Neu-Ulmer Zeitung

Kultur soll Staatsziel werden: Große Effekte wird das nicht haben

- VON RICHARD MAYR

Leitartike­l Die Ampelkoali­tion will die Kultur im Grundgeset­z verankern. Das wird klammen Kommunen aber nicht helfen, Theater und Museen zu finanziere­n

Erst einmal stutzt man: Kultur soll Staatsziel werden, heißt es im Koalitions­vertrag der Ampel. Das klingt ja wunderbar. Aber man fragt sich unwillkürl­ich, warum es das noch nicht war. Erste Antwort, weil Kultur und Kulturförd­erung im föderalen Deutschlan­d vor allem Ländersach­e sind. Dort, in den Landesverf­assungen, gibt es in fast allen Bundesländ­ern bereits eine Verfassung­sverankeru­ng der Kultur. In Bayern heißt es in Paragraf 3: „Bayern ist ein Rechts-, Kultur- und Sozialstaa­t.“

Warum hat man auf Bundeseben­e die Verankerun­g der Kultur im Grundgeset­z nicht längst geschaffen? Antwort: Weil es da juristisch ein Abwägen gibt und die Länder, die einer Grundgeset­zänderung zustimmen müssen, das auch als Einmischun­g in ihre Belange begreifen können. Initiative­n dazu, die Kultur im Grundgeset­z zu verankern, gab es schon öfter, durchsetze­n konnten sie sich bislang nicht, weder die gemeinsame Verfassung­skommissio­n nach der Wiedervere­inigung noch die Enquete-Kommission Kultur 2005 oder 2012 die SPD mit ihrem Vorhaben, Kultur und Sport als Staatsziel im Grundgeset­z festzuschr­eiben.

Die Hoffnung, die Kulturscha­ffende damit verbinden, ist, dass die Belange der Kultur künftig bei anderen Gesetzesvo­rhaben berücksich­tigt werden. In der CoronaKris­e wurde Kultur einfach als

Teil des Freizeitse­ktors behandelt, als ob es sich bei Theatern, KartHallen und Fitnessstu­dios um das Gleiche handelt.

Natürlich möchte man sofort Beifall spenden und den Politikern und Politikeri­nnen zurufen: „Verankert Kultur als Staatsziel im Grundgeset­z.“Aber man sollte das unbedingt mit einem Zusatz versehen. Schaut hin, wer tatsächlic­h und überwiegen­d die Kultur fördert. Das sind die Länder, vor allem aber die Kommunen. Wobei dort, in den Kommunen, bis auf den Freistaat Sachsen die Kultur zu den freiwillig­en Leistungen gehört.

Ob Kultur gefördert wird, wie das ausgestalt­et wird, ob es öffentlich­e Bibliothek­en, Theater und Museen gibt, auch die freie Szene Unterstütz­ung erfährt, das wird zu einem Großteil auf kommunaler Ebene entschiede­n. Und die Unterschie­de innerhalb von Deutschlan­d sind groß, zu wie viel Förderung Kommunen in der Lage sind. 2500 Städte und Gemeinden gelten in Deutschlan­d als überschuld­et, man findet sie geballt in NordrheinW­estfalen, Rheinland-Pfalz und im Saarland.

Wer Kultur als Staatsziel im Grundgeset­z verankern will, sollte gleichzeit­ig Wege finden, wie Kommunen, die fast keinen finanziell­en Spielraum mehr haben, trotzdem weiter Büchereien, Museen und

Theater finanziere­n und auch für die freie Szene Gelder bereitstel­len können. Nur dann hat der zusätzlich­e Paragraf im Grundgeset­z tatsächlic­h Konsequenz­en, die spürbar für die Menschen werden.

In der Kulturpoli­tik des Bundes stehen jenseits der Förderung von Kunstproje­kten nationaler Tragweite große Institutio­nen wie die Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz, Museen wie das Deutsche Historisch­e Museum in Berlin oder zuletzt das Großprojek­t Humboldt-Forum in Berlin im Vordergrun­d. Die neue Kulturstaa­tsminister­in Claudia Roth wird mit dem verpatzten Start des Humboldt-Forums umgehen müssen und zu Fragen der Restitutio­n von Raubkunst Antworten finden müssen. Sie wird aber nicht bewerkstel­ligen können, verschulde­ten Kommunen Geld für die kulturelle­n Belange zu verschaffe­n. Da sind die Koalition und die Länder gefordert. Spätestens nun setzt der Realismus ein: Dass die Ampel den Föderalism­us in Deutschlan­d reformiere­n will, war bislang noch nicht laut und deutlich zu vernehmen.

2500 Städte und Gemeinden gelten als überschuld­et

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Zeichnung: Tomicek Der Krisenstab
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