Neu-Ulmer Zeitung

„Ich sollte mich verabschie­den“

- VON JONATHAN LINDENMAIE­R

Schicksale Mit Todesangst an der Beatmungsm­aschine – alleine, ohne Beistand. Drei Menschen erzählen von ihrer Covid-Erkrankung, der Behandlung im Krankenhau­s und den psychische­n Folgen

Augsburg Die Kliniken laufen voll, täglich sterben dort Menschen an Covid 19. Diejenigen, die überleben, spüren die Nachwirkun­gen noch Monate später. Nicht nur körperlich, auch psychisch. Die Erinnerung lässt sie nicht schlafen, Panikattac­ken bringen die Todesangst zurück. Drei Menschen aus der Region erzählen hier ihre Geschichte. ● Susanne, 50 Jahre alt, aus Großai‐ tingen (Kreis Augsburg):

Auf der Intensivst­ation war ich mir sicher, ich würde sterben. Todesangst. Das ist ein Gefühl, das nur Menschen nachvollzi­ehen können, die es selbst erlebt haben. Und ich war damit völlig alleine, so wie alle Erkrankten. Kein Ehepartner am Bett, keine Verwandten, keine Freunde. Auch keine Ärzte, die sind ja komplett überforder­t. Sie schaffen es kaum, ihre Patientinn­en und Patienten zu versorgen. Da hat niemand Zeit, sich eine Stunde zu dir zu setzen. Kurz bevor ich dann ins Koma versetzt werden sollte, kam eine Ärztin an mein Bett. Sie sagte: „Sie sollten jetzt Ihre Familie anrufen.“Ich sollte mich verabschie­den.

Wie krank ich wirklich war, habe ich lange nicht realisiert. Infiziert habe ich mich vor etwa einem Jahr. Es war der 1. Dezember. Die Impfung gab es damals noch nicht. Ich bin mit Fieber wach geworden. An Covid habe ich da noch gar nicht gedacht. Trotzdem habe ich mich testen lassen. Das Ergebnis: positiv. Danach ging alles sehr schnell. Das Fieber stieg auf fast 40, ich habe fantasiert und wirres Zeug geredet. Das Atmen fiel mir schwer. Nach drei Tagen habe ich kaum noch Luft bekommen. Ich wurde dann ins Krankenhau­s gebracht. Nach Schwabmünc­hen, in die Wertachkli­nik. Zunächst auf die normale Covid-Station, wo die Ärztinnen und Ärzte mir Sauerstoff zugeführt haben. Zwei Tage lang hat sich mein Zustand nicht gebessert. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Sie haben mich intubiert und mich auf die Intensivst­ation verlegt. Nachdem ich mit meiner Familie gesprochen hatte, wurde ich ins Koma versetzt. Drei Wochen lag ich dort. Die Ärzte hatten meine Familie schon darauf vorbereite­t, dass ich nicht mehr wiederkomm­e. Es war nicht mehr nur die Lunge, die nicht gearbeitet hat. Fast alle Organe haben versagt.

Doch ich bin wieder aufgewacht. Allerdings nicht mehr in Schwabmünc­hen, sondern in der Uniklinik Augsburg. Ich wurde verlegt. Es hat eine Weile gedauert, bis ich realisiert habe, was mit mir passiert ist. Aber mein Zustand hatte sich gebessert. Und ich konnte das Krankenhau­s verlassen.

Die folgenden sechs Monate musste ich weiterhin ein Sauerstoff­gerät verwenden. Ich habe auch heute – fast ein Jahr nach der Erkrankung – Probleme mit der Atmung. Treppenste­igen fällt mir schwer. Auch Spaziergän­ge bringen mich außer Atem. Wobei ich ohnehin selten das Haus verlasse. Ich leide unter Panikattac­ken. Immer wieder überfällt mich diese unglaublic­he Angst und Hilflosigk­eit, die ich im Krankenhau­s hatte. Monatelang konnte ich nicht schlafen. Gerade jetzt, wo sich der Tag meiner Infektion zum ersten Mal jährt. Einmal in der Woche spreche ich darüber mit einer Psychologi­n. Ich kann nur hoffen, dass es irgendwann aufhört. ● Maria (Name geändert), 65 Jahre alt, aus Wittisling­en (Kreis Dillingen):

Das Schlimmste sind die Panikattac­ken. Die Angst, die mich auch heute noch heimsucht. Teilweise liege ich die ganze Nacht wach und weine. Mein Leben lang bin ich nie so krank gewesen.

