) und Pfizer. Die österreichische Bundesregierung etwa hat gerade für 50 Millionen Euro von diesen Firmen die Medikamente Lagevrio (Molnupiravir) und Paxlovid bestellt. Sie können eine Impfung nicht ersetzen, sollen aber bei chronisch Kranken und Risikopatienten, die an Covid-19 erkrankt sind, Leben retten. Auch reduziert sich durch die Tabletten die Zahl der Menschen, die ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen, um mindestens die Hälfte, wie Erprobungsstudien zeigen.
„Wir sind in Verhandlungen, in sehr konkreten, sowohl mit MSD als auch mit Pfizer, was die antiviralen Tabletten angeht“, sagt Spahn. Die geschäftsführende Regierung mache sich „Gedanken darüber, wie wir die so ins System bringen, dass sie dann auch sehr frühzeitig die Patientinnen und Patienten, die es betrifft, erreichen“.
Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) ist bereits dran. Sie leitete vor wenigen Tagen eine Prüfung von Paxlovid ein. Ziel ist es, die „die nationalen Behörden zu unterstützen, die möglicherweise über eine frühzeitige Anwendung von Paxlovid für Covid-19 entscheiden, zum Beispiel in Notfallsituationen, bevor eine Zulassung erteilt wird“.
Bei Lagevrio läuft die Überprüfung, es gibt aber bereits eine EMA-Empfehlung für die Behandlung bei Erwachsenen, die keinen zusätzlichen Sauerstoff benötigen. Auch wenn beide Präparate noch nicht zugelassen sind, nehmen die Hersteller schon jetzt Bestellungen entgegen, um nach der Zulassung liefern zu können. Deutschland steht in der Schlange hinten.
Der CDU-Politiker Spahn weist deshalb darauf hin, dass es eine weltweite Nachfrage nach CoronaTabletten gibt. „Es ist gerade so, dass 190 Staaten auf der Welt im Zweifel diese Produkte haben wollen – oder zumindest viele Staaten.“Zu Beginn seien diese Tabletten „natürlich wieder knappe Güter. Deswegen kümmere ich mich ja auch persönlich.“
Die Bestellungen können über den EU-Einkaufsmechanismus vorgenommen werden, der im Zuge der Impfstoffbeschaffung eingeführt wurde. Österreich behält sich aber vor, direkt bei den Herstellern einzukaufen. Andere Staaten gehen noch selbstbewusster an die Sache heran. US-Präsident Joe Biden verkündete kürzlich, „dass wir zehn Millionen Behandlungseinheiten der antiviralen Covid-19-Pille von Pfizer gekauft haben, die ab Ende dieses Jahres und bis 2022 geliefert werden sollen“. Die amtliche Prüfung sei zwar noch nicht abgeschlossen, seine Regierung treffe aber bereits jetzt Vorbereitungen.
In Deutschland fordert die Opposition ein höheres Tempo ein. „Wenn die Arzneimittel wirklich einen therapeutischen Durchbruch bei der Behandlung von schwer Covid-Kranken bedeuten, ist die Versorgung für mich eine Frage des öffentlichen Gesundheitsschutzes“, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Susanne Ferschl, unserer Redaktion. Es seien „alle Hebel zu aktivieren, um rasch eine ausreichende Produktion zu gewährleisten und um die Preise zu regulieren“.