Neu-Ulmer Zeitung

Der Titan schweigt

- VON FLORIAN EISELE

Fußball Oliver Kahn ist seit Sommer Vorstandsc­hef des FC Bayern. Nun erlebt er infolge der eskalierte­n Jahreshaup­tversammlu­ng seine erste Belastungs­probe – und macht keine gute Figur

München Diese Rede hätte etwas Besonderes werden sollen. Als Oliver Kahn auf der Jahreshaup­tversammlu­ng des FC Bayern zum Mikrofon schritt, sollte das nicht weniger werden als die Regierungs­erklärung des neuen Vorstandsv­orsitzende­n der FC Bayern AG. Oder, etwas pathetisch­er, die Vision des Titans: Wo soll der Rekordmeis­ter hin, wie will er das erreichen und für was soll er stehen? Klar: Der FC Bayern muss die Nummer eins sein. Dabei könne er für sich selbst entscheide­n, so Kahn: „Bei uns bestimmt keine Investoren­gruppe oder ein Multimilli­onär. Wir werden auch weiter unseren eigenen Bayern-Weg gehen.“

Gut möglich, dass am Tag nach der Versammlun­g vor allem über die Rede Kahns gesprochen worden wäre. Dass der ehemalige Nationalsp­ieler und Bayern-Kapitän die Mitglieder emotional deutlich stärker erreicht als etwa Bayern-Präsident Herbert Hainer, war klargeword­en. Der ehemalige AdidasChef, für den es ebenfalls die erste Jahreshaup­tversammlu­ng war, hatte an einigen Stellen seiner Rede zwar eine Pause für Applaus eingeplant – dieser war aber nicht gekommen, sodass Hainer den Fans zurief: „Sie können sich durchaus auch mal selbst beklatsche­n.“Weil es früh am Abend war, taten ihm die Mitglieder diesen Gefallen – später war das bekanntlic­h anders. Wegen der Geschäftsb­eziehung zum Emirat Katar, das zwar kein Investor, sehr wohl aber ein wichtiger Sponsor ist, war die Lage gekippt – auch gegen Kahn. Der hatte inmitten des Trubels gesagt, dass eine Gesprächsr­unde diesbezügl­ich „eine sehr gute Idee“sei – und erntete Lacher. Einladunge­n zu Gesprächsr­unden, in denen es um

Katar geht, hatte der FC Bayern in der Vergangenh­eit stets unbeantwor­tet gelassen.

In den vergangene­n Tagen passierte etwas, das es so noch nicht oft beim FC Bayern gegeben hat: Die Bayern-Bosse schwiegen. Sowohl Herbert Hainer als auch Oliver Kahn wollten sich öffentlich nicht zu den Fan-Tumulten äußern. Nach dem Spiel am Samstag gegen Bielefeld liefen beide wortlos an den Journalist­en vorbei. Stattdesse­n wurde Cheftraine­r Julian Nagelsmann, der die Versammlun­g im Zuschauerb­ereich verfolgt hatte, wieder einmal zum Außenminis­ter: Nein, die Diskussion habe die Mannschaft nicht beeinträch­tigt. Ja, er könne sowohl Argumente der Fans als auch die des Vereins nachvollzi­ehen und verstehen. Nein, es mache ihm nichts aus, ständig zu dem Thema gefragt zu werden. Ist halt so als Bayern-Trainer. Ja, für ihn war es auch die bisher schlimmste Veranstalt­ung, seit er beim FC Bayern ist. Es war auch erst die zweite und die erste war ein Besuch auf der Wirtshaus-Wiesn.

Die schlimmste Veranstalt­ung, seit er beim FC Bayern ist – diese Aussage stammt von Uli Hoeneß. Der Vorgänger Hainers hatte das im Abgehen an jenem für den FC Bayern desaströse­n Abend gesagt. Schwer vorstellba­r, dass Hoeneß in führender Stellung beim FC Bayern derart lange geschwiege­n hätte, wie Kahn es nun tut. Während Hainer im Kicker konstatier­te, dass er aus den Vorkommnis­sen des Abends Lehren ziehen wolle, gab es von Kahn nur einen Tweet zu lesen. Die Vorkommnis­se beschäftig­en ihn „immer noch sehr“und hätten gezeigt, wie wichtig der Austausch zwischen Verein und Mitglieder­n sei. Danach schwieg der Titan wieder.

Nicht wenige Bayern-Fans dürften in diesen Tagen das GedankenEx­periment anstellen, wie Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge sich in derselben Situation verhalten hätten. In der Sache höchstwahr­scheinlich kaum anders. Schließlic­h waren sie es, die den Deal mit Katar eingefädel­t hatten. Rummenigge hatte erst kürzlich gesagt, dass der FCB „gutes Geld aus diesem Vertrag bekommen“habe. Die Rede ist von 20 Millionen Euro im Jahr. Sehr wahrschein­lich allerdings, dass die alte Garde deutlich präsenter gewesen wären: polternder, lautstärke­r.

So, wie es Kahn als Spieler auch gewesen wäre. Als Torwart stand der heute 52-Jährige wie kaum ein anderer Profi für den Erfolgswil­len der Bayern. Nach der Karriere wich die Verbissenh­eit. Er ging in die Wirtschaft, machte an der Universitä­t Schloss Seeburg in Österreich den Master of Business Administra­tion. Kahn im Jahr 2021 – das erinnert mehr an einen CEO einer Aktiengese­llschaft (der er ja auch ist) als an den dauerwüten­den TorwartTit­an (der er eben nicht mehr ist).

Das mag stimmig sein. Und trotzdem: Ein schweigend­er Vorstandsc­hef inmitten einer Bayern-Krise ist irgendwie so gar nicht das, was man unter dem Bayern-Weg versteht.

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Oliver Kahn

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