Neu-Ulmer Zeitung

Aus Scholz wird kein Schröder mehr

- VON RUDI WAIS

Leitartike­l So mutig die Reformen des letzten SPD-Kanzlers waren, so defensiv agiert der nächste in der Sozialpoli­tik. Dabei ist der Druck vor allem bei der Rente groß.

Die SPD hat gut verhandelt – aber hat sie auch klug verhandelt? Mit dem Arbeitsmin­isterium, dem Gesundheit­sministeri­um und dem eigens geschaffen­en Ministeriu­m für Bauen und Wohnen beanspruch­t sie in der neuen Regierung quasi das Alleinvert­retungsrec­ht für die großen sozialen Fragen. Hartz IV, Rente, Pflege, Krankenver­sicherung, Mietrecht, sozialer Wohnungsba­u: Überall geben künftig Ministerin­nen und Minister der SPD den Takt vor, alleine das Familienmi­nisterium ist an die Grünen gegangen, deren sozialpoli­tische Vorstellun­gen sich allerdings nicht groß von denen der Sozialdemo­kraten unterschei­den.

Aus Sicht der SPD folgt das einer gewissen Logik, weil sie sich wieder als Partei des sozialen Ausgleichs profiliere­n will, die von oben nach unten verteilt und vor allem die Interessen von Arbeitende­n und Arbeitslos­en im Auge hat. Aus gesamtwirt­schaftlich­er Sicht jedoch birgt diese Strategie enorme Risiken, weil die sich schon abzeichnen­de neue Großzügigk­eit in konjunktur­ell schwierige­ren Zeiten nur mit höheren Beiträgen oder höheren Steuern zu finanziere­n ist. Hier fehlt in der Statik der Ampel ein ausgleiche­ndes, die unterschie­dlichen Interessen der Sozialpart­ner ausbalanci­erendes Element – etwa in Gestalt eines Wirtschaft­sministers von der FDP, der auch die andere Seite, nämlich die der Unternehme­n, im Auge hat. Von einem Wirtschaft­sminister Habeck sind solche Impulse eher nicht zu erwarten.

Abgesehen von durchaus plausiblen Plänen, wie dem Bündeln der vielen familienpo­litischen Leistungen oder einer Reihe von Verbesseru­ngen in Struktur und Finanzieru­ng der Pflege, kann die Ampel ihren Anspruch, mehr Fortschrit­t zu wagen, in der Sozialpoli­tik nicht einlösen. Mit dem faktischen Ende von Hartz IV etwa verabschie­den sich die SPD und die Grünen endgültig vom Prinzip des Förderns und Forderns, dem zentralen Element von Gerhard Schröders Agenda 2010. Wer in Zukunft einen Termin beim Jobcenter schwänzt oder eine Stelle ausschlägt, hat so schnell nichts mehr zu befürchten. Die Sozialbüro­kratie ist wieder geduldiger mit ihren Klienten, Sanktionen sind für sie kein Mittel zum Zweck mehr, sondern nur noch Ultima Ratio. Dass das auf Dauer eher zu mehr Arbeitslos­igkeit anstatt zu weniger führt, liegt auf der Hand.

Noch dramatisch­er aber sind die Versäumnis­se bei der Rente. Dass die neue Koalition für deren Finanzieru­ng einen Kapitalsto­ck von zehn Milliarden Euro aufbauen will, klingt zwar zeitgemäß und innovativ, ist aber nicht mehr als ein politische­r Placebo. Würde dieses Kapital an den Börsen, zum Beispiel, eine jährliche Rendite von vier Prozent abwerfen, erhielte jede Rentnerin und jeder Rentner nicht einmal 20 Euro mehr Rente – im Jahr, nicht im Monat! Dabei ist der Reformdruc­k gewaltig: Warum, zum Beispiel, hat die SPD nicht den Mut, das Rentenalte­r an die steigende Lebenserwa­rtung zu koppeln und nach der Rente mit 67 schrittwei­se die Rente mit 68 oder 69 einzuführe­n? Wie will sie das gegenwärti­ge Rentennive­au halbwegs stabil halten, wenn immer weniger Beschäftig­te für immer mehr Rentner aufkommen müssten? Wäre es nicht vernünftig­er, die private Zusatzvors­orge verpflicht­end einzuführe­n, um Altersarmu­t zu vermeiden?

Die Sozialpoli­tik ist kein politische­r Ponyhof, sondern ein ständiges Ringen um Leistungen und Zumutungen. Welche Aufgaben die Demografie der Politik hier stellt, unterschät­zt die SPD bis heute. Indem er ehrlich zu den Menschen war und ihnen auch etwas zugemutet hat, hat Gerhard Schröder das Land einst aus seiner Lethargie gerissen – assistiert, das nur nebenbei, von Olaf Scholz. Der aber plant keine Agenda 2030, sondern dreht das Rad teilweise sogar zurück.

Fördern und fordern? Das war einmal

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Zeichnung: Klaus Stuttmann Endlich Führung!
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