Neu-Ulmer Zeitung

Wie sich die Vatikan‐Justiz blamiert

- VON JULIUS MÜLLER‐MEININGEN

Hintergrun­d Der Prozess um Veruntreuu­ng in Millionenh­öhe droht zur Farce zu werden. Das könnte auch dem Papst schaden

Rom Es sei der „komplizier­teste Maxi-Prozess, der jemals im Vatikan geführt wurde“, schreibt die römische Tageszeitu­ng Il Messaggero. Und es geht weiter: An diesem Mittwoch wird der Strafproze­ss im Vatikan gegen Kardinal Angelo Becciu und weitere fünf Angeklagte fortgeführ­t. Vordergrün­dig geht es um Millionenv­erluste des Vatikans im Zusammenha­ng mit Investitio­nen in Immobilien. Beim Kauf einer Londoner Luxus-Immobilie sollen Mitarbeite­r des Papstes Millionen veruntreut haben, Verluste von über 100 Millionen Euro stehen zu Buche. Die Anklage lautet außerdem auf Amtsmissbr­auch, Betrug, Erpressung und Geldwäsche.

Sechs Monsignori, im Vatikan beschäftig­te Laien, sind zusammen mit italienisc­hen Geschäftsl­euten angeklagt, gegen weitere vier Personen wird ermittelt. Der Hauptvorwu­rf lautet, die Kirchenmän­ner hätten das Geld, das Gläubige dem Papst in einer jährlichen Spendenakt­ion zukommen lassen, zum Fenster hinausgewo­rfen und sich gegebenenf­alls daran bereichert. Der Peterspfen­nig wird weltweit am 29. Juni angeblich für karitative Zwecke eingesamme­lt, laut Anklage flossen Millionens­ummen an zwielichti­ge Geschäftsl­eute und dubiose Fonds.

Doch zu diesen inhaltlich­en Fragen ist man in der wegen Corona und entspreche­nden Abstandsre­gelungen in die Vatikanisc­hen Museen verlegten Gerichtsau­la noch gar nicht vorgedrung­en. An den bisherigen vier Verhandlun­gstagen ging es um prozessrec­htliche Fragen, deren Beantwortu­ng in eine Blamage für den Vatikan und Papst Franziskus münden könnten. Franziskus wird immer mehr zum steinernen Gast in einem Verfahren, das dem Vatikan als Beweis für das Bemühen um Transparen­z und Rechtsstaa­tlichkeit dienen soll, bislang aber eher das Gegenteil bewirkt hat. Der Vorsitzend­e Richter Giuseppe Pignatone, bis 2019 ein bekannter Antimafia-Staatsanwa­lt in Italien, sprach von einem „sehr komplizier­ten Prozess“. Die Frage ist nun, ob das Verfahren überhaupt fortgesetz­t werden wird. Die Reputation der Vatikanjus­tiz steht auf dem Spiel.

Zentrum des Verfahrens sind die Aussagen eines Kronzeugen, der fünfmal von den Vatikanerm­ittlern um Strafverfo­lger Alessandro Diddi vernommen wurde. Monsignor Alberto Perlasca war von 2007 bis 2019 Verwaltung­sleiter der ersten Abteilung des Staatssekr­etariats, der Regierungs­zentrale des Vatikan, und kontrollie­rte dort alle Kontenbewe­gungen inklusive der Vorgänge um die Londoner Immobilie.

Franziskus hatte angekündig­t, als Papst im Vatikan aufzuräume­n. Gegen Transparen­z in den Geheimkont­en des Staatssekr­etariats mit einem Volumen von rund 1,4 Milliarden Euro hatten sich vor allem Kardinal Becciu und seine Mitarbeite­r gewehrt, darunter Perlasca. Nach seiner zweiten Vernehmung behandelte­n die Ermittler Perlasca nicht mehr als Beschuldig­ten, sondern als Hauptbelas­tungszeuge­n, wohl gegen das Verspreche­n der Straffreih­eit. Die Anwälte der Verteidigu­ng beklagten, bisher nur Ausschnitt­e aus den 115 Stunden Videomater­ial der Vernehmung­en Perlascas zur Verfügung gehabt zu haben. Offenbar sollen sensible Informatio­nen nicht an die Öffentlich­keit gelangen.

Es geht auch um die Rolle des Papstes. Er griff durch Erlasse in den Prozess ein, so änderte er etwa das Prozessrec­ht in Bezug auf die Anklage von Kardinälen, die zuvor nicht zugelassen war. Auszüge aus einem Vernehmung­sprotokoll mit Perlasca legen außerdem nahe, dass die Strafverfo­lger privat mit dem Papst über das Verfahren sprachen, ohne dass der Austausch Eingang in die Gerichtsak­ten fand.

Die Verteidigu­ng forderte, entweder müsse Franziskus persönlich vernommen werden oder der Prozess müsse eingestell­t werden. Die Rolle des Papstes wirft auch insofern Fragen auf, weil der Pontifex im Dezember 2018 einer Besprechun­g im Vatikan beigewohnt haben soll, in der eine Zahlung von 15 Millionen Euro an den als dubios geltenden, in die Immobilien­geschäfte verwickelt­en italienisc­hen Geschäftsm­ann Gianluigi Torzi verabredet wurde. Franziskus, so behaupten Zeugen, habe ein „gerechtes Honorar“für den Broker gefordert. Der „große Ankläger“Perlasca (Corriere della Sera) schloss schließlic­h die Millionen-Verträge mit den Geschäftsm­ännern ab. Heute lebt er zurückgezo­gen in seinem Heimatbist­um Como.

Franziskus muss sich zudem den Vorwurf gefallen lassen, das Prinzip der Unschuldsv­ermutung missachtet zu haben, als er Kardinal Becciu, den Substitute­n im Staatssekr­etariat, im Herbst 2020 schasste und ihn seiner Ämter enthob. Könnten die Richter den Kardinal freisprech­en, ohne den Papst zu blamieren? Franziskus war an verfahrens­entscheide­nden Vorgängen beteiligt und ist gleichzeit­ig als „Papstkönig“letzte Instanz. Mit einem modernen Verständni­s von Justiz ist das kaum in Einklang zu bringen.

 ?? Foto: dpa ?? Der Vatikan fuhr beim Kauf einer Luxusimmob­ilie Millionen‐Verluste ein. Jetzt läuft ein Strafproze­ss, in dem auch der Papst offenbar nicht gut aussieht.
Foto: dpa Der Vatikan fuhr beim Kauf einer Luxusimmob­ilie Millionen‐Verluste ein. Jetzt läuft ein Strafproze­ss, in dem auch der Papst offenbar nicht gut aussieht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany