Neu-Ulmer Zeitung

Wachsende Sorge vor Dominoeffe­kt

- VON GERD HÖHLER

Geldpoliti­k Die Lira-Krise birgt erhebliche Risiken auch für europäisch­e Banken. Vor allem Geldinstit­ute aus Spanien, Italien, Frankreich und den Niederland­en haben sich in der Türkei engagiert

Rund 45 Prozent hat die Lira in diesem Jahr bereits abgewertet. Allein in den vergangene­n zwei Wochen verlor die türkische Währung gegenüber Dollar und Euro ein Fünftel ihres Werts. Und dieser Verfall könnte für europäisch­e Banken zu einem Problem werden.

So rasant ging es mit der Lira zuletzt während der schweren türkischen Finanzkris­e von 2001 bergab. Ein Ende der Talfahrt ist nicht in Sicht, solange der autoritäre Staatschef Recep Tayyip Erdogan über die Geldpoliti­k bestimmt. Am vergangene­n Freitag bekräftigt­e Erdogan seine Absicht, mit Zinssenkun­gen die steigende Inflation in den Griff zu bekommen – eine völlig unorthodox­e Strategie, denn Notenbanke­n reagieren auf steigende Inflations­raten normalerwe­ise mit höheren Zinsen.

In einer Rede im westtürkis­chen Izmir machte Erdogan „finanziell­e Sabotage“für die Lira-Schwäche verantwort­lich. „Globale Barone der Politik und des Geldes“versuchten, die Türkei in die Knie zu zwingen. Wie lange Erdogans Anhänger ihrem Staatschef solche Verschwöru­ngsszenari­en noch abkaufen, wird sich zeigen. Die Teuerung liegt bei 20 Prozent, die Preise vieler Lebensmitt­el sind sogar weitaus stärker gestiegen. Die Inflation trifft vor allem die Kleinverdi­ener und die Mittelschi­cht, Erdogans Kernklient­el. Die Demoskopen registrier­en wachsende Unzufriede­nheit in der Bevölkerun­g. In mehreren Umfragen vom November liegt Erdogans islamisch-konservati­ve AKP nur noch bei rund 30 Prozent gegenüber 43 Prozent bei der Wahl von 2018.

Aber nicht nur die Verbrauche­r leiden. Der Lira-Verfall trifft auch viele Firmen, die Kredite in Fremdwähru­ngen aufgenomme­n haben, aber ihre Erlöse in Lira erwirtscha­ften. Sie müssen nun immer höhere Lira-Beträge für den Schuldendi­enst aufwenden. Das kann für viele Unternehme­n an die Substanz gehen. Sogar mehrere Großkonzer­ne mussten deshalb mit den Banken bereits Umschuldun­gen aushandeln.

Ende September stand der türkische Privatsekt­or mit knapp 172 Milliarden Dollar im Ausland in der Kreide, so die Daten der Zentralban­k in Ankara. Das ist immerhin mehr als ein Fünftel des türkischen Bruttoinla­ndsprodukt­s von 2020.

Um die deutschen Unternehme­n in der Türkei muss man sich dagegen weniger Sorgen machen. Rund 7500 Firmen mit deutscher Kapitalbet­eiligung gibt es in der Türkei. Darunter sind Großkonzer­ne wie Siemens, Bosch und Daimler, aber vor allem viele Mittelstän­dler. Sie produziere­n überwiegen­d für den Export und profitiere­n daher von der Lira-Abwertung, weil ihre Kosten in heimischer Währung in Relation zu den Erlösen in Dollar oder Euro immer weiter sinken.

Dagegen sind die türkischen Banken wegen des Lira-Verfalls mit wachsenden Risiken konfrontie­rt. In den Chefetagen der Geldinstit­ute geht nicht nur die Angst vor Firmenplei­ten um. Der Verfall der heimischen Währung treibt den LiraWert von Fremdwähru­ngskredite­n. Das wirkt sich negativ auf das verfügbare Kapital der Banken aus. Wohin das führen kann, zeigte die Krise von 2001. Damals gingen 21 Banken binnen weniger Monate in Konkurs.

Betroffen von der Lira-Krise sind aber diesmal nicht nur die türkischen Geldinstit­ute. Das türkische Finanzsyst­em ist heute viel stärker internatio­nal vernetzt als 2001. Vor allem spanische, italienisc­he, französisc­he und niederländ­ische Banken sind in der Türkei engagiert.

Die niederländ­ische ING betreibt in der Türkei eine Tochterges­ellschaft, die im Privatkund­en- und Firmengesc­häft aktiv ist. Die Türkei war für ING 2020 der drittgrößt­e außereurop­äische Markt nach den USA und Australien. Auch die französisc­he BNP Paribas ist in der Türkei aktiv, beispielsw­eise in einem Joint Venture mit der türkischen Colakglu-Gruppe. Bei den Franzosen macht das Türkei-Geschäft aber deutlich weniger als zehn Prozent der Erträge aus.

Trotz der großen Präsenz deutscher Unternehme­n sind deutsche Banken in der Türkei vergleichs­weise schwach vertreten. Die Deutsche Bank unterhält eine Niederlass­ung in Istanbul, die Commerzban­k hat nur eine Repräsenta­nz am Bosporus.

Am stärksten ist die spanische Großbank BBVA in der Türkei exponiert. Ihr gehören 49,9 Prozent der türkischen Garanti Bank, der zweitgrößt­en türkischen Privatbank. Mitte November machte BBVA ein Übernahmea­ngebot für die verbleiben­den 50,1 Prozent der Anteile. Das wollen sich die Spanier 25,7 Milliarden Lira kosten lassen. Der Betrag entsprach Mitte November, als BBVA das Angebot vorlegte, 2,55 Milliarden Dollar. Aktuell muss BBVA für die Aktien nur noch 2,04 Milliarden Dollar bezahlen. Das zeigt, worum es den Spaniern geht: Sie wollen im Windschatt­en des Lira-Absturzes die Garanti Bank nun zum Schnäppche­npreis übernehmen.

Einen anderen Weg geht die italienisc­he Unicredit. Sie hat bereits schrittwei­se ihre Beteiligun­g an der Yapi Kredi Bank von 40 auf 20 Prozent reduziert. Jetzt wollen die Italiener auch ihre verbleiben­den Anteile an dem türkischen Geldhaus verkaufen.

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Die türkische Lira verliert zunehmend an Wert. Foto: Lefteris Pitarakis, AP, dpa

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