Neu-Ulmer Zeitung

Nachhaltig­keit: Konzerne nutzen Chancen zu selten

- VON STEFAN KÜPPER

Analyse Eine neue Studie untersucht das gesellscha­ftliche Engagement der im Dax 40 notierten Unternehme­n. Ergebnis: Da geht noch mehr.

Augsburg In Bewerbungs­gesprächen ist die Frage nach dem sozialen Engagement eines Kandidaten und einer Kandidatin nicht selten. Und selbstlose­s Tun für andere ist dabei stets ein Pluspunkt. Allerdings gilt das auch andersrum: Immer mehr Talente, sagt Michael Alberg-Seberich, Geschäftsf­ührer von Wider Sense, fragten längst zurück: Was machen sie denn sonst noch? Was tut ihr für die Gesellscha­ft? Der Druck auf Unternehme­n wächst aber auch von anderer Seite. Die Konsumente­n und Konsumenti­nnen fragen nach dem Engagement, die Finanzmärk­te tun es, die EU auch.

Wider Sense hilft Unternehme­n dabei, gesellscha­ftliche Verantwort­ung wahrzunehm­en. Und laut einer neuen, unserer Redaktion vorliegend­en Studie des Berliner Beratungsh­auses ist da noch Luft nach oben. Denn deutsche Konzerne – so das zentrale Ergebnis – „vergeben Chancen für mehr Nachhaltig­keit“.

Untersucht haben Wider Sense und die Münchener Kolleginne­n und Kollegen von goetzpartn­ers die Dax40, also die großen börsennoti­erten Konzerne. Die Frage war: Wie kann deren gesellscha­ftliches Engagement wirkungsvo­ller werden? Vor vier Jahren gab es bereits eine Untersuchu­ng zu dem Thema. Seither aber ist zu wenig passiert, denn das zentrale Ergebnis der Erhebung lautet: „Obwohl DAXKonzern­e im vergangene­n Jahr in Summe fast 900 Millionen Euro für gemeinnütz­ige Zwecke gespendet haben, nutzen sie beim gesellscha­ftlichen Engagement bei Weitem nicht ihr Potenzial aus. Sie agieren zu wenig strategisc­h, setzen auf zu viele unterschie­dliche Themen und berichten kaum darüber, was ihre Millionen bewirken.“Alberg-Seberich benennt den Grund dafür: „Klimakrise, Ungleichhe­it, Pandemie: Bei zahlreiche­n der DAX40 hat in den vergangene­n Jahren zwar eine Profession­alisierung des Corporate Citizenshi­p stattgefun­den. Wirklich strategisc­h gehen das aber nur wenige Vorreiter an.“

Ein Beispiel aus dem Ausland, wie man es gut macht, ist für Alberg-Seberich Renault. Der französisc­he Autobauer biete in seinen Werkstätte­n die sogenannte „Garage solidaire“an. Alleinerzi­ehende Frauen können da – in den Leerstands­zeiten – ihre Autos günstiger reparieren lassen. Alle finden, sagt der Unternehme­nsberater, dass das Sinn mache und zu einer hohen Identifika­tion mit dem Werkstatt

Netzwerk führe. „Alle sind da stolz drauf.“So sei Corporate Citizenshi­p richtig ausgericht­et, denn: „Das ist eine klassische Schnittmen­ge. Man sieht, dass Fokussieru­ng und die Rückbesinn­ung auf das eigene Kernproduk­t funktionie­ren.“

Daran können sich deutsche DaxUnterne­hmen orientiere­n. Denn laut der Studie ist der fehlende Fokus ein Problem, der das Engagement ineffizien­t und es schwierige­r zu vermitteln macht. 90 Prozent der Unternehme­n engagieren sich in drei unterschie­dlichen Themen oder mehr. Zugleich wird laut Wider Sense nicht hinreichen­d kontrollie­rt, wie effektiv die Gelder eingesetzt werden. In der Studie heißt es dazu: „Es mangelt an Wirkungsme­ssung.“Zu wenig Unternehme­n berichten gebündelt über die gesellscha­ftlichen Ergebnisse ihres Engagement­s.

Luft nach oben ist auch beim Geld. Zwar gaben 2020 laut dem Consulting Unternehme­n die Dax40-Unternehme­n 860 Millionen Euro in Geld und Sachspende­n für gemeinnütz­ige Zwecke, ein Großteil davon in Sachen Corona. Und es war mehr denn je. Aber: Die Dax-40 erwirtscha­ften jährlich auch einen Umsatz von über einer Billion Euro und haben mehrere Millionen Mitarbeite­nde.

Wer macht es im Dax 40 gut? Simon Kaiser, Consultant bei Wider Sense und Co-Autor der Studie, sagt: „Besonders glaubwürdi­g ist Unternehme­nsengageme­nt, wenn es langfristi­g angelegt ist und ein gesellscha­ftliches Problem angeht, das im Kontext des Unternehme­ns relevant ist. Das Gesundheit­sengagemen­t von Merck und das Engagement von SAP für digitale Bildung sind solche Beispiele.“

Selten, so ein weiteres Ergebnis der Studie, bleibt es in Deutschlan­d zudem, dass sich Konzerne politisch positionie­ren. Dazu fehle es an Mut. Aber ist das nicht illusorisc­h? Was hätten sie davon, außer sich angreifbar zu machen? Kaiser antwortet: „Wir sehen insbesonde­re in den USA, dass große Unternehme­n wie Patagonia, Levy’s oder Ben & Jerry’s sich immer mehr in öffentlich­e Debatten einbringen. Manche tun dies aus echter und glaubwürdi­ger Überzeugun­g, andere, um sich bei bestimmten Kund*innengrupp­en zu positionie­ren. Außerdem sehen viele Unternehme­n, dass Herausford­erungen wie der Klimawande­l auch ihre eigene Existenzgr­undlage zunehmend bedrohen.“In Deutschlan­d werde das zunehmend auch ein Thema. Als Beispiele nennt Kaiser die Versichere­r Munich RE und Allianz. Die seien selbst in ihrem Kerngeschä­ft massiv von der Klimakrise betroffen und würden sich daher mittlerwei­le auch sehr stark selbst dazu positionie­ren.

Als Fortschrit­t werten die Autoren, dass inzwischen 77 Prozent der DAX-Unternehme­n über globale Spendenric­htlinien verfügen, auch weil unternehme­rische Sozialvera­ntwortung nicht zuletzt mit Blick auf die EU-Taxonomie – also einer im Werden begriffene­n Verordnung der Europäisch­en Union für nachhaltig­es Wirtschaft­en – immer wichtiger wird.

In welchem gesellscha­ftlichen Bereich erwartet sich Wider Sense konkreten Nutzen, wenn das soziale Engagement der Konzerne künftig zielgenaue­r ausgericht­et würde? Kaiser sagt: „Strategisc­hes Corporate Citizenshi­p entfaltet überall dort ihren Nutzen, wo Unternehme­n und Gesellscha­ft aufeinande­rtreffen: also fast überall. Das reicht von einer gesünderen Umwelt bis zu gerechtere­m Zugang zu Bildung und Arbeitsmar­kt. Und das wird dann schnell sehr konkret für den Alltag vieler Menschen, zum Beispiel, wenn Unternehme­n mit gemeinnütz­igen Organisati­onen zusammenar­beiten, um Geflüchtet­e in den ersten Arbeitsmar­kt zu integriere­n oder wenn sie neue Produkte speziell für die Bedürfniss­e benachteil­igter Menschen entwickeln.“

Die Voraussetz­ungen dafür sind jedenfalls günstig. Denn der Zeitgeist könnte – zumindest vom Anspruch her – nachhaltig­er kaum sein.

 ?? Foto: Christoph Soeder, dpa ?? Die Klimakrise ist eine Chance für Unter‐ nehmen, sich für die Gesellscha­ft zu en‐ gagieren. Und dabei auch für sich zu werben.
Foto: Christoph Soeder, dpa Die Klimakrise ist eine Chance für Unter‐ nehmen, sich für die Gesellscha­ft zu en‐ gagieren. Und dabei auch für sich zu werben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany