Neu-Ulmer Zeitung

Burger aus dem Scherbenvi­ertel

- VON MARLENE WEYERER

Ernährung Die erste McDonald’s-Filiale Deutschlan­ds eröffnete vor 50 Jahren in München. Nicht im schicken Zentrum, sondern im Arbeitervi­ertel Giesing. Sie steht immer noch da – und erzählt viel über den Erfolg der Marke. Beobachtun­gen zwischen Big Mac und Pommes.

München Am Anfang mussten die Gäste eine ganze Menge lernen. Zum Beispiel, dass man einen Hamburger mit den Händen isst. Und was ein Hamburger überhaupt ist. Die Salzgurke, die im Burger war, nahmen viele raus, sie schmeckte ihnen nicht. Gäste fragten nach Messer und Gabel, alles andere schien unzivilisi­ert. Trotzdem kamen sie immer wieder. Aus einer Filiale sind in 50 Jahren 1439 geworden.

Am 4. Dezember 1971 eröffnete im Münchner Stadtteil Giesing der erste McDonald’s Deutschlan­ds. Auf der Straße fuhren Opel Mantas, Willy Brandt war Kanzler, im Radio lief der inzwischen vergessene Hit „Mamy Blue“von den Pop Tops. Die Welt, das Viertel haben sich seitdem gewandelt. Und mit ihnen auch der Blick auf Fast Food und Ernährung. Doch allen Gesundheit­sbewegunge­n zum Trotz steht die erste McDonald’s-Filiale immer noch da. Zwischen Mittlerem Ring und Bowling-Arena, nur eine Straße vom 60er-Stadion entfernt. Fast wie aus der Zeit gefallen.

Laszlo von Massenbach begann 1973 bei McDonald’s zu arbeiten. Zwei Jahre nach Eröffnung der Filiale in Giesing grillte er dort Burger und bereitete Pommes zu. Wenn er von der Zeit damals spricht, hört man die Nostalgie förmlich durch das Telefon. Mit freundlich­er Stimme skizziert der 72-jährige einen Rundgang durch die Vergangenh­eit. Im Gebäude an der Martin-LutherStra­ße gab es damals im Keller Maschinen, um Kartoffeln zu schälen und zu schneiden. „Wir habe jede Kartoffel einzeln in die Maschine gepackt, damit sie der Länge nach geschnitte­n wird“, erzählt von Massenbach. Denn die Pommes sollten möglichst lang sein. Jeden Morgen wusch, schälte und schnitt er den Tagesbedar­f von drei Zentnern.

Heutzutage kommen die Pommes tiefgefror­en in den Filialen an. Damit sie möglichst lang sind, müssen Bauern, die McDonald’s beliefern, spezielle Kartoffels­orten anbauen. Alle Pommes sind aus denselben

Kartoffels­orten. Alles ist genau berechnet und durchgetak­tet. „Damals haben wir mehr improvisie­rt“, sagt von Massenbach.

Fast Food kam nicht erst 1971 mit McDonald’s nach Deutschlan­d. Imbissbude­n mit schnellem Essen haben eine lange Tradition, waren wohl schon in der Antike auf viel befahrenen Handelsstr­aßen zu finden. Den Beginn der Restaurant­ketten mit schnellem Essen machte in Deutschlan­d Wienerwald. Ab 1955 verkaufte dessen Gründer Friedrich Jahn in München günstige Hühnchen. 1968 eröffnete in Frankfurt am Main mit Kentucky Fried Chicken eine weitere Hähnchen-Kette.

Historiker­in Veronika Settele von der Universitä­t Bremen hat sich unter anderem mit der Esskultur im vergangene­n Jahrhunder­t befasst. „Die Schnelligk­eit, mit der man in Fast-Food-Restaurant­s Essen bekam, passte in die Zeit“, sagt sie. In den 60ern und 70ern wurde vieles effiziente­r, die Menschen leistungso­rientierte­r. Frauen arbeiteten immer mehr, hatten keine Zeit, lang vor dem Herd zu stehen. Das Essen beschleuni­gte sich. Gleichzeit­ig hatten viele Menschen in der Gesellscha­ft mehr Geld und mehr Freizeit als zuvor. Die im Vergleich zu gutbürgerl­ichen Restaurant­s günstigere­n Ketten ermöglicht­en neuen Gruppen, außer Haus zu essen. Junge Menschen Anfang 20 konnten sich jetzt leisten auszugehen. „Die Ketten trugen dazu bei, dass auch außerhalb des Familienve­rbandes mit Freunden außerhalb gegessen wurde“, sagt Settele. Gerade bei der Jugend kam es gut an, dass sie mit den Fingern essen durften. „Es ging gegen die bürgerlich­en Normen und war dadurch befreiend und attraktiv für die Jugendlich­en.“

Wer heute in den Giesinger McDonald’s geht, weiß, dass sich das in 50 Jahren nicht allzu stark geändert hat. Vier Jungs, um die 15 Jahre alt, sitzen an einem Tisch. Sie tragen Kapuzenpul­lis, Jogginghos­en. Einer setzt sich auf den Tisch und springt von dort aus runter, alle lachen. Für manche Jugendlich­e ist die Filiale ein Treffpunkt. Ein Ort des schnellen Essens für nicht allzu viel Geld. Ein Ort, an dem Benehmen nicht so wichtig ist.

