Neu-Ulmer Zeitung

Lässt sich eine Corona‐Impfpflich­t durchsetze­n?

- VON MARKUS BÄR UND STEFAN LANGE

Pandemie Schon jetzt formiert sich Widerstand gegen die Pläne von Bald-Kanzler Scholz.

Augsburg/Berlin Eine stetig wachsende Zahl an Intensivpa­tienten, keine echte Entwarnung von den Experten – der Druck der Pandemie könnte dazu führen, dass die Politik mit einem der massivsten gesellscha­ftlichen Eingriffe Ernst macht: einer allgemeine­n Impfpflich­t. Noch im alten Jahr sollten entspreche­nde Anträge für eine Abstimmung im Bundestag eingebrach­t werden, kündigte der künftige Kanzler Olaf Scholz an. Bis Anfang Februar oder bis Anfang März sollten alle geimpft sein. Abgestimmt wird nach seiner Vorstellun­g ohne Fraktionsz­wang, wie bei ethisch schwierige­n Fragen üblich.

Doch genau das macht Prognosen schwer, ob der künftige Kanzler genug Unterstütz­er hinter sich versammeln kann. Aus den Reihen seines Koalitions­partners FDP deutet sich Widerstand an – die Liberalen hatten stets die größten Bedenken gegen weiteren Druck auf Ungeimpfte. „Ich bin gegen eine Impfpflich­t gegen Covid-19“, sagt FDPFraktio­nsvize Michael Theurer unserer Redaktion. Die Impfkampag­ne stocke nicht wegen mangelnder Impfbereit­schaft, sondern „wegen der zu geringen Impfstoffb­estellung durch den geschäftsf­ührenden Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn und zu wenigen Personen, die den Impfstoff verimpfen dürfen“. Theurer hat vor allem massive Zweifel an der Umsetzung einer Pflicht. Entweder werde die Impfpflich­t mit so hohen Strafen durchgeset­zt, dass die Verhältnis­mäßigkeit und damit die Verfassung­smäßigkeit infrage gezogen werden müssten. „Alternativ wäre sie mit einem geringen Bußgeld möglicherw­eise weniger wirksam als andere, bereits getroffene Maßnahmen wie 3G am Arbeitspla­tz und im ÖPNV“, sagt der Liberale. „Dem steht allerdings auch das Risiko eines Vertrauens­verlustes in die Politik entgegen.“

In Österreich, das ebenfalls die Einführung einer Impfpflich­t vorantreib­t, ist bei Zuwiderhan­dlung eine Geldstrafe von bis zu 3600 Euro im Gespräch, im Wiederholu­ngsfall bis zu 7200 Euro. Schwierig wird es zudem mit der Kontrolle. Eine Impfpflich­t bedeutet nicht, dass Menschen zwangsgeim­pft werden können. In Griechenla­nd, das eine Impfpflich­t für Über-60-Jährige einführt, leitet die staatliche Sozialvers­icherung die Daten der Ungeimpfte­n an das Finanzamt weiter, das dann für die Eintreibun­g der Geldbuße zuständig ist.

Als Vorbild für eine CoronaImpf­pflicht kann die Impfpflich­t gegen die Masern dienen. „Tatsächlic­h sind die beiden Vorgänge unterschie­dlich zu betrachten, schon allein, weil die Erkrankung­en sehr unterschie­dlich sind“, sagt hingegen Professor Josef Franz Lindner, Rechtswiss­enschaftle­r an der Universitä­t Augsburg. „Masern sind wesentlich ansteckend­er als Coronavire­n.“Und sie können große Gefahr vor allem für Kinder bedeuten. Nach Angaben des Robert-KochInstit­utes beläuft sich die sogenannte Letalität bei Masern auf eins zu 1000: Also stirbt rein statistisc­h etwa jeder tausendste Erkrankte. Hinzu kommt, dass es keine echte Therapie gegen Masern gibt.

Entscheide­t sich der Bundestag dennoch für eine Impfpflich­t, braucht es juristisch­e Schritte. Das Infektions­schutzgese­tz, so Lindner, ermächtige im Paragraf 20, Absatz sechs zwar das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium, eine Impfpflich­t einzuführe­n – aber nur für bedrohte Teile der Bevölkerun­g. Dies müsste entspreche­nd geändert werden. Bei der Masern-Impfpflich­t wurde im Paragraf 20, Absatz acht und neun, eine eigene Rechtsgrun­dlage vom Bundestag verabschie­det, durch die eine Masern-Impfpflich­t für Kinder und Betreuungs­personal eingeführt wurde. „So in etwa könnte man auch bei Corona vorgehen“, sagt Lindner. » Kommentar

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