„Ich war ein Hallodri“
Fußball Ein ungezügelter Lebensstil, falsche Hoffnungen und Verletzungen standen Andreas Hindelang lange im Weg. Jetzt hat der Ex-Illertisser im Allgäu sein Glück gefunden
Sonthofen/Illertissen Ein Juwel, ein genialer Kicker, das vielleicht größte Allgäuer Talent seiner Generation: Andreas Hindelang war viel in seinem Fußballer-Leben – nur niemals „everybody’s darling“. Seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten polarisiert der 34-jährige Stürmer, der von Januar 2013 bis Juli 2016 auch beim FV Illertissen kickte und inzwischen beim Landesligisten 1. FC Sonthofen heimisch geworden ist. „Man muss mich nicht mögen, damit komme ich zurecht. Die Menschen, die mich kennen, erleben mich anders, als ich auf dem Platz bin. Beide Seiten sind glücklich damit“, sagt er. Und der ehemalige Profi ergänzt: „Vielleicht sehen mich die Leute so, weil sie nie verstanden haben, warum ich so bin.“
Als Teenager galt er als einer der größten Rohdiamanten der Region. Dieses Prädikat schleppte Hindelang über Profistationen und Rückwege ins Allgäu, über BundesligaSchnuppertrainings und depressive Täler so lange mit, bis es zur Bürde wurde. Verletzungen und ein fragwürdiger Lebensstil seien ihm und der Karriere lange im Weg gestanden, sagt der 34-Jährige. „Offen wie nie zuvor“wolle er endlich Klartext reden. Und deshalb beginnt Hindelang das Interview mit unserer Redaktion auch nicht chronologisch – sondern bei der aktuellen Verfassung. „Ich bin jetzt endlich in der Form, mit der ich der Mannschaft helfen kann. Das war nicht immer so“, sagt der Offensiv-Spieler.
Dass gerade Andreas Hindelang in dieser Saison Symbolfigur des Aufschwungs beim LandesligaSpitzenreiter Sonthofen ist, war nicht zu erwarten. Um zu verstehen, warum sich Hindelang bis heute vom eingebrannten Bild des „ständig Verletzten, der nie in die Spur kommt“, freizuspielen versucht, genügt ein Blick auf die Teenagerzeit des fußballerisch Hochbegabten. Nach den Anfängen beim TSV Blaichach im Allgäu zog es ihn über den Förderkader von Karl-Heinz Riedle nach Weiler. Der damalige Trainer, Uwe Wegmann aus Burgberg, ermöglichte ihm das Schnuppern in Wolfsburg und Freiburg – und lockte den Teenager nach der B-Jugend zum FC Kempten. In knüppelharter Konkurrenz mit Thomas Rathgeber und Axel Fuchsenthaler lernte der Blondschopf sich durchzubeißen und wurde mit 18 Jahren Stammspieler. Dann lockten die großen Vereine, Hindelang wechselte zum
VfB Stuttgart. „Es war ein schwerer Schritt zum Profi, weg aus dem Allgäu. Ich bin ein Heimatkind“, sagt der 34-Jährige. Am Scheideweg zum Bundesliga-Geschäft traute sich Hindelang. Und erlag der größten Versuchung. „Es hat sich damals angedeutet, dass ich die Partywelt geliebt habe, dass ich mir damit im Weg stand“, sagt Hindelang, der beim VfB drei Jahre als Vollprofi kickte. „Es wurde ab da immer schlimmer.“
Es folgte der Wechsel nach Memmingen, ein halbes Jahr in EschenMauren/Liechtenstein, ehe er ab 2013 beim FV Illertissen in der Regionalliga im Einsatz war. Und der zunehmend ungezügelte Lebensstil hatte Folgen: „Ich habe immer wieder muskuläre Verletzungen gehabt. Das hat den ganz großen Sprung verhindert. Größtenteils ist das meine Schuld. Ich war ein Hallodri, habe mich belogen. Heute weiß ich, dass mich das Leben da geformt hat“, gesteht er.
Muskuläre Probleme als Resultat der dürftigen Einstellung, langwierige Achillessehnenentzündungen und eine „schwere mentale Schieflage haben sehr an mir genagt“, sagt Hindelang. Mit 28 Jahren war er am Boden. „Es war schlimm, zu akzeptieren, dass die Chance endgültig weg war. Denn Fußball war mein Können, der Körper war mein Kapital. Ich war in der Zeit nicht bereit für Alternativen“, meint er.
Das ließ ihn umdenken. Hindelang hinterfragte alles – von Ernährung bis Freizeitgestaltung. Mit dem Wechsel 2016 zum Allgäuer Bayernligisten TSV Kottern, einem Stadtteil von Kempten, begann die Trendwende auch sportlich. Nach zwei Jahren und einem halbjährigen Engagement beim FC Bizau in Österreich, ging es zurück in die Heimat zum 1. FC Sonthofen.
Der 34-Jährige hatte sich zwar auch dort noch der körperlichen Altlasten aus den sündigen Jahren zu entledigen, aber der Sinneswandel schritt voran. Hindelang drückte mit 32 noch einmal die Schulbank, schulte zum Fachlageristen um, verdient „heute ehrliches Geld, so wie es sein muss“, sagt er. Er arbeitet eigenständig an der Fitness, Verletzungen werden rarer. Im Herbst seiner Karriere plant er keine großen Sprünge mehr. „Langfristige Zusagen mache ich nicht mehr. Mein Traum ist der Aufstieg mit der aktuellen Mannschaft. Danach höre ich ganz genau darauf, was mein Körper sagt. Das habe ich viel zu lange nicht gemacht“, sagt Hindelang.