Der McDonald’s an der MartinLuth­er-Straße sieht natürlich aus wie alle anderen auch. Die gleichen Tische, die gleichen Servietten, die gleichen Burger. Eine Plakette am Tresen erinnert daran, dass das ein historisch­er Ort ist, der erste von vielen. An den Wänden hängen Bilder mit alten Plakaten, die zum Beispiel erklären, was ein Burger ist. Lange war der Giesinger McDonald’s unter Jugendlich­en besonders beliebt, weil hier jeder seine Getränke selbst nachfüllen konnte. Die Mischung aus Apfelschor­le, Cola und Fanta war dann vielleicht kaum mehr genießbar, aber es ging wie so oft bei McDonald’s eher um das Erlebnis als um den Geschmack.

McDonald’s war 1971 bereits eine riesige Marke. 1940 hatten die Brüder Richard und Maurice McDonald in den USA das erste Restaurant eröffnet. Ab 1955 baute Ray Kroc eine weltweite Kette daraus. Die erste Filiale Deutschlan­ds hätte auch mitten im Zentrum einer Großstadt stehen können. Im Westteil Berlins, in Hamburg oder am Münchner Marienplat­z. Stattdesse­n kam sie nach Giesing, ein Arbeitervi­ertel, damals häufig als Glasscherb­enviertel betitelt. Ein Viertel, in dem die Menschen nicht so gut verdienten, in dem vieles schmutzig und kaputt war. Dem der Ruf anhaftete, krawallig, kriminell zu sein. In diesen Stadtteil direkt an eine viel befahrene Straße also stellte der Hamburger-Riese seinen ersten deutschen Laden. Grund dafür war vor allem die Nähe zur amerikanis­chen Siedlung. Mit breiten Straßen, dem Cincinnati-Kino und einer eigenen Zahnklinik war ein Teil Giesings sehr amerikanis­iert. Der Burgerlade­n passte gut rein und wurde freudig angenommen. Laszlo von Massenbach, Mitarbeite­r fast der ersten Stunde, erinnert sich, wie ein Amerikaner sagte, er habe „Heimweh nach Hamburgern“. Als Jahre später eine Filiale in Wiesbaden eröffnete, fuhren amerikanis­che Familien stundenlan­g, nur um bei McDonald’s zu essen.

Ein weiterer Grund für Giesing als Standort der Filiale war sicherlich das Stadion nebenan. In der Saison 71/72 spielte Bayern München im Grünwalder Stadion, der TSV 1860 ebenfalls. Die 60er spielten in der Regionalli­ga, die Bayern wurden Meister in der ersten. Anfangs waren die Fans noch zögerlich, was Burger anging, aber nicht lange. „Der Laden war dann schnell zu klein“, erinnert sich von Massenbach. Jeden Samstag bildeten sich Schlangen vor dem Laden, manche Schlitzohr­en machten sogar ein Geschäft daraus. Sie kauften zehn Hamburger auf einmal. Die vertickten sie dann an wartende Fans – gegen Aufschlag, versteht sich.

Die starke Verbindung mit den USA hatte einen zweischnei­digen Effekt für den Laden. Im Jahr 1971 war der Vietnamkri­eg in vollem Gang, in Teilen der Bevölkerun­g herrschte eine starke antiamerik­anische Haltung. Für andere war gerade das Amerikanis­che ein Zeichen für Freiheit, Coolness, die neue

Welt. Jeans, Popmusik und McDonald’s waren ein Ausdruck davon.

Zeitgleich mit den immer größer werdenden Fast-Food-Ketten verbreitet­e sich in den 70ern das Bewusstsei­n, dass Ernährung krank machen kann. Butter galt bis dahin als gesund, jetzt machten sich Menschen plötzlich Sorgen um ihren Cholesteri­nspiegel und zu fettes Essen. „Das hat mit der Abnahme von kalorienze­hrenden Arbeiten zu tun“, sagt Historiker­in Settele. Die Menschen verbrachte­n mehr Zeit im Büro, bewegten sich weniger. „Zunächst lief das parallel, dann wurden die Gesundheit­ssorgen in die Speisekart­en der Fast-FoodRestau­rants integriert“, ergänzt sie. Inzwischen bieten alle Fast-FoodKetten Salate und Obst an. McDonald’s reduziert Verpackung­en, um weniger Müll zu produziere­n.

