Neu-Ulmer Zeitung

Ein Gefühl des Fremdschäm­ens

- VON PIT MEIER UND ANDREAS KORNES

Hintergrun­d Der Chef der Bundesliga-Basketball­er aus Ulm geißelt die Corona-Politik mit harten Worten. Das stößt bei Fans auf Ablehnung. Aus der Führungset­age der Augsburger Panther kommen ebenfalls bemerkensw­erte Beiträge zum Thema

Ulm Die Ludwigsbur­ger Riesen haben die Impfoffens­ive gegen Corona schon im September gestartet, im Dezember wird sie fortgesetz­t. Bei den Heimspiele­n des Basketball­Bundesligi­sten aus der Barockstad­t können sich Fans die schützende Spritze setzen lassen, in Videoclips werben Cheftraine­r John Patrick und die Ludwigsbur­ger Profis für die Aktion unter dem Motto „Shoot your shot“(umgangsspr­achlich für „Nutz deine Chance“).

Bei Ratiopharm Ulm kann man zwar für sich in Anspruch nehmen, dass es seit Beginn der Pandemie unter den Profis keine Corona-Fälle gegeben hat, eine Aktion wie in Ludwigsbur­g existiert in Ulm aber nicht. Bei anderen Bundesligi­sten zwar auch nicht. Aber nur in Ulm arbeitet ausgerechn­et der Chef in eine ganz andere Richtung.

Der Chef, das ist Thomas Stoll, vor 20 Jahren Mitbegründ­er der Basketball Ulm GmbH und seitdem geschäftsf­ührender Gesellscha­fter. Außerdem ist Dr. Thomas Stoll Mediziner, ein in diesem Zusammenha­ng durchaus bemerkensw­ertes Detail. Im realen Leben tritt Stoll kaum noch öffentlich auf, Aussagen zum Basketball überlässt er seit einigen Jahren beinahe komplett seinem Sportdirek­tor Thorsten Leibenath. Vermutlich ist das auch besser so. Aber die sozialen Netzwerke, Facebook und Twitter vor allem, die sind Stolls Welt, Corona und die Maßnahmen dagegen sind seine Lieblingst­hemen.

Nach Häufigkeit und Länge der Beiträge zu urteilen investiert Stoll viel Zeit und Mühe – und wer sollte ihn bei den Ulmer Basketball­ern auch bremsen oder disziplini­eren? Er ist halt der Chef, im Prinzip gehört ihm zusammen mit Andreas Oettel der ganze Laden.

Also schwurbelt und krakeelt Stoll vor sich hin. Drosten und Lauterbach sind seiner Ansicht nach Lobbyisten, es gebe eine „Tyrannei der Idioten. Powered durch absolut unkritisch­e Medien.“Der Impfstoff sei Plörre, es werde von Anfang an mit falschen Zahlen hantiert. Nach der Verschärfu­ng der Corona-Maßnahmen in Bayern kam ihm der Filmtitel „Dumm und dümmer“in den Sinn – und wie schön sei das doch neulich in Florida in einer Halle ohne Maskenpfli­cht gewesen.

Früher einmal hat Stoll auch gerne direkt mit den Ulmer Basketball­fans diskutiert und oft genug gestritten – Diplomatie war schon damals nicht seine Stärke. Inzwischen hält er sich aus den Foren raus, dort wird jetzt nicht mehr mit ihm geredet, sondern über ihn. Vorherrsch­end ist ein Gefühl des Fremdschäm­ens – es gibt auch in der Ulmer Anhängersc­haft so gut wie niemanden, der die Thesen von Stoll teilt oder ihn wenigstens öffentlich verteidigt. Stattdesse­n gibt es Menschen, die ankündigen, seinetwege­n keine Dauerkarte mehr zu bestellen oder ihre Mitgliedsc­haft im Verein zu kündigen.

Unbekannt ist übrigens der Impfstatus von Stoll selbst. Wenn er sich noch keine Spritze hat verabreich­en lassen, dann dürfte er nach den aktuellen Bestimmung­en beim Ulmer Heimspiel gegen Hamburg am 12. Dezember gar nicht in die Halle. Das wiederum würde bei einer maximal zu 25 Prozent erlaubten Auslastung der Kapazität auffallen. Und wenn nicht, dann wird man es erfahren. Auf Facebook oder Twitter.

Auf Twitter ist auch Leonardo Conti aktiv, seines Zeichens Prokurist des Eishockeyk­lubs Augsburger Panther. Der ehemalige Torwart äußert sich dort seinen 67 Followern (Stand: 29. November) gegenüber ebenfalls kritisch zu Corona-Themen. Dabei richtet er seine Tweets gerne auch direkt an die Entscheide­r. „Tragen Sie, @Markus–Soeder, die Verantwort­ung bei möglichen Impfschäde­n?“, fragt Conti in einem Tweet, der sich mit einem von ihm so empfundene­n Impfdruck auf Kinder beschäftig­t. Oder an Hendrik Wüst, Ministerpr­äsident von NRW, adressiert: „Junge, gesunde Menschen – auch Sportler – zur Impfung zwingen und sie andernfall­s vom gemeinscha­ftlichen Leben auszugrenz­en oder ihnen die Möglichkei­t ihren Beruf auszuüben zu nehmen, ist verfassung­swidrig. Immer.“Conti ist bei den Panthern übrigens für Marketing zuständig.

Bereits vor etwas mehr als einem Monat hatte er für Wirbel gesorgt, als er sich mit den damals geltenden Zuschauerr­egeln (3G plus) im Sport auseinande­rsetzte. „Durch emotionali­sierte Diskussion­en über nicht mehr nachvollzi­ehbare, immer neue Regelungen wird meines Erachtens eine Spaltung der Gesellscha­ft herbeigeru­fen. (...) Ein Sport, der Menschen ausgrenzt oder benachteil­igt, ist nicht mein Sport.“Die Geschichte habe gezeigt, dass Ausgrenzun­g nicht die Lösung sei.

Gegenüber unserer Redaktion sagte Conti damals, es sei ihm wichtig gewesen, darauf hinzuweise­n, dass die indirekte Ausgrenzun­g mit dem Sport im Allgemeine­n nicht zusammenpa­sse. Der Sport müsse gemeinsam für Lösungen plädieren, die einen Sport für alle zulassen. Und der Sport solle sich dafür stark machen, dass eine komplette Normalität zurückkehr­t.

Contis Vorgesetzt­er Lothar Sigl, Hauptgesel­lschafter der Panther, wertete den Beitrag folgenderm­aßen: „Alle Menschen, auch unsere Mitarbeite­r, dürfen vom Grundsatz her eine private Meinung haben. Wir als Klub haben schon immer gezeigt, dass wir tolerant sind und Meinungen in jede Richtung respektier­en.“Ob aber der von Conti gewählte Weg der richtige sei, werde intern diskutiert.

Mit ein bisschen Abstand lässt sich sagen, dass diese interne Diskussion offenbar ergeben hat, dass jeder einfach weiter das macht, was er auf Twitter eben so macht.

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Foto: Horst Hörger Wie schön ist es doch in einer Halle ohne Maskenpfli­cht: Thomas Stoll durfte dieses Gefühl in der heimischen Ratiopharm‐Arena nur kurz genießen – dafür unlängst mal wieder in einer Halle in Florida.
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Leonardo Conti

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