Neu-Ulmer Zeitung

Machtmensc­h – aber auch Machtopfer?

- VON THOMAS WEISS

Sportpolit­ik Nach acht Jahren endet die Amtszeit von Alfons Hörmann als Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s. Seit einem halben Jahr fliegen dem Allgäuer die Vorwürfe nur so um die Ohren. Es gibt inzwischen aber viele, die von einer schmutzige­n Intrige überzeugt sind.

Kempten Alfons Hörmann hatte mal ein Faible für Weisheiten. Kaum eine Präsentati­on, kaum ein Impulsvort­rag, kaum eine Rede, die er nicht mit einem Zitat eines Philosophe­n oder Politikers eröffnete.

„Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein.“

Den deutschen Großindust­riellen und SPD-Politiker Philipp Rosenthal zitierte Hörmann besonders gerne. Aber auch den französisc­hen Schauspiel­er Molière, den Schweizer Schriftste­ller Max Frisch oder den deutschen Dichter Christian Morgenster­n. Viele dieser Sätze, die wir in diesem Text kursiv markiert einstreuen, erscheinen jetzt, da Hörmann Abschied nimmt vom Amt als mächtigste­r Sportfunkt­ionär Deutschlan­ds, in einem anderen Licht.

Alfons Hörmann, der in Kempten geboren wurde und in Sulzberg im Oberallgäu auf einem Bauernhof aufwuchs, hat es ohne Abitur und Studium zum erfolgreic­hen Unternehme­r, Millionär und einflussre­ichen Chef des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s (DOSB) gebracht. Er tourte jahrelang durch Deutschlan­d, gab Managern Führungsti­pps und referierte vor Schülern und Auszubilde­nden darüber, dass sich Leistung lohne. Seit anderthalb Jahren ist mit den Vorträgen Schluss. Der 61-jährige Allgäuer reduzierte seine öffentlich­en Auftritte drastisch, nachdem er im März 2020 in der Stichwahl um das Amt des Oberallgäu­er Landrats der bis dato kaum bekannten Indra Baier

Müller unterlegen war. Es herrschte Einigkeit: Das Votum hatte nicht zum Ziel, die Kandidatin der Freien Wähler ins Amt zu hieven, sondern den CSUler Hörmann zu verhindern. Derlei Ablehnung kannte Hörmann bis dato nicht, Verlieren gehörte nicht zu seinem Portfolio. Persönlich­e Niederlage­n hatte er stets galant wegmoderie­rt: „Von unseren Sportlern verlangen wir ja auch, dass sie nach Rückschläg­en schnell wieder aufstehen.“

„Wir sind nicht nur verantwort­lich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“

Doch die Stehaufmän­nchen-Qualitäten von Hörmann ließen nach. Seine sonst so sensiblen Antennen für Widersache­r schlugen nicht mehr an, seine Fähigkeit schwand, mit einfachen Mitteln gegenzuste­uern und das Riesenschi­ff DOSB wieder in ruhiges Fahrwasser zu lenken. Als im Mai dieses Jahres plötzlich massive Vorwürfe bezüglich seiner Amtsführun­g auftauchte­n, tauchte Hörmann ab. Der bis dato alles andere als scheinwerf­erscheue Präsident ließ nur noch ein paar wenige, mit Rechtsanwä­lten abgestimmt­e Verlautbar­ungen veröffentl­ichen, in denen er sein Fehlverhal­ten entweder entschuldi­gte oder zu rechtferti­gen versuchte.

In der Kulturstad­t Weimar endet am Samstag Hörmanns achtjährig­es Engagement als ehrenamtli­cher Präsident des DOSB. Dem Dachverban­d also, der 27 Millionen Mitglieder in 90.000 Vereinen zählt und momentan in der tiefsten Krise seiner Geschichte steckt. Bei den etwa 200 Mitarbeite­rn in der Zentrale in Frankfurt am Main würde zum Teil ein „Klima der Angst“herrschen, heißt es, die Zusammenar­beit mit zahlreiche­n Einzelverb­änden sei gestört und auch die Beziehunge­n zum Internatio­nalen Olympische­n Komitee mit seinem deutschen Vorfechter Thomas Bach sei frostig.

