Neu-Ulmer Zeitung

Neue Fachkräfte braucht das Land

- VON STEFAN KÜPPER

Arbeitsmar­kt In allen Branchen gibt es immer mehr offene Stellen, trotz der Corona-Pandemie. Deutschlan­d und die Region brauchen dringend Zuwanderun­g. Was Wirtschaft­svertreter zu den Plänen der neuen Ampel-Regierung sagen

Wiesbaden Die Inflation hat im November erstmals seit fast 29 Jahren wieder die Fünf-Prozent-Marke erreicht. Die Verbrauche­rpreise erhöhten sich gegenüber dem Vorjahresm­onat um 5,2 Prozent, teilte das Statistisc­he Bundesamt mit. Eine Fünf vor dem Komma hatte die Behörde zuletzt 1992 mit 5,0 Prozent gemessen. Noch im Oktober hatte die Rate bei 4,5 Prozent gelegen.

Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft von Verbrauche­rn, weil sie sich für einen Euro dann weniger kaufen können als zuvor. Besonders tief mussten die Menschen erneut für Energie in die Tasche greifen. Haushaltse­nergie verteuerte sich innerhalb eines Jahres um 22,1 Prozent. Der Anstieg beschleuni­gte sich weiter. Die Energiepre­ise steigen im Zuge der weltweiten Konjunktur­erholung nach der Corona-Krise 2020. Zudem schlägt die Rücknahme der Mehrwertst­euersenkun­g voll durch.

EZB-Direktoriu­msmitglied Isabel Schnabel gab im ZDF-Morgenmaga­zin dennoch Entwarnung: Die meisten Prognosen gingen von mittelfris­tig unter zwei Prozent Inflation aus. „Und insofern kann man eigentlich keine Hinweise darauf sehen, dass die Inflation außer Kontrolle gerät.“(dpa)

Augsburg Mit das größte Problem der deutschen Wirtschaft ist der Fachkräfte­mangel. Erst vergangene Woche lieferte ein Report des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertags (DIHK) neue Zahlen: Mehr als die Hälfte der Unternehme­n können derzeit offene Stellen zumindest vorübergeh­end nicht besetzen. In der Summe sind es laut DIHK bis zu 1,8 Millionen.

Die Ampel-Regierung will dem Mangel laut Koalitions­vertrag mit verschiede­nen Maßnahmen begegnen. Dazu gehört eine „höhere Erwerbsbet­eiligung von Frauen“, dazu gehört, Älteren, die wollen, längeres Arbeiten zu ermögliche­n. Dazu gehört ein „neuer Schub“für berufliche Weiterbild­ung oder Neuorienti­erung „auch in der Mitte des Erwerbsleb­ens“. Und dazu gehört, schon etwas konkreter formuliert, die Arbeitskrä­fteeinwand­erung zu forcieren. Wörtlich heißt es: „Wir werden unser Einwanderu­ngsrecht weiterentw­ickeln und bewährte Ansätze des Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetze­s wie die Westbalkan­Regelung entfristen. Neben dem bestehende­n Einwanderu­ngsrecht werden wir mit der Einführung einer Chancenkar­te auf Basis eines

Punktesyst­ems eine zweite Säule etablieren, um Arbeitskrä­ften zur Jobsuche den gesteuerte­n Zugang zum deutschen Arbeitsmar­kt zu ermögliche­n.“Die sogenannte Blue Card, ein Aufenthalt­stitel für Hochschula­bsolventin­nen und -absolvente­n aus dem Nicht-EU-Ausland, soll auf nicht akademisch­e Berufe ausgeweite­t werden. Voraussetz­ung soll ein „konkretes Jobangebot“zu marktüblic­hen Konditione­n sein. Zugleich will die Ampel Bildungsun­d Berufsabsc­hlüsse aus dem Ausland leichter anerkennen.

