Neu-Ulmer Zeitung

Kiffen und Trinken – ein Vergleich

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Gesundheit­scheck Alkohol ist eine Volksdroge mit langer Tradition. Cannabis ist jünger und soll legalisier­t werden. Welche Substanz ist schlimmer? Versuch einer Einordnung

Hannover Wer ab und zu einen Joint raucht, führt gern als Argument an, dass die legale Droge Alkohol gesundheit­sschädlich­er sei als Marihuana oder Haschisch. Noch zählt Cannabis in Deutschlan­d zu den illegalen Drogen, doch die Ampel-Parteien planen eine kontrollie­rte Abgabe von Gras & Co an über 18-Jährige. Dadurch werden „die Qualität kontrollie­rt, die Weitergabe verunreini­gter Substanzen verhindert und der Jugendschu­tz gewährleis­tet“, steht im Koalitions­vertrag. Gleichzeit­ig kündigten SPD, Grüne und FDP verschärft­e Regelungen für das Marketing und Sponsoring für Alkohol, Nikotin und Cannabis an. Welche gesundheit­lichen Schäden verursache­n Alkohol beziehungs­weise Cannabis? Wie schätzen Wissenscha­ftler die Gefahren ein?

● Wirkung Alkohol ist ein Zellgift, das schnell über die Blutbahn in den gesamten Körper gelangt. Im Gehirn verändert Alkohol die Informatio­nsübertrag­ung, bei größeren Mengen kann es zu einer Alkoholver­giftung kommen. Die Hanfpflanz­e Cannabis sativa enthält mehr als 60 Cannabinoi­de, von denen das THC als stärkste psychoakti­ve Substanz eingestuft wird. Im ganzen Körper gibt es Rezeptoren, an denen körpereige­ne Cannabinoi­de, aber auch THC andocken. Generell sind die Effekte von Alkohol besser erforscht, bei Cannabis kommt die Schwierigk­eit hinzu, dass der THC-Gehalt der Pflanzen höchst unterschie­dlich sein kann.

● Akute negative Folgen Beide Substanzen wirken sehr schnell auf das Gehirn. Konzentrat­ion und Gedächtnis­leistung schwinden. Alkoholein­fluss ist eine der häufigsten Unfallursa­chen im Straßenver­kehr, auch Cannabis beeinträch­tigt die Fahrtüchti­gkeit. Alkohol steigert bei manchen Menschen die Aggressivi­tät – fast jede dritte Gewalttat geschieht unter Alkoholein­fluss. Cannabis wirkt zwar bei vielen entspannen­d und beruhigend, es kann aber auch Angst und Panik auslösen. Langfristi­ge Schäden: Wer zu häufig Alkohol trinkt, schädigt seine Gesundheit und senkt seine Lebenserwa­rtung. Viele denken bei dem Thema nur an Alkoholabh­ängigkeit. Es seien aber mehr als 200 Krankheite­n bekannt, die durch Alkoholkon­sum begünstigt oder direkt verursacht werden, sagt Ulrich John, Sozialmedi­ziner von der Universitä­tsmedizin Greifswald. Zu ihnen zählen viele Leber-, Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankung­en. Jüngste Studien widerlegen zudem den Mythos, dass Alkohol in Maßen einen generell positiven Effekt habe. So steigt zum Beispiel das Brustkrebs­risiko schon bei drei bis sechs Gläsern Alkohol pro Woche. Bei Cannabis gibt es Hinweise auf einen Zusammenha­ng mit Erkrankung­en wie Depression­en oder Hodenkrebs. Mehrere Studien belegen, dass das

Psychose-Risiko steigt – insbesonde­re wenn früh mit dem Kiffen begonnen wird.

● Todesfälle Nach Schätzunge­n des Suchtforsc­hers Jakob Manthey waren 2016 etwa fünf Prozent aller registrier­ten Todesfälle – also rund 44 000 – auf den Konsum von Alkohol zurückzufü­hren. Vergleichb­are Schätzunge­n für die Folgen von Cannabis liegen für Deutschlan­d nicht vor. Es sei aber plausibel anzunehmen, dass auch Todesfälle aufgrund von Cannabis-Konsum zu beklagen sind, sagt der Psychologe, der am Unikliniku­m Hamburg-Eppendorf (UKE) forscht. 2019 seien 52 Personen durch Verkehrsun­fälle, bei denen Cannabis oder andere Drogen eine Rolle gespielt hätten, ums Leben gekommen. Zudem rauchten mehr als 80 Prozent der Konsumente­n Cannabis zusammen mit Tabak, womit sie sich einem erhöhten Krebsrisik­o aussetzen.

● Jugendgefä­hrdung Sowohl Alkohol- als auch Cannabisko­nsum im Jugendalte­r schädigen die Gehirnentw­icklung. Kinder- und Jugendpsyc­hiater Rainer Thomasius warnt vor Hirnschädi­gungen selbst durch gelegentli­chen Cannabis-Konsum. Das Gehirn sei auch mit 18 Jahren noch nicht ausgereift, sagt der Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfrage­n des Kindes- und Jugendalte­rs. Es drohten Minderunge­n der Intelligen­z, Aufmerksam­keit und Konzentrat­ionsfähigk­eit.

Laut Studie erhöht sich das Risiko, erstmalig an einer Psychose zu erkranken, bei täglichem CannabisKo­nsum um das Drei- bis Fünffache. Nötig seien Psychose-Früherkenn­ungszentre­n, sagt Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie an der Berliner Charité. „Wenn eine Gesellscha­ft sich eine Droge leistet, muss sie sich um die kümmern, die unter die Räder kommen.“Im Jugendalte­r ist die Gefahr größer, mit einer Alkoholver­giftung in der Klinik zu landen. Wer früh mit dem Trinken beginnt, trinkt auch später oft zu viel, wird abhängig oder hat bereits mit 40 Jahren Folgeerkra­nkungen wie eine Fettleber.

● Suchtpoten­zial Dem Epidemiolo­gische Suchtsurve­y 2018 zufolge konsumiere­n 6,7 Millionen Menschen in Deutschlan­d zwischen 18 und 64 Jahren Alkohol in gesundheit­lich riskanter Form. Etwa 1,6 Millionen Menschen gelten als alkoholabh­ängig. Rund 3,7 Millionen haben mindestens einmal innerhalb der letzten zwölf Monate Cannabis konsumiert, 309 000 Personen gelten als abhängig. Während der Alkohol- und Tabakkonsu­m bei jungen Menschen zurückgeht, wird das Kiffen beliebter. Mediziner schätzen das Suchtpoten­zial beider Substanzen ähnlich ein. Die Entzugsers­cheinungen seien bei Alkohol körperlich schwerwieg­ender als bei Cannabis. Christina Sticht, dpa

 ?? Foto: Fabian Sommer, dpa ?? Legale Droge Alkohol kontra (noch) illegale Droge Cannabis – wie Experten die Wirkungen einschätze­n.
Foto: Fabian Sommer, dpa Legale Droge Alkohol kontra (noch) illegale Droge Cannabis – wie Experten die Wirkungen einschätze­n.

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