Neue Fachkräfte braucht das Land
Arbeitsmarkt In allen Branchen gibt es immer mehr offene Stellen, trotz der Corona-Pandemie. Deutschland und die Region brauchen dringend Zuwanderung. Was Wirtschaftsvertreter zu den Plänen der neuen Ampel-Regierung sagen
Wiesbaden Die Inflation hat im November erstmals seit fast 29 Jahren wieder die Fünf-Prozent-Marke erreicht. Die Verbraucherpreise erhöhten sich gegenüber dem Vorjahresmonat um 5,2 Prozent, teilte das Statistische Bundesamt mit. Eine Fünf vor dem Komma hatte die Behörde zuletzt 1992 mit 5,0 Prozent gemessen. Noch im Oktober hatte die Rate bei 4,5 Prozent gelegen.
Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft von Verbrauchern, weil sie sich für einen Euro dann weniger kaufen können als zuvor. Besonders tief mussten die Menschen erneut für Energie in die Tasche greifen. Haushaltsenergie verteuerte sich innerhalb eines Jahres um 22,1 Prozent. Der Anstieg beschleunigte sich weiter. Die Energiepreise steigen im Zuge der weltweiten Konjunkturerholung nach der Corona-Krise 2020. Zudem schlägt die Rücknahme der Mehrwertsteuersenkung voll durch.
EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel gab im ZDF-Morgenmagazin dennoch Entwarnung: Die meisten Prognosen gingen von mittelfristig unter zwei Prozent Inflation aus. „Und insofern kann man eigentlich keine Hinweise darauf sehen, dass die Inflation außer Kontrolle gerät.“(dpa)
Augsburg Mit das größte Problem der deutschen Wirtschaft ist der Fachkräftemangel. Erst vergangene Woche lieferte ein Report des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) neue Zahlen: Mehr als die Hälfte der Unternehmen können derzeit offene Stellen zumindest vorübergehend nicht besetzen. In der Summe sind es laut DIHK bis zu 1,8 Millionen.
Die Ampel-Regierung will dem Mangel laut Koalitionsvertrag mit verschiedenen Maßnahmen begegnen. Dazu gehört eine „höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen“, dazu gehört, Älteren, die wollen, längeres Arbeiten zu ermöglichen. Dazu gehört ein „neuer Schub“für berufliche Weiterbildung oder Neuorientierung „auch in der Mitte des Erwerbslebens“. Und dazu gehört, schon etwas konkreter formuliert, die Arbeitskräfteeinwanderung zu forcieren. Wörtlich heißt es: „Wir werden unser Einwanderungsrecht weiterentwickeln und bewährte Ansätze des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes wie die WestbalkanRegelung entfristen. Neben dem bestehenden Einwanderungsrecht werden wir mit der Einführung einer Chancenkarte auf Basis eines
Punktesystems eine zweite Säule etablieren, um Arbeitskräften zur Jobsuche den gesteuerten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen.“Die sogenannte Blue Card, ein Aufenthaltstitel für Hochschulabsolventinnen und -absolventen aus dem Nicht-EU-Ausland, soll auf nicht akademische Berufe ausgeweitet werden. Voraussetzung soll ein „konkretes Jobangebot“zu marktüblichen Konditionen sein. Zugleich will die Ampel Bildungsund Berufsabschlüsse aus dem Ausland leichter anerkennen.
Soweit der Plan. Laut Matthias Köppel, Leiter Standortpolitik bei der IHK Schwaben, verschärft sich der Fachkräftemangel immer weiter und durch alle Branchen. Bis zum Ende des Jahrzehnts könnten bis zu 70.000 Beschäftigte fehlen. Er sagt: „Der Fokus muss auf der Aktivierung aller vorhandenen Potenziale liegen. Das betrifft unter anderem die Aus- und die Weiterbildung. Der Koalitionsvertrag setzt in diesem Bereich einige wichtige Akzente, wie die geplante Stärkung und Modernisierung der berufsbildenden Schulen oder die angekündigte Weiterentwicklung des AufstiegsBAföG.“Mit Blick auf die Einwanderungspläne der Ampel meint Köppel: „Die Einwanderungsmöglichkeiten für ausländische Fachkräfte sowie Integrationsmaßnahmen wurden mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz bereits ausgebaut und vereinfacht. Nun gilt es die bestehenden Regelungen mit Leben zu erfüllen und weiter zu verbessern, damit Unternehmen schneller und leichter Fachkräfte aus dem Ausland einstellen können.“Dazu gehöre eine Beschleunigung der Visavergabe. Noch wichtiger sei es allerdings, das Image des deutschen und damit auch des regionalen Arbeitsmarktes zu verbessern. Denn: „Beim Werben um die klügsten
Köpfe befindet sich der Wirtschaftsstandort in einem globalen Wettbewerb.“
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz war 2020 in Kraft getreten. Es soll qualifizierte Zuwanderung stärken, wird aber kritisiert, weil die Bedingungen für die Zuwanderung darin zu hoch seien. Viel zu wenige würden so angelockt. Ralf Holtzwart, Chef der Regionaldirektion Bayern, begrüßt es, dass die Ampel Fachkräfte aus dem Ausland holen will: „Deshalb ist es unserer Ansicht nach richtig, dass die neue Koalition das Einwanderungsrecht weiterentwickeln und die Verfahren zur Gewinnung von ausländischen Fachkräften vereinfachen und beschleunigen möchte. Dazu gehört auch, Hürden bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen aus dem Ausland zu senken und Bürokratie abzubauen.“Die Ausweitung der Blue Card auf nicht akademische Berufe hält Holtzwart für eine „gute Idee“.
Auch Ulrich Wagner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Schwaben (HWK), begrüßt, dass die Ampel „eine gesteuerte Zuwanderung nach fachlichen Kriterien organisieren“will. Für das Handwerk stünden dabei die nicht akademischen Arbeitskräfte im Vordergrund, denn es fehlten bayernweit 10.000 handwerkliche Fachkräfte. Wagner erklärt: „Die Ansätze in dieser Hinsicht, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz weiterzuentwickeln, die Westbalkan-Regelung zu entfristen, ein ergänzendes Punktesystem zu schaffen, die Blue Card auf nicht akademische Berufe auszuweiten und die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zu erleichtern, sind wichtige Ansätze.“Die Hauptsache seien indes Berufsorientierung, Ausbildung und Weiterbildung. Auch hier findet Wagner „vielsprechende Überlegungen“im Koalitionsvertrag: „Die Berufsorientierung soll substanziell gestärkt, Arbeitsmarktinstrumente ausgebaut, die Berufsschulen besser finanziert, die Meisterausbildung deutlich kostengünstiger aufgestellt sowie die Förderung von Aufstiegsfortbildungen spürbar verbreitert werden.“Problematisch sieht die HWK indes, wenn „Hürden“bei der Anerkennung der Bildungs- und Berufsabschlüsse abgesenkt würden. Dies dürfe keinesfalls zulasten der Qualität gehen. „Wenn zuwandernde Arbeitskräfte erst aufwändig auf unser bestehendes Niveau qualifiziert werden müssen, dann kostet dies Zeit und ein sofortiger Nutzen für die Wirtschaft ist nicht vorhanden.“