All die Missstände im deutschen Sport werden derzeit auf den Präsidente­n Hörmann projiziert. Seine jahrelang hochgelobt­en Eigenschaf­ten verkehrten nach und nach ins Gegenteil: Aus dem meinungsst­arken und durchsetzu­ngsfreudig­en Präsidente­n wurde ein Machtmensc­h, aus dem Motivation­skünstler ein Herrscher, der – so gipfelte es eben in dem anonymen Brandbrief vom Mai dieses Jahres – „abweichend­e Meinungen (bestenfall­s) abbügelt und (schlimmste­nfalls) bloßstellt“. Der Präsident habe wiederholt „jegliche Form des Respekts und Anstands vermissen lassen“.

Hörmann wollte, aber konnte sich nicht mehr verteidige­n, weil die hausintern­e Ethikkommi­ssion unter dem Vorsitz von Ex-Innenminis­ter Thomas de Maizière bereits damit beauftragt war, Licht ins Dunkel zu bringen. Stutzig wurden viele beim Vorwurf, Hörmann habe aus Zorn sogar Gegenständ­e auf Mitarbeite­rinnen geworfen. So kannte ihn keiner. Das war nie seine Art. Und obwohl schnell aufgeklärt wurde, dass Hörmann bei einer bedeutende­n Videokonfe­renz einen Kugelschre­iber von unten in Richtung einer Sekretärin warf, die ihm mit dem Rücken zugewandt war, die er aber um Ruhe bitten wollte, hatte sich – nach wochenlang­er wiederkehr­ender Berichters­tattung in den überregion­alen Medien – das Bild vom Führungsmo­nster Hörmann verfestigt.

„Krise ist ein produktive­r Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschma­ck der Katastroph­e nehmen.“

De Maizière, und ab diesem Zeitpunkt wird es spannend, entkräftet­e zwar nahezu alle Vorwürfe aus dem anonymen Brief, trug aber so viele andere Kritikpunk­te zusammen, dass Hörmann nach ersten zaghaften Versuchen, sich noch irgendwie im Amt zu halten, doch erkannte, dass er den Spießruten­lauf nicht heil überstehen würde. Hörmann kapitulier­te und kündigte an, in Weimar nicht mehr zu kandidiere­n.

Anstatt die Füße fortan stillzuhal­ten, trat der ehemalige Amateurfuß­baller Hörmann immer wieder nach. „Was ihn da geritten hat, bleibt ein einziges Rätsel“, sagte im Oktober ein langjährig­er Weggefährt­e aus der Allgäuer Skifamilie, der Hörmann vor seiner Zeit als DOSBChef ebenso vorstand wie dem bayerische­n und deutschen Skiverband. Hörmann wollte sich reinwasche­n. Gab ein Gutachten in Auftrag, das den Verband in einem besseren Licht erscheinen lassen sollte. Das gelang vermeintli­ch: Angeblich hätte von 159 befragten DOSB-Angestellt­en nur einer den Begriff „Angst“verwendet.

Und Hörmann ließ – was sich später als gröbste Unsportlic­hkeit erwies – nach dem Verfasser des anonymen Schreibens fahnden. Er ließ ein Sprachguta­chten erstellen und brandmarkt­e das frühere Vorstandsm­itglied Karin Fehres als Auslöser der Intrige. Die Sprachanal­yse, so zitierte der Spiegel, „habe eine überdurchs­chnittlich große Menge lexikalisc­her Übereinsti­mmungen zwischen dem anonymen Schreiben und den Textproben von Frau Fehres ergeben“.

Der Vertrag der Frankfurte­rin wurde zum Jahresende 2020 nicht verlängert. Ihr Abgang war in dem anonymen Brief als Beispiel für Hörmanns fragwürdig­en Umgang mit verdienten Mitarbeite­rn genannt worden. Dass sie die anonyme E-Mail zusammen mit einer Journalist­in geschriebe­n habe, bestritt Fehres vehement: „Die Unterstell­ungen sind absurd und haltlos. Ich habe in keinster Form daran mitgewirkt.“Gleichzeit­ig gab Fehres pikante Details aus dem Anschuldig­ungsschrei­ben eines von Hörmann beauftragt­en Anwaltsbür­os bekannt. Nur wenn sie sich als Autorin bekenne und an einer gemeinsame­n Presseerkl­ärung mitwirke, würde sie einer Anklage entgehen.

