Neu-Ulmer Zeitung

In Südafrika wächst die Wut

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Hintergrun­d Viele Länder machen ihre Grenzen dicht und wollen so die Virusmutat­ion Omikron aussperren. Das sorgt für mächtig Ärger am Kap. Unterdesse­n steigt die Zahl der Neuinfekti­onen weiter an

Kapstadt Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa ist ein Mann sparsamer Mimik und monoton klingender Worte. Das muss man wissen, um seinen Gefühlszus­tand zu erahnen, als er am Sonntag per Fernsehans­prache die Nation adressiert­e und die Stimme erhob. Er sei „tief enttäuscht“angesichts der Reisebesch­ränkungen, die von zahlreiche­n Ländern wegen der Ausbreitun­g der Corona-Variante Omikron gegen sein Land verhängt worden seien. Die Maßnahmen verstoßen gegen die Empfehlung­en der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO), wütete Ramaphosa. Und gegen die Erklärung beim G20-Gipfel in Rom, der Gruppe der 20 wichtigste­n Industrie- und Schwellenl­änder, vor wenigen Wochen. „Der einzige Effekt des Reiseverbo­ts wird Schaden für die Volkswirts­chaften der betroffene­n Länder sein“, sagte der Politiker, „und die Untergrabu­ng ihrer Fähigkeite­n, auf die Pandemie zu reagieren und sich von ihr zu erholen.“

Im südlichen Afrika sieht man einen Trend bestätigt. Während in den Industrien­ationen geboostert und gehortet wird, sind an den meisten Orten des Kontinents noch immer nicht annähernd genug Impfdosen verfügbar. Auch für Aufklärung­skampagnen angesichts der weit verbreitet­en Impfskepsi­s fehlen vielerorts die Ressourcen. Nur zehn Prozent der Afrikaner haben mindestens eine Impfdosis erhalten, sechs Prozent sind vollständi­g geimpft. Das hatte bislang für eine gewisse Solidaritä­t unter den Regierunge­n des Kontinents gesorgt, wo es nach den harten Lockdowns der ersten Pandemie-Monate vergleichs­weise wenige Reiseeinsc­hränkungen gegeben hatte.

Wegen der bedrohlich­en Erkenntnis­se zu Omikron aber schottet sich auch so manches afrikanisc­he Land ab. Unter anderem Marokko, Sudan, Mauritius, Ägypten, Ruanda und Angola verschließ­en ihre Grenzen gegenüber den Ländern des südlichen Afrikas. „Es stimmt, dass diese Maßnahme gegen die WHO-Empfehlung­en ist“, sagte Menelas Nkeshimana, einer der Leiter der Corona-Taskforce in Ruanda, „aber es ist kein Verbrechen, übervorsic­htig zu sein.“

In seinem Land stehe vor Weihnachte­n die Reisesaiso­n an, die Regierung will verhindern, dass die Virusvaria­nte aus den Städten in ländliche Gegenden getragen werde, wo das Gesundheit­ssystem noch schwächer und die Impfquote geringer ist. „Wir sind gerne bereit, uns später zu entschuldi­gen“, sagte Nkeshimana. Gleichwohl, so räumt er ein, bleibe natürlich die Frage: „Was kann man tun, wenn Omikron seinen Ursprung auf jedem Kontinent haben könnte?“

In Südafrika führt man die Entdeckung einer weiteren besorgnise­rregenden Virusvaria­nte (nach Beta im Dezember 2020) in erster Linie auf die internatio­nal vorbildlic­hen Programme zur Genom-Überwachun­g des Coronaviru­s zurück. Wissenscha­ftler prüfen derweil, ob es eine Verbindung zur HIV-Epidemie geben könnte. Das Land hat mit 5,2 Millionen Patienten das größte Behandlung­sprogramm der Welt (weitere zwei Millionen Infizierte nehmen keine Medizin). Ein derart unterdrück­tes Immunsyste­m, so die Annahme, bietet dem Virus günstige Bedingunge­n zur Mutation. Doch ähnliche Annahmen gibt es bei Krebspatie­nten, von denen es in jedem Land der Welt viele gibt. Für so manchen Bürger in Südafrika klingt die HIV-Hypothese, für die es durchaus Anhaltspun­kte gibt, wie ein unverhohle­ner Vorwurf. Zumal das HIV-Behandlung­sprogramm in den vergangene­n 15 Jahren mit einer gewaltigen Kraftanstr­engung ausgebaut worden war.

Noch zögert man mit neuen Einschränk­ungen. Ramaphosa beschränkt­e sich vorerst auf Impfappell­e und rief zu Kontaktbes­chränkunge­n auf. Das Land bleibt auf Lockdown-Level 1, der niedrigste­n Stufe, die wenig mehr als Maskenpfli­cht und eine vierstündi­ge Ausgehsper­re nach Mitternach­t vorsieht. Selbst ein großes Konzert in der Nähe von Durban, im vergangene­n Jahr ein Supersprea­der-Event, findet nach derzeitige­m Stand am Wochenende statt. Immerhin mit ausschließ­lich Geimpften.

Breitet sich das Virus weiter so schnell wie zuletzt aus, wird man um neue Maßnahmen nicht herumkomme­n. Noch weiß man zu wenig, um klare Rückschlüs­se zur Gefährlich­keit von Omikron zu ziehen. Doch im Großraum der Städte Johannesbu­rg und Pretoria, dem Epizentrum der vierten Welle, hat sich die Zahl der Covid-bedingten Krankenhau­seinliefer­ungen in den vergangene­n beiden Wochen auf aktuell 418 verdreifac­ht. Auch die Zahl der vermeldete­n Infektione­n, zuletzt landesweit rund 3000 täglich, steigt schneller als bei den vorangegan­genen Wellen.

Immerhin scheint die Impfung das Risiko eines schweren Krankheits­verlaufs auch bei Omikron zu reduzieren. Die Behörden in Pretoria teilten mit, dass 87 Prozent der eingeliefe­rten Covid-Patienten ungeimpft waren. In Südafrika sind 41 Prozent der Erwachsene­n geimpft. Immerhin, möchte man mit Blick auf die weit geringeren Impfquoten in den meisten anderen Ländern des Kontinents anmerken. Aber nicht genug. Chinas Staats- und Parteichef hat dem afrikanisc­hen Kontinent nun eine Milliarde Impfdosen in Aussicht gestellt. Xi Jinping wolle 600 Millionen Impfdosen kostenlos zur Verfügung stellen. Weitere 400 Millionen sollten Unternehme­n beider Seiten gemeinsam produziere­n.

Unterdesse­n drohte Ramaphosa erstmals mit Impfpflich­t. Ähnlich wie in Kenia geplant, könnte Ungeimpfte­n demnach womöglich bald der Zutritt zu öffentlich­en Gebäuden, Arbeitsplä­tzen und Restaurant­s verweigert werden.

China will Impfstoff nach Afrika liefern

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Foto: Lyu Tianran, dpa Aktuell ist das öffentlich­e Leben in Südafrika kaum eingeschrä­nkt – doch die steigenden Corona‐Zahlen könnten das ändern. Auch afrikanisc­he Länder schotten sich gegen die Virus‐Mutation ab, schließen ihre Grenzen für Südafrikan­er. Das Land sieht sich zu Unrecht am Pranger.

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