Aus für den Weihnachtsmarkt kommt vorzeitig
Pandemie Wut, Verzweiflung und Tränen: Das vorzeitige Ende für den Ulmer Weihnachtsmarkt trifft die Händlerinnen und Händler mit Wucht – wenn auch nicht ganz unvorbereitet. Dennoch sei der wirtschaftliche Schaden immens
Ulm Dicke Schneeflocken, dampfende Heißgetränke: Weihnachtlicher als am Dienstag kann es eigentlich kaum zugehen auf einem Weihnachtsmarkt. Doch zu Eis und Schnee kam am Dienstag frostige Stimmung, weil Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann das Aus für derartige Veranstaltungen ankündigte. Auch die Abgabe von Alkohol im öffentlichen Raum soll untersagt werden, sofern sich die Lage auf den Intensivstationen nicht bessert.
Wahrscheinlich öffnen die 110 Buden am Mittwoch, 1. Dezember, das letzte Mal. „Ich könnte heulen“, sagt etwa Süßwarenhändler Michael Steinmüller aus Neu-Ulm. „Ich bin sprachlos“, fügt er an. Die Begründung für die Absage hält der als Mitorganisator des Ulmer Volksfestes bekannte Steinmüller für haltlos: „Es gibt keinen sichereren Platz in Ulm als den Weihnachtsmarkt.“Denn schließlich sei jeder Besucher geimpft und genesen getestet. Und hat eine Maske auf. „Ich verstehe das nicht.“Der wirtschaftliche Schaden für den Neu-Ulmer sei enorm, zumal er ohnehin wirtschaftlich angeschlagen sei: „Wir Schausteller haben seit fast zwei Jahren faktisch ein Berufsverbot.“In der einen Woche Weihnachtsmarkt habe sein Stand etwa 70 Prozent Einbußen verglichen mit 2019 gehabt. Doch auch das sei besser als nichts. „Die Absage nun ist eine Katastrophe für uns.“
Steinmüller steht mit dieser Meinung nicht allein. Das Entsetzen ist vielen Händlern ins Gesicht geschrieben. „Mir fehlen die Worte“, sagt etwa Ralf Hänsler. Der Dornstadter kann theoretisch seine Schals, Mützen und Handschuhe auf anderen Wegen verkaufen. Zumindest theoretisch. Denn tatsächlich haben sich die Händler auf den Ulmer Weihnachtsmarkt verlassen und können nicht plötzlich in einem ähnlichen Umfang woanders verkaufen. Besser haben es Beschicker, die auch noch stationäre Geschäfte haben und/oder auf Wochenmärkten verkaufen können. So machen es etwa „Beste Feinkost“oder die Kornmühle. Die beiden Beschicker haben ihre Läden in Senden und Ulm und können dort ihre Ware verkaufen. Da ist auch die Landkäserei Herzog vergleichsweise gut dran. Die Roggenburger haben als
Hersteller ebenso andere Verkaufsmöglichkeiten. Ganz im Gegensatz zu ganz traditionellen Weihnachtsmarkt-Ständen. Dem von August Zinnecker etwa. „Ich habe alles nur für den Ulmer Weihnachtsmarkt eingekauft“, sagt der Händler von Krippen, Ställen, Krippenfiguren und Baumschmuck. Nun bleibt der Illertisser auf der Ware sitzen. „Ich bin sehr deprimiert.“
Andere Händler werden direkter und schimpfen auf die Landesregierung. „Alles für den Müll“, sagt ein Händler, verdeutlicht das mit eindeutiger Handbewegung – will aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Viele hoffen, dass die Ulmer Stadtspitze um OB Gunter Czisch Wege findet, den Markt erst nach dem kommenden Wochenende zu schließen. So wie etwa Gabriele Hirschberg, die Seniorchefin von Hirschberg`s Glühweinstadl. „Das wäre zumindest etwas.“Denn die
Entsorgung von Lebensmitteln sei auch nicht im Interesse der Landesregierung. „Wir müssten schon Hunderte Liter wegschütten.“Das sei aber noch das geringste Problem, sagt Hirschberg und denkt auch an die vielen Angestellten auf dem Weihnachtsmarkt, die sich auf ihren Job verlassen haben.
Auf offizielle Auskünfte seitens der Landesregierung wartete der Veranstalter, die Ulmer Messegesellschaft, bis zum Spätnachmittag vergebens. „Deswegen werden wir am Mittwoch auf alle Fälle noch einmal aufmachen“, sagt Jürgen Eilts, der Messe-Geschäftsführer. Die „Schadensbegrenzung“wolle Eilts so lange aufrechterhalten, wie es geht. Doch er vermutet, dass am Donnerstag Schluss sein muss. Sämtliche Beschicker seien „sehr realistisch unterwegs“, ein früheres Aus sei generell erwartet worden. Doch dass es womöglich nur einen
Tag Vorlauf für eine Marktschließung gibt, sei „dann doch überraschend“. Auf das kommende Wochenende hätten die Beschicker sicherlich noch geschielt. Angesichts von 110 Ständen, die nach Unterzeichnung des Vertrages sämtlich ihre Standgebühr überwiesen hätten, sei der finanzielle Schaden enorm.
Das Land ist aus Sicht von Eilts nun in der Pflicht, für Entschädigungen aufzukommen. Schließlich habe das Land im September eine Verordnung erlassen, unter deren Bedingungen Weihnachtsmärkte möglich sind. „Darauf haben wir uns verlassen.“Als Veranstalter habe die Stadt sämtliche Regeln erfüllt. Das Land sei für die Absage verantwortlich. Nicht die Stadt Ulm mit ihrer Messegesellschaft. Der Schaden sei noch nicht zu beziffern. Es sei sicherlich ein „ordentlicher sechsstelliger Betrag“, der auf vielen
Problemfeldern entstehen werde. Es geht um Fragen der Standgebühr und ganz klassisch um verderbliche Ware: „Wohin mit den Würsten, wohin mit dem Glühwein? In den Kanal?“Problematisch sei auch die Vielzahl an Arbeitsverhältnissen, die bis 22. Dezember liefen und nun gekündigt werden müssen. Es sei „recht und billig“, hier das Land in Verantwortung zu ziehen. „Das Land trägt die Verantwortung, dass Beschicker keine Existenznot erleiden“, sagt Oberbürgermeister Czisch auf Anfrage unserer Redaktion. Selbstverständlich würde den Beschickern durch die „außerordentliche Kündigung“die Standgebühr für den versäumten Zeitraum erlassen. Die erwartete CoronaVerordnung werde noch andere Professionen in Not bringen: „Man kann ja niemandem erklären, dass man einen Weihnachtsmarkt zu macht, aber Bars offen lässt.“