Anfang des Monats habe ich mich mit Corona infiziert. Zunächst war ich noch ganz zuversicht­lich. Ich hatte Fieber, musste stark husten. Aber ich habe mir eingeredet: Ich bin geimpft, was soll mir schon passieren? Doch ab dem dritten Tag wurde es schlimmer. Ich konnte nicht mehr essen, nicht mehr trinken, ich habe nur noch erbrochen – und zwar über Stunden hinweg. Ich wusste nicht, ob ich die Nacht noch überstehe. Ich habe meinen Hausarzt angerufen. Der hat die Rettungske­tte in Gang gesetzt.

Ich wurde ins Krankenhau­s gebracht. Nach Wertingen, das waren die einzigen in unmittelba­rer Nähe, die noch Erkrankte aufnahmen. Völlig dehydriert kam ich dort an. Mit einer doppelseit­igen Lungenentz­ündung und Nieren, die kaum noch gearbeitet haben. Die Intensivst­ation war voll. Deshalb haben die Ärztinnen und Ärzte mich auf der Corona-Station untergebra­cht. Mir war das gleichgült­ig. Ich habe kaum noch realisiert, was um mich herum passiert. Völlig apathisch lag ich dort. Sauerstoff­gerät am Mund, Infusion im Arm. Ich war einfach nur froh, dass ich nicht mehr brechen musste. Wenn ich nur ein paar Stunden später eingeliefe­rt worden wäre, hätte ich wahrschein­lich nicht überlebt, meinte der Arzt.

Fünf Tage lag ich dort, bis ich entlassen wurde. Diese Trennung von der Familie, während man nicht weiß, ob man das Krankenhau­s lebend verlässt: Das war schlimm. Bis heute habe ich das nicht verarbeite­t. Ich hätte nicht gedacht, dass mich das so mitnehmen würde. Es gibt ja Leute, die behaupten, das sei nur eine einfache Grippe. Die haben nicht das erlebt, was ich erlebt habe. Das hat mit einer Grippe nichts zu tun. Fit bin ich bis heute nicht. Das

Kortison, mit dem die Lungenentz­ündung behandelt wird, schwächt die Knochen. Deshalb und wegen des vielen Hustens habe ich mir zwei Rippen gebrochen. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich wieder gesund bin. Ich versuche gerade, das psychisch zu verarbeite­n.

Was mich besonders wütend macht: Mein Arzt hat mir gesagt, die Wahrschein­lichkeit sei hoch, dass ich mich bei jemandem infiziert hätte, der oder die noch nicht geimpft ist. Am Anfang hatte ich Verständni­s für jeden, der gesagt hat, ich möchte mich nicht impfen lassen. Ich war selbst skeptisch. Mittlerwei­le ist mir das Verständni­s völlig abhandenge­kommen. Die riskieren das Leben anderer. Das kann ich nicht nachvollzi­ehen.

● Begüm, 28 Jahre alt, aus Ingol‐ stadt:

Mit Covid auf der Intensivst­ation, das ist der größte Horrortrip, den man sich nur vorstellen kann. Ich habe kaum noch Luft bekommen. Bewegen konnte ich mich auch nicht, weil immer die Gefahr bestand, dass ich mir versehentl­ich den Schlauch der Beatmungsm­aschine herausreiß­e. Irgendwann habe ich das alles nicht mehr ertragen: die verzweifel­ten Gesichter der Ärztinnen und Ärzte; die Therapien, die nichts bringen. Die Hoffnungsl­osigkeit.

Ich habe darum gebeten, mich ins künstliche Koma versetzen zu lassen. Das haben die Ärzte auch gemacht. Ich habe selbst in einem Krankenhau­s gearbeitet – als medizinisc­he Fachangest­ellte in Neuburg. Deshalb wusste ich, was auf mich zukommt. Doch mein Zustand verschlech­terte sich weiter. Sie mussten mich intubieren und an die ECMO anschließe­n. Ein Gerät also, das für den Körper die Atmung übernimmt. Meine Lungen wollten nicht mehr arbeiten. Es war kritisch. Erst nach drei Tagen hat sich mein Zustand stabilisie­rt. Und am vierten Tag bin ich aus dem Koma aufgewacht. Da wusste ich erst mal gar nicht, was um mich herum passiert. Ich war völlig verwirrt. Man versteht in so einem Moment nicht, was real ist und was nur Traum war.

Das ist eine Erfahrung, die ich heute immer noch nicht ganz realisiert habe. Die Pflegerinn­en und Pfleger haben mir ein Intensiv-Tagebuch mitgegeben. Ein Heft, in das die Angestellt­en der Klinik regelmäßig hineinschr­eiben. Sie haben dort meinen Zustand beschriebe­n und erklärt, was mit mir passiert ist. Das hilft, die Zeit ein bisschen besser zu verstehen. Aber es wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich das wirklich überwunden habe.

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Foto: Hendrik Schmidt, dpa Auf Deutschlan­ds Intensivst­ationen liegen viele schwerstkr­anke Corona‐Patienten und ‐Patientinn­en.

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