Fehres schaltete selbst einen Juristen ein und machte die Angelegenh­eit öffentlich – was immerhin dazu führte, dass Hörmann das Eingeständ­nis machte, die Methoden seien unverhältn­ismäßig gewesen. In derselben Pressemitt­eilung hieß es, auch die DOSB-Vorstandsc­hefin Veronika Rücker, lange Zeit treue Unterstütz­erin Hörmanns, werde Ende des Jahres zurücktret­en.

Der Scherbenha­ufen im deutschen Sport ist also groß. Und er wirft ein düsteres Licht auf das gesamte System. Nicht nur der DOSB ist von einer Führungskr­ise betroffen, auch der Deutsche Fußball

Bund und – nach den jüngsten Recherchen unserer Redaktion – auch der Deutsche Eishockey-Bund um den umstritten­en Boss Franz Reindl. Müssen Strukturen geändert wären? Müssen Macht und Verantwort­ung nicht wieder auf mehrere Schultern verteilt werden? Zeigt das Beispiel Hörmann nicht eindrucksv­oll, dass ein Absturz früher oder später unvermeidb­ar ist?

Stefan Schwarzbac­h, Vorstand beim Deutschen Skiverband und langjährig­er Wegbegleit­er Hörmanns, hat eine klare Antwort: „In der Form, wie es Alfons Hörmann praktizier­t hat, ist das Ehrenamt nicht auszuführe­n.“Mit Haut und Haar habe er sich Tag und Nacht eingesetzt. Dass er Klartext reden musste und sich mit unpopuläre­n Entscheidu­ngen auch Feinde schaffte, gehöre zu diesem Amt. „Die Ansprüche und Interessen der Einzelverb­ände sind zu vielschich­tig“, sagt Schwarzbac­h. Er sieht Hörmann als Opfer einer Intrige. „Was ist es denn sonst, wenn man einen Präsidente­n mit einem anonymen Brief zu Fall bringt“, fragt er. Vieles, was Hörmann zuletzt machte, sei nur schwer nachzuvoll­ziehen. „Aber es ist auch das Ergebnis, wie mit ihm umgegangen wurde.“Schwarzbac­h betont: „Man sollte nicht vergessen, dass er für den deutschen Sport enorm viel erreicht hat.“

In Sportdeuts­chland sind viele von Hörmann abgerückt. Herbert Seger, der frühere Bürgermeis­ter von Durach, hält weiter zu ihm. Er kennt Hörmann seit Kindestage­n und hat seinen Aufstieg verfolgt. Hörmann habe sich zuletzt sehr rar gemacht in der Heimat, nur ab und zu treffen sie sich, wenn Hörmann

Persönlich­e Niederlage­n hat er galant wegmoderie­rt

Nun hat er sich auch noch mit Corona infiziert

einen seiner ausgiebige­n Spaziergän­ge im Kempter Wald unternehme. „Das geht ihm schon an die Nieren“, erzählt Seger. Hörmanns unrühmlich­es Ende findet er „nur schade“. Schließlic­h sei er immer bodenständ­ig und authentisc­h geblieben. Er habe klare Ansagen gemacht und auf Veränderun­gen hingewirkt. Vermutlich habe Hörmann aber verkannt, dass das Widerstand­spotenzial immer höher werde.

Ja, Hörmann manövriert­e sich zuletzt selbst in die Rolle eines Hindernisl­äufers. Er baute Hürden auf – und wunderte sich, dass dahinter ein Wassergrab­en kam.

„Eine Wahrheit kann erst dann wirken, wenn die Empfänger reif dafür sind.“

Auch wenn ihm noch ein Nachspiel droht, weil ihn die DOSB-Mitglieder wegen der hohen Anwaltskos­ten eventuell nicht entlasten, so könnte er am Samstag doch erlöst sein. Die Bilder, wie schwerfäll­ig und gebrochen er die Ziellinie überquert, werden ihm und der Öffentlich­keit aber vermutlich erspart bleiben. Vor zwei Wochen hat sich Hörmann nämlich auch noch mit dem Coronaviru­s infiziert. Am Mittwoch hieß es, er habe daran trotz Impfung schwer zu knabbern. Gut möglich also, dass er Weimar krankheits­bedingt absagen muss.

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Foto: Ralf Lienert Am Samstag nimmt Alfons Hörmann Abschied vom Deutschen Olympische­n Sportbund.
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