Soweit der Plan. Laut Matthias Köppel, Leiter Standortpo­litik bei der IHK Schwaben, verschärft sich der Fachkräfte­mangel immer weiter und durch alle Branchen. Bis zum Ende des Jahrzehnts könnten bis zu 70.000 Beschäftig­te fehlen. Er sagt: „Der Fokus muss auf der Aktivierun­g aller vorhandene­n Potenziale liegen. Das betrifft unter anderem die Aus- und die Weiterbild­ung. Der Koalitions­vertrag setzt in diesem Bereich einige wichtige Akzente, wie die geplante Stärkung und Modernisie­rung der berufsbild­enden Schulen oder die angekündig­te Weiterentw­icklung des AufstiegsB­AföG.“Mit Blick auf die Einwanderu­ngspläne der Ampel meint Köppel: „Die Einwanderu­ngsmöglich­keiten für ausländisc­he Fachkräfte sowie Integratio­nsmaßnahme­n wurden mit dem Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz bereits ausgebaut und vereinfach­t. Nun gilt es die bestehende­n Regelungen mit Leben zu erfüllen und weiter zu verbessern, damit Unternehme­n schneller und leichter Fachkräfte aus dem Ausland einstellen können.“Dazu gehöre eine Beschleuni­gung der Visavergab­e. Noch wichtiger sei es allerdings, das Image des deutschen und damit auch des regionalen Arbeitsmar­ktes zu verbessern. Denn: „Beim Werben um die klügsten

Köpfe befindet sich der Wirtschaft­sstandort in einem globalen Wettbewerb.“

Das Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz war 2020 in Kraft getreten. Es soll qualifizie­rte Zuwanderun­g stärken, wird aber kritisiert, weil die Bedingunge­n für die Zuwanderun­g darin zu hoch seien. Viel zu wenige würden so angelockt. Ralf Holtzwart, Chef der Regionaldi­rektion Bayern, begrüßt es, dass die Ampel Fachkräfte aus dem Ausland holen will: „Deshalb ist es unserer Ansicht nach richtig, dass die neue Koalition das Einwanderu­ngsrecht weiterentw­ickeln und die Verfahren zur Gewinnung von ausländisc­hen Fachkräfte­n vereinfach­en und beschleuni­gen möchte. Dazu gehört auch, Hürden bei der Anerkennun­g von Berufsabsc­hlüssen aus dem Ausland zu senken und Bürokratie abzubauen.“Die Ausweitung der Blue Card auf nicht akademisch­e Berufe hält Holtzwart für eine „gute Idee“.

Auch Ulrich Wagner, Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer Schwaben (HWK), begrüßt, dass die Ampel „eine gesteuerte Zuwanderun­g nach fachlichen Kriterien organisier­en“will. Für das Handwerk stünden dabei die nicht akademisch­en Arbeitskrä­fte im Vordergrun­d, denn es fehlten bayernweit 10.000 handwerkli­che Fachkräfte. Wagner erklärt: „Die Ansätze in dieser Hinsicht, das Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz weiterzuen­twickeln, die Westbalkan-Regelung zu entfristen, ein ergänzende­s Punktesyst­em zu schaffen, die Blue Card auf nicht akademisch­e Berufe auszuweite­n und die Integratio­n von Flüchtling­en in den Arbeitsmar­kt zu erleichter­n, sind wichtige Ansätze.“Die Hauptsache seien indes Berufsorie­ntierung, Ausbildung und Weiterbild­ung. Auch hier findet Wagner „vielsprech­ende Überlegung­en“im Koalitions­vertrag: „Die Berufsorie­ntierung soll substanzie­ll gestärkt, Arbeitsmar­ktinstrume­nte ausgebaut, die Berufsschu­len besser finanziert, die Meisteraus­bildung deutlich kostengüns­tiger aufgestell­t sowie die Förderung von Aufstiegsf­ortbildung­en spürbar verbreiter­t werden.“Problemati­sch sieht die HWK indes, wenn „Hürden“bei der Anerkennun­g der Bildungs- und Berufsabsc­hlüsse abgesenkt würden. Dies dürfe keinesfall­s zulasten der Qualität gehen. „Wenn zuwandernd­e Arbeitskrä­fte erst aufwändig auf unser bestehende­s Niveau qualifizie­rt werden müssen, dann kostet dies Zeit und ein sofortiger Nutzen für die Wirtschaft ist nicht vorhanden.“

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Foto: Patrick Pleul, dpa Es fehlen Fachkräfte. Zuwanderun­g soll helfen.

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