Neu-Ulmer Zeitung

Nie wieder Lockdown

- VON JULIUS MÜLLER‐MEININGEN

Hintergrun­d Nach Jahren der Krise kommt Italien gerade wieder auf die Beine. Wachstum, Wachstum, Wachstum – so lautet das Credo von Regierungs­chef Mario Draghi. Warum im Kampf gegen Corona ein harter Kurs möglich ist.

Rom Ein erneuter Lockdown, das ist für den italienisc­hen Ministerpr­äsidenten ein Tabu. Mario Draghi war Generaldir­ektor im italienisc­hen Finanzmini­sterium, Banker, Chef der italienisc­hen und der europäisch­en Zentralban­k (EZB). Sein Credo lautet: Wachstum, Wachstum, Wachstum. Nur so könne Italien wieder Fuß fassen und von seinem hohen Schuldenbe­rg absteigen, erklärte der 74-Jährige mehrfach. Der parteilose Draghi ist ein Wirtschaft­sexperte, kein Gesundheit­s- oder Sozialpoli­tiker. Wenn es ein Mittel gibt, das drohende Schließung­en von Firmen, Büros und Geschäften im Zuge der Corona-Pandemie verhindern kann, dann ist es für Draghi auch angemessen. So und natürlich mit dem landes- und europaweit­en Ansehen des 74-Jährigen lässt sich die harte Hand der italienisc­hen Regierung seit ihrer Amtsüberna­hme im Februar erklären.

Wenn man sich Draghis Wachstums-Credo anschließt, geben ihm die Zahlen bislang recht. Die Regierung rechnet für 2021 mit einem Wachstum von gut sechs Prozent. Die ersten Milliarden-Tranchen aus dem EU-Recovery-Fund sind ausgezahlt, Italien bekommt mit rund 220 Milliarden Euro den größten Teil der Hilfen. Die Regierung hat wichtige Reformen auf den Weg gebracht. Italiens Wirtschaft kommt aus einem tiefen Tal und war seit der Währungs- und Finanzkris­e 2008 nicht mehr richtig in Schwung gekommen, umso wichtiger werden die aktuellen Zahlen genommen.

In der Regierung ist sogar von einem „Boom“die Rede. Der Premier fühlt sich bestätigt in den Entscheidu­ngen seiner Vielpartei­enRegierun­g, die Italien mit seinen 60 Millionen Einwohnern im Vergleich zu Deutschlan­d oder Österreich besser dastehen lassen. Am Mittwoch meldeten die italienisc­hen Gesundheit­sbehörden 12.764 Neuansteck­ungen, Tendenz steigend. Das sind beispielsw­eise ein Fünftel der Ansteckung­en in Deutschlan­d.

Als besonders effektiv gilt die Einführung des sogenannte­n Green Pass am Arbeitspla­tz Mitte Oktober: Seither müssen Beschäftig­te nachweisen, dass sie entweder von Corona genesen, geimpft oder getestet sind. Der Test kostet in Italien 15 Euro. Wer ihn verweigert, dem droht nach einer Woche Absenz Gehaltsent­zug. Die Maßnahme hat die Corona-Impfquote südlich der Alpen merkbar nach oben getrieben. In der Bevölkerun­g über zwölf Jahre sind rund 85 Prozent der Menschen zweimal geimpft. Kritiker bezeichnen den Kniff als Einführung der

Impfpflich­t durch die Hintertür. Aber: Die Bilder aus dem Frühjahr 2020, als das Militär im Konvoi Särge aus Bergamo abtranspor­tierte, haben Italien geprägt. Viele Menschen, vor allem Senioren, sind extrem verängstig­t.

Italien hatte bereits im April eine Impfpflich­t für das Klinikpers­onal eingeführt, im Oktober folgten die Pflegeberu­fe generell. Ab Mitte Dezember gilt dann auch eine Impfpflich­t für Lehrer, Dozenten, Polizei, Militär und Rettungsdi­enste. Angesichts der steigenden Infektions­zahlen gilt ab 6. Dezember der Green Pass auch im Öffentlich­en Nahverkehr und bei Hotelbesuc­hen, bereits seit August wurde er beim Besuch von Restaurant­s und Bars verlangt.

Vor Tagen einigte sich die Koalition auf die Einführung des sogenannte­n Super Green Pass. Er wird nur noch geimpften oder genesenen Menschen ausgestell­t, nicht mehr negativ getesteten und soll ab einer Inzidenz von 150 und der Belegung der Intensivbe­tten von 20 Prozent gelten. Nur, wer geimpft oder genesen ist, ist nicht von den Einschränk­ungen betroffen, kann also noch in Restaurant­s, Bars, zu Sportveran­staltungen oder zum Skifahren gehen. In der Region Friaul Julisch Venetien gelten ab Montag diese Bedingunge­n, die Region ist im Corona-Index von „weiß“nach „gelb“gerutscht. In Städten wie Mailand oder Bologna herrscht Maskenpfli­cht auch im Freien.

„Wenn es so weitergeht, dann wird wahrschein­lich bald ganz Italien gelbe Zone“, sagt der Gouverneur von Venetien, Luca Zaia, mit Blick auf die steigenden Zahlen. Seine Region, die Lombardei, Latium und die Emilia-Romagna könnten „gelb“werden. Für Südtirol steht das bereits fest. Die Region hat eine Sieben-Tages-Inzidenz von 550 und damit den höchsten Wert in Italien. In Südtirol muss deshalb Maske auch im Freien getragen werden, Gastronomi­ebesuche, Kino, Theater oder Fitnessstu­dio sind nur noch mit Super Green Pass, also 2G, erlaubt. Fachleute sehen einen Zusammenha­ng mit der nicht gerade begeistert­en Impfbereit­schaft der Südtiroler. In der autonomen Provinz sind rund 69 Prozent der Erwachsene­n vollständi­g geimpft, das sind rund 16 Prozentpun­kte weniger als im Landesdurc­hschnitt.

In Rom ist schon vom „Boom“die Rede

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Foto: dpa Die spanische Treppe ohne Römer und Touristen – das war undenkbar, wurde im Corona‐Lockdown aber Wirklichke­it. Dass Ita‐ lien noch einmal die Wirtschaft herunterfä­hrt, gilt unter Ministerpr­äsident Mario Draghi als unwahrsche­inlich.

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