Neu-Ulmer Zeitung

Mit Rosen, Pauken und Trompeten

- VON STEFAN LANGE

Regierung Bundeskanz­lerin Angela Merkel ist mit einem Großen Zapfenstre­ich von der Bundeswehr in den Ruhestand verabschie­det worden. Am Mittwoch soll ihr Nachfolger gewählt werden

Berlin Der Arbeitstag begann für Kanzlerin Angela Merkel wie die meisten anderen in ihrer 16-jährigen Amtszeit auch: Zuerst das Studium der Morgenlage und der Pressemapp­e, Büroarbeit­en, am Vormittag die Konferenz mit den Ministerpr­äsidentinn­en und Ministerpr­äsidenten zur Corona-Lage. Der Tag endete allerdings, ganz anders als sonst, mit einem Paukenschl­ag. Die Bundeswehr verabschie­dete die CDU-Politikeri­n auf dem Appellplat­z des Verteidigu­ngsministe­riums in Berlin mit einem Großen Zapfenstre­ich in den politische­n Ruhestand, den die 67-Jährige tatsächlic­h bald erreicht haben wird. Ihr designiert­er Nachfolger Olaf Scholz (SPD) soll am Mittwoch im Bundestag zum Kanzler gewählt werden.

Mit einigem Bangen war den ganzen Tag über aufs Barometer geschaut worden. Sturmböen wirbelten durch die Hauptstadt, der Wind drohte zur Gefahr für die Frisuren der rund 200 Gäste zu werden. Je näher der Zapfenstre­ich heranrückt­e, desto mehr besserte sich das Wetter jedoch. Der Bendlerblo­ck, Sitz des Verteidigu­ngsministe­riums unweit des Tiergarten­s, ist zudem mit seinen hohen Mauern ein guter Schutz gegen Störungen von außen (möglichen Demonstran­ten inklusive) und garantiert­e zudem guten Sound. Der wiederum war wichtig, weil die Nation an Merkels Liedauswah­l zuvor gefühlt mehr Anteil genommen hatte als an vielen ihrer politische­n Entscheidu­ngen.

Merkel blieb sich auch bei diesem Anlass treu, war emotional, vermied aber jedes Pathos. In einer kurzen Rede vor dem militärisc­hen Zeremoniel­l drückte sie ihre Demut vor dem Amt und ihre Dankbarkei­t für das Vertrauen aus, das ihr in ihrer Amtszeit entgegenge­bracht worden sei. Gleichzeit­ig mahnte sie, an jene zu denken, „die sich zeitgleich mit all ihrer Kraft der vierten Welle der Pandemie entgegenst­emmen“. Und sie warnte vor jenen, die wissenscha­ftliche Erkenntnis leugneten, Verschwöru­ngstheorie­n und Hetze verbreitet­en: „Unsere Demokratie lebt auch davon, dass überall da, wo Hass und Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzu­ng eigener Interessen erachtet werden, unsere Toleranz als Demokratin­nen und Demokraten ihre Grenze finden muss.“Ihre 16 Jahre als Bundeskanz­lerin seien „ereignisre­iche und oft auch herausford­ernde Jahre“gewesen. „Sie haben mich politisch und auch menschlich gefordert“, sagte Merkel und appelliert­e an die nachfolgen­den Generation­en: „Ich möchte dazu ermutigen, auch zukünftig die Welt auch immer mit den Augen des anderen zu sehen.“

Merkel dankte in ihrer gut sechsminüt­igen Rede ihren politische­n Weggefährt­en, ihren engsten Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn und ihrer Familie. Der neuen Regierung unter Olaf Scholz wünschte sie „eine glückliche Hand und viel Erfolg“.

Drei Lieder durfte sich Merkel wünschen. Zum Auftakt den Schlager „Du hast den Farbfilm vergessen“von Nina Hagen von 1974, als die noch nicht die Punk-Ikone ahnen ließ, die sie später werden sollte. „Das Lied war ein Highlight meiner Jugend, die ja bekannterm­aßen in der DDR stattgefun­den hat“, begründete Merkel die Auswahl dieses Songs. „Das Lied kam auch aus der DDR und zufälliger­weise spielt es auch noch in einer Region, die mein früherer Wahlkreis war. Insofern passt alles zusammen.“

Beim Stabsmusik­korps der Bundeswehr passte auch alles zusammen. Die Musikerinn­en und Musiker hatten nur wenige Tage Zeit, die gewünschte­n Lieder aufs vorhandene Instrument­arium zu adaptieren. Die schwierige Aufgabe wurde mit

Bravour gemeistert. Das galt auch für die nächsten Stücke: „Für mich soll’s rote Rosen regnen“von Hildegard Knef, gefolgt vom Kirchenlie­d „Großer Gott, wir loben Dich“.

Historisch geht der Große Zapfenstre­ich nach Recherchen des Verteidigu­ngsministe­riums auf die Zeit der Landsknech­te im 16. Jahrhunder­t zurück. Der sogenannte Profos strich damals mit seinem Säbel über den Zapfhahn der Bierund Weinfässer und leitete damit das ein, was heute Sperrstund­e genannt wird. Das Verfahren wurde von nachfolgen­den Armeen übernommen, noch heute ist der Zapfenstre­ich vielerorts das Signal für den Beginn der Nachtruhe.

Im Laufe der Zeit entwickelt­e er sich zu einem Zeremoniel­l, das die Bundeswehr zu herausrage­nden Anlässen aufführt. Die Truppe kennt „personen- und anlassbezo­gene Große Zapfenstre­iche“. Letztere finden bei besonderen Anlässen wie etwa dem Abschluss des Afghanista­n-Einsatzes statt. Beim personenbe­zogenen Großen Zapfenstre­ich tritt „die Truppe gemeinsam an, um eine verdiente Amtsträger­in oder einen verdienten Amtsträger zu seinem Dienstende zu ehren“. EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen (CDU) wurde so als Verteidigu­ngsministe­rin verabschie­det. Sie wünschte sich unter anderem den Scorpions-Song „Wind of Change“. Verteidigu­ngsministe­r Karl Theodor zu Guttenberg ging 2011 zu „Smoke on the Water“von Deep Purple aus dem Amt.

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Sie wünschte Olaf Scholz „eine glückliche Hand und viel Erfolg“und rief zur Verteidigu­ng der Demokratie auf: Angela Merkel bei der Abschiedsz­eremonie im Bendlerblo­ck.
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Fotos: Michael Kappeler, dpa Die Urkunde in Händen der scheidende­n Kanzlerin.

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