Lässt sich eine Corona‐Impfpflicht durchsetzen?
Pandemie Schon jetzt formiert sich Widerstand gegen die Pläne von Bald-Kanzler Scholz.
Augsburg/Berlin Eine stetig wachsende Zahl an Intensivpatienten, keine echte Entwarnung von den Experten – der Druck der Pandemie könnte dazu führen, dass die Politik mit einem der massivsten gesellschaftlichen Eingriffe Ernst macht: einer allgemeinen Impfpflicht. Noch im alten Jahr sollten entsprechende Anträge für eine Abstimmung im Bundestag eingebracht werden, kündigte der künftige Kanzler Olaf Scholz an. Bis Anfang Februar oder bis Anfang März sollten alle geimpft sein. Abgestimmt wird nach seiner Vorstellung ohne Fraktionszwang, wie bei ethisch schwierigen Fragen üblich.
Doch genau das macht Prognosen schwer, ob der künftige Kanzler genug Unterstützer hinter sich versammeln kann. Aus den Reihen seines Koalitionspartners FDP deutet sich Widerstand an – die Liberalen hatten stets die größten Bedenken gegen weiteren Druck auf Ungeimpfte. „Ich bin gegen eine Impfpflicht gegen Covid-19“, sagt FDPFraktionsvize Michael Theurer unserer Redaktion. Die Impfkampagne stocke nicht wegen mangelnder Impfbereitschaft, sondern „wegen der zu geringen Impfstoffbestellung durch den geschäftsführenden Bundesgesundheitsminister Spahn und zu wenigen Personen, die den Impfstoff verimpfen dürfen“. Theurer hat vor allem massive Zweifel an der Umsetzung einer Pflicht. Entweder werde die Impfpflicht mit so hohen Strafen durchgesetzt, dass die Verhältnismäßigkeit und damit die Verfassungsmäßigkeit infrage gezogen werden müssten. „Alternativ wäre sie mit einem geringen Bußgeld möglicherweise weniger wirksam als andere, bereits getroffene Maßnahmen wie 3G am Arbeitsplatz und im ÖPNV“, sagt der Liberale. „Dem steht allerdings auch das Risiko eines Vertrauensverlustes in die Politik entgegen.“
In Österreich, das ebenfalls die Einführung einer Impfpflicht vorantreibt, ist bei Zuwiderhandlung eine Geldstrafe von bis zu 3600 Euro im Gespräch, im Wiederholungsfall bis zu 7200 Euro. Schwierig wird es zudem mit der Kontrolle. Eine Impfpflicht bedeutet nicht, dass Menschen zwangsgeimpft werden können. In Griechenland, das eine Impfpflicht für Über-60-Jährige einführt, leitet die staatliche Sozialversicherung die Daten der Ungeimpften an das Finanzamt weiter, das dann für die Eintreibung der Geldbuße zuständig ist.
Als Vorbild für eine CoronaImpfpflicht kann die Impfpflicht gegen die Masern dienen. „Tatsächlich sind die beiden Vorgänge unterschiedlich zu betrachten, schon allein, weil die Erkrankungen sehr unterschiedlich sind“, sagt hingegen Professor Josef Franz Lindner, Rechtswissenschaftler an der Universität Augsburg. „Masern sind wesentlich ansteckender als Coronaviren.“Und sie können große Gefahr vor allem für Kinder bedeuten. Nach Angaben des Robert-KochInstitutes beläuft sich die sogenannte Letalität bei Masern auf eins zu 1000: Also stirbt rein statistisch etwa jeder tausendste Erkrankte. Hinzu kommt, dass es keine echte Therapie gegen Masern gibt.
Entscheidet sich der Bundestag dennoch für eine Impfpflicht, braucht es juristische Schritte. Das Infektionsschutzgesetz, so Lindner, ermächtige im Paragraf 20, Absatz sechs zwar das Bundesgesundheitsministerium, eine Impfpflicht einzuführen – aber nur für bedrohte Teile der Bevölkerung. Dies müsste entsprechend geändert werden. Bei der Masern-Impfpflicht wurde im Paragraf 20, Absatz acht und neun, eine eigene Rechtsgrundlage vom Bundestag verabschiedet, durch die eine Masern-Impfpflicht für Kinder und Betreuungspersonal eingeführt wurde. „So in etwa könnte man auch bei Corona vorgehen“, sagt Lindner. » Kommentar