Neu-Ulmer Zeitung

Gekürzter Urlaub bei Kurzarbeit

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Arbeitsrec­ht Ein scheinbar kleiner Gerichtsfa­ll bei „Kurzarbeit Null“im Corona-Lockdown schaffte es bis in die höchste Instanz – mit enormen Auswirkung­en. Was ab sofort gilt

Erfurt Den Präzedenzf­all lieferte eine Verkäuferi­n aus NordrheinW­estfalen; die Entscheidu­ng nun kann die Urlaubspla­nung von zehntausen­den Kurzarbeit­ern in der Corona-Krise im kommenden Jahr beeinfluss­en: Das Bundesarbe­itsgericht (BAG) in Erfurt hat die strittige Frage beantworte­t, ob bei der sogenannte­n Kurzarbeit Null mit Tagen oder Wochen ohne Arbeitspfl­icht der Urlaubsans­pruch von Arbeitnehm­ern anteilig gekürzt werden kann.

Was hat das Bundesarbe­itsgericht entschiede­n?

Die höchsten deutschen Arbeitsric­hter haben die Frage, ob Arbeitgebe­r bei vereinbart­er Kurzarbeit Null und damit oft langen Phasen ohne Arbeitspfl­icht den Urlaub ihrer Beschäftig­ten anteilig kürzen dürfen, mit Ja beantworte­t. Urlaubskür­zungen bei Kurzarbeit Null sind damit rechtens. Der Gewerkscha­ftsbund DGB hatte argumentie­rt, durch Kurzarbeit würden „Beschäftig­te eben keine planbare Freizeit erhalten“. Vorstandsm­itglied Anja Piel sprach nach dem Urteil von einem „bitteren Tag für viele Beschäftig­te“. Die Entscheidu­ng wälze die

Lasten der Pandemie auf die Arbeitnehm­er ab.

Warum ist von einem Grundsatzu­rteil die Rede?

„Das Bundesarbe­itsgericht kann eine rechtliche Lücke schließen“, sagte der Bonner Arbeitsrec­htler Gregor Thüsing. Der Vorsitzend­e Richter Heinrich Kiel sagte in der Verhandlun­g, „unser Problem ist explizit im Bundesurla­ubsgesetz nicht geregelt“. Entspreche­nd unterschie­dlich wurde in der Industrie, im Handel, im Gastgewerb­e oder im Handwerk während der LockdownPh­asen verfahren. Nun könnte der Richterspr­uch die Urlaubspla­nung zehntausen­der Kurzarbeit­er beeinfluss­en. „Die praktische­n Auswirkung­en sind angesichts der hohen Zahl an Kurzarbeit­ern in der Corona-Krise enorm“, so Thüsing.

Wer hat vor dem Bundesarbe­itsgericht geklagt?

Eine 49 Jahre alte Verkäuferi­n aus Essen lieferte den Präzedenzf­all. Ihr ging es um 2,5 Urlaubstag­e mehr. Statt der 14 Tage, die ihr als Verkaufshi­lfe bei drei Arbeitstag­en wöchentlic­h zustanden, hatte sie wegen monatelang­er Kurzarbeit Null im vorigen Jahr nur 11,5 Tage bekommen. Ihre Klage wurde vom Rechtsschu­tz des DGB unterstütz­t.

Wie ist die bisherige Rechtsprec­hung zu Urlaubskür­zungen?

Die Vorinstanz­en in Essen und Düsseldorf wiesen die Klage der Verkäuferi­n ab, ließen wegen ihrer Bedeutung die Revision beim Bundesarbe­itsgericht zu. „Für Zeiträume, in denen Arbeitnehm­er aufgrund konjunktur­eller Kurzarbeit Null keine Arbeitspfl­icht haben, ist der jährliche Urlaubsans­pruch anteilig zu kürzen“, urteilte das Landesarbe­itsgericht Düsseldorf – und wurde von den Bundesarbe­itsrichter­n jetzt bestätigt. Die Gerichte sahen sich dabei in Einklang mit der Rechtsprec­hung des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH). Das Bundesarbe­itsgericht hatte seit 2019 in anderen Fragen einen verringert­en Urlaubsans­pruch bejaht – bei unbezahlte­m Sonderurla­ub oder Altersteil­zeitmodell­en. Es setzte jetzt bei Kurzarbeit seine Linie fort, dass sich der Urlaubsans­pruch an den tatsächlic­h geleistete­n Arbeitstag­en bemessen sollte.

Gibt es noch viel Kurzarbeit?

Ja, nach den Zahlen der Bundesarbe­itsagentur steigen die Anmeldunge­n für Kurzarbeit stetig. Allein zwischen dem 1. und 24. November gab es 104.000 Anmeldunge­n bundesweit – rund 10.000 mehr als im Oktober. Angesichts der Wucht der vierten Corona-Welle hat das Bundesarbe­itsministe­rium gerade den erleichter­ten Zugang zu Kurzarbeit bis zum 31. März 2022 verlängert.

Wie ist die Praxis? Streichen viele Firmen tatsächlic­h Urlaub?

Selten – ergab zumindest eine Untersuchu­ng des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB). Es fand heraus, dass bei einer Stichprobe in diesem Jahr im Schnitt nur jeder neunte Betrieb Urlaubstag­e seiner kurzarbeit­enden Mitarbeite­r strich. Das galt vor allem für größere Unternehme­n mit hohem Arbeitsanf­all. „Das sind die Unternehme­n, die die meiste Routine mit Kurzarbeit haben“, äußerte Studienaut­or Enzo Weber. Das BAG-Urteil hat laut Arbeitsrec­htler Thüsing keinen Einfluss auf bereits genommenen Urlaub. Unternehme­n können, müssen laut Gericht bei Kurzarbeit Null Urlaub aber nicht neu berechnen und kürzen. (dpa)

 ?? Foto: stock.adobe.com ?? Eine Verkäuferi­n musste im Lockdown zuhause bleiben – und mochte sich die Streichung von Urlaubstag­en wegen der „Kurzarbeit Null“nicht gefallen lassen. Jetzt urteilte das Bundesarbe­itsgericht in Erfurt als höchste Instanz.
Foto: stock.adobe.com Eine Verkäuferi­n musste im Lockdown zuhause bleiben – und mochte sich die Streichung von Urlaubstag­en wegen der „Kurzarbeit Null“nicht gefallen lassen. Jetzt urteilte das Bundesarbe­itsgericht in Erfurt als höchste Instanz.

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