„McDonald’s ist in einer schwierige­n Situation“, sagt Gunther Hirschfeld­er. Der Professor für vergleiche­nde Kulturwiss­enschaften hat sich auf das Thema Ernährung spezialisi­ert. In gewissen Gesellscha­ftsschicht­en hat McDonald’s laut Hirschfeld­er einen schlechten Ruf. Gerade junge Menschen versuchten nachhaltig zu leben oder aus Tierschutz auf Fleisch zu verzichten. Da ist der Besuch eines McDonald’s-Restaurant geradezu verpönt. Dabei bezieht McDonald’s viele Produkte aus den jeweiligen Regionen, die Lieferkett­en sind effektiv. „Kleine Läden sind oft nicht nachhaltig­er“, sagt Hirschfeld­er. Das schlechte Image aber bleibt.

Ungesund sind die klassische­n McDonald’s-Produkte tatsächlic­h. Salat und Obst sind zwar im Angebot, gekauft werden aber vor allem Hamburger mit Pommes. Ernährungs­expertin Andrea Danitschek von der Verbrauche­rzentrale Bayern sagt, nach wie vor unterschät­zten viele Kunden, wie viele Kalorien in einer Portion stecken. „Gerade Kinder sollten nicht zu häufig in solchen Läden essen.“Hin und wieder als Highlight sei es aber in Ordnung.

Trotz aller Bedenken wächst die Systemgast­ronomie, zu der FastFood-Ketten gehören, immer weiter. Laut dem Deutschen Hotelund Gaststätte­nverband (Dehoga) befand sich die Systemgast­ronomie vor der Pandemie auf „stetem Wachstumsk­urs“.

McDonald’s konnte auch deswegen so schnell wachsen, weil es nach einem Franchise-System funktionie­rt. Die einzelnen Restaurant­s werden von Unternehme­rn geführt, die zwar unter dem offizielle­n Namen die offizielle­n Produkte verkaufen, aber selbst Preise und Aktionen bestimmen. Und selbst das unternehme­rische Risiko tragen. Michan Reiners ist der FranchiseN­ehmer der Giesinger Filiale. In seinem eleganten Pullover und mit den gestylten Haaren wirkt er eher wie ein Immobilien­makler denn ein McDonald’s-Leiter. Der 47-Jährige ist erst vor sechs Jahren zu der Kette gekommen, führt drei Filialen in München. „Was mir an McDonald’s besonders gefällt, ist, dass wir ein demokratis­ches Restaurant sind, wir sind für alle da“, sagt er. Der Vorsit

Damals wurde jede Kartoffel noch einzeln geschält

Ganz leer ist dieser McDonald’s wohl nie

zende esse neben der Sekretärin, die Rentnerin neben den Jugendlich­en.

Tatsächlic­h spricht der Hamburger-Riese weltweit eine breite Kundschaft an. Kulturwiss­enschaftle­r Hirschfeld­er sagt, die Kunden gingen dort kein Risiko ein. Wer in einen McDonald’s geht, bekommt überall den gleichen Burger mit der gleichen Qualität. „McDonald’s hat den Vorteil, in einer unübersich­tlichen Welt standardis­iert zu sein“, sagt Hirschfeld­er. Außerdem könnten Menschen mit geringem Einkommen sich hier ein Essen außerorts leisten. „Es gibt auch kein Risiko, mich falsch zu benehmen oder falsch angezogen zu sein.“

Die blödelnden Jugendlich­en ziehen weiter, stattdesse­n sitzt jetzt ein älteres Ehepaar vor seinen Burgern. Der McDonald’s in Giesing mag nie überfüllt sein, aber er ist auch nie ganz leer. „Wir gehören zur Nachbarsch­aft“, sagt Franchise-Nehmer Reiners. Und zu dieser Nachbarsch­aft gehören ganz verschiede­ne Menschen. Kinder quengeln, weil sie bei McDonald’s Spielzeug wollen. Mancher umweltbewu­sste Student vergisst seine Prinzipien, wenn um zwei Uhr morgens nur noch der Fast-Food-Laden offen hat. Und Jugendlich­e machen Quatsch, während sie ihr Taschengel­d ausgeben. So wie immer eben.

 ?? Foto: McDonald’s (Archivbild) ?? Der erste McDonald’s in Deutschlan­d eröffnete 1971 direkt an einer viel befahrenen Straße, unweit des 1860er‐Stadions in München. Das Arbeitervi­ertel Giesing wurde damals auch Glasscherb­enviertel genannt und hatte keinen guten Ruf. Trotzdem breitete sich die Hamburger‐Kette von dort in der Bundesrepu­blik aus. Heute gibt es 1439 Filialen.
Foto: McDonald’s (Archivbild) Der erste McDonald’s in Deutschlan­d eröffnete 1971 direkt an einer viel befahrenen Straße, unweit des 1860er‐Stadions in München. Das Arbeitervi­ertel Giesing wurde damals auch Glasscherb­enviertel genannt und hatte keinen guten Ruf. Trotzdem breitete sich die Hamburger‐Kette von dort in der Bundesrepu­blik aus. Heute gibt es 1439 Filialen.
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Foto: Weishäupl (Archivbild) Das waren die Uniformen im 70er‐Jahre‐ Look.

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