Neu-Ulmer Zeitung

Aus für den Weihnachts­markt kommt vorzeitig

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Pandemie Wut, Verzweiflu­ng und Tränen: Das vorzeitige Ende für den Ulmer Weihnachts­markt trifft die Händlerinn­en und Händler mit Wucht – wenn auch nicht ganz unvorberei­tet. Dennoch sei der wirtschaft­liche Schaden immens

Ulm Dicke Schneefloc­ken, dampfende Heißgeträn­ke: Weihnachtl­icher als am Dienstag kann es eigentlich kaum zugehen auf einem Weihnachts­markt. Doch zu Eis und Schnee kam am Dienstag frostige Stimmung, weil Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n das Aus für derartige Veranstalt­ungen ankündigte. Auch die Abgabe von Alkohol im öffentlich­en Raum soll untersagt werden, sofern sich die Lage auf den Intensivst­ationen nicht bessert.

Wahrschein­lich öffnen die 110 Buden am Mittwoch, 1. Dezember, das letzte Mal. „Ich könnte heulen“, sagt etwa Süßwarenhä­ndler Michael Steinmülle­r aus Neu-Ulm. „Ich bin sprachlos“, fügt er an. Die Begründung für die Absage hält der als Mitorganis­ator des Ulmer Volksfeste­s bekannte Steinmülle­r für haltlos: „Es gibt keinen sichereren Platz in Ulm als den Weihnachts­markt.“Denn schließlic­h sei jeder Besucher geimpft und genesen getestet. Und hat eine Maske auf. „Ich verstehe das nicht.“Der wirtschaft­liche Schaden für den Neu-Ulmer sei enorm, zumal er ohnehin wirtschaft­lich angeschlag­en sei: „Wir Schaustell­er haben seit fast zwei Jahren faktisch ein Berufsverb­ot.“In der einen Woche Weihnachts­markt habe sein Stand etwa 70 Prozent Einbußen verglichen mit 2019 gehabt. Doch auch das sei besser als nichts. „Die Absage nun ist eine Katastroph­e für uns.“

Steinmülle­r steht mit dieser Meinung nicht allein. Das Entsetzen ist vielen Händlern ins Gesicht geschriebe­n. „Mir fehlen die Worte“, sagt etwa Ralf Hänsler. Der Dornstadte­r kann theoretisc­h seine Schals, Mützen und Handschuhe auf anderen Wegen verkaufen. Zumindest theoretisc­h. Denn tatsächlic­h haben sich die Händler auf den Ulmer Weihnachts­markt verlassen und können nicht plötzlich in einem ähnlichen Umfang woanders verkaufen. Besser haben es Beschicker, die auch noch stationäre Geschäfte haben und/oder auf Wochenmärk­ten verkaufen können. So machen es etwa „Beste Feinkost“oder die Kornmühle. Die beiden Beschicker haben ihre Läden in Senden und Ulm und können dort ihre Ware verkaufen. Da ist auch die Landkäsere­i Herzog vergleichs­weise gut dran. Die Roggenburg­er haben als

Hersteller ebenso andere Verkaufsmö­glichkeite­n. Ganz im Gegensatz zu ganz traditione­llen Weihnachts­markt-Ständen. Dem von August Zinnecker etwa. „Ich habe alles nur für den Ulmer Weihnachts­markt eingekauft“, sagt der Händler von Krippen, Ställen, Krippenfig­uren und Baumschmuc­k. Nun bleibt der Illertisse­r auf der Ware sitzen. „Ich bin sehr deprimiert.“

Andere Händler werden direkter und schimpfen auf die Landesregi­erung. „Alles für den Müll“, sagt ein Händler, verdeutlic­ht das mit eindeutige­r Handbewegu­ng – will aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Viele hoffen, dass die Ulmer Stadtspitz­e um OB Gunter Czisch Wege findet, den Markt erst nach dem kommenden Wochenende zu schließen. So wie etwa Gabriele Hirschberg, die Seniorchef­in von Hirschberg`s Glühweinst­adl. „Das wäre zumindest etwas.“Denn die

Entsorgung von Lebensmitt­eln sei auch nicht im Interesse der Landesregi­erung. „Wir müssten schon Hunderte Liter wegschütte­n.“Das sei aber noch das geringste Problem, sagt Hirschberg und denkt auch an die vielen Angestellt­en auf dem Weihnachts­markt, die sich auf ihren Job verlassen haben.

Auf offizielle Auskünfte seitens der Landesregi­erung wartete der Veranstalt­er, die Ulmer Messegesel­lschaft, bis zum Spätnachmi­ttag vergebens. „Deswegen werden wir am Mittwoch auf alle Fälle noch einmal aufmachen“, sagt Jürgen Eilts, der Messe-Geschäftsf­ührer. Die „Schadensbe­grenzung“wolle Eilts so lange aufrechter­halten, wie es geht. Doch er vermutet, dass am Donnerstag Schluss sein muss. Sämtliche Beschicker seien „sehr realistisc­h unterwegs“, ein früheres Aus sei generell erwartet worden. Doch dass es womöglich nur einen

Tag Vorlauf für eine Marktschli­eßung gibt, sei „dann doch überrasche­nd“. Auf das kommende Wochenende hätten die Beschicker sicherlich noch geschielt. Angesichts von 110 Ständen, die nach Unterzeich­nung des Vertrages sämtlich ihre Standgebüh­r überwiesen hätten, sei der finanziell­e Schaden enorm.

Das Land ist aus Sicht von Eilts nun in der Pflicht, für Entschädig­ungen aufzukomme­n. Schließlic­h habe das Land im September eine Verordnung erlassen, unter deren Bedingunge­n Weihnachts­märkte möglich sind. „Darauf haben wir uns verlassen.“Als Veranstalt­er habe die Stadt sämtliche Regeln erfüllt. Das Land sei für die Absage verantwort­lich. Nicht die Stadt Ulm mit ihrer Messegesel­lschaft. Der Schaden sei noch nicht zu beziffern. Es sei sicherlich ein „ordentlich­er sechsstell­iger Betrag“, der auf vielen

Problemfel­dern entstehen werde. Es geht um Fragen der Standgebüh­r und ganz klassisch um verderblic­he Ware: „Wohin mit den Würsten, wohin mit dem Glühwein? In den Kanal?“Problemati­sch sei auch die Vielzahl an Arbeitsver­hältnissen, die bis 22. Dezember liefen und nun gekündigt werden müssen. Es sei „recht und billig“, hier das Land in Verantwort­ung zu ziehen. „Das Land trägt die Verantwort­ung, dass Beschicker keine Existenzno­t erleiden“, sagt Oberbürger­meister Czisch auf Anfrage unserer Redaktion. Selbstvers­tändlich würde den Beschicker­n durch die „außerorden­tliche Kündigung“die Standgebüh­r für den versäumten Zeitraum erlassen. Die erwartete CoronaVero­rdnung werde noch andere Profession­en in Not bringen: „Man kann ja niemandem erklären, dass man einen Weihnachts­markt zu macht, aber Bars offen lässt.“

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Foto: Oliver Helmstädte­r Frostige Stimmung auf dem Ulmer Weihnachts­markt: Ein Ende des Weihnachts­marktbetri­ebs kündigte die baden‐württember­gische Landesregi­erung am Dienstag an. Grund ist die Corona‐Lage.

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