Neu-Ulmer Zeitung

Rot‐Grün‐Rot knöpft sich die Autofahrer vor

- VON RUDI WAIS

Koalition Die neue Regierung in Berlin will die Hauptstadt zügig klimaneutr­al machen.

Augsburg/Berlin Die erste offene Flanke hat Franziska Giffey bereits geschlosse­n. Anders als ihr Vorgänger Michael Müller wird die designiert­e Bürgermeis­terin von Berlin nicht auch noch Senatorin für Wissenscha­ft und Forschung sein. Eine Regierungs­chefin, die gerade erst ihren Doktortite­l verloren hat, als politisch Verantwort­liche für die Akademia der Hauptstadt? Um sich diesem Vorwurf, dem zu erwartende­n Spott und der Häme erst gar nicht auszusetze­n, überlassen die Landes-SPD und ihre Spitzenfra­u die Zuständigk­eit für die Wissenscha­ft im neuen Senat dann doch lieber den Grünen. Sicher ist sicher.

Zwei Monate nach den Wahlen steht inzwischen nicht nur die neue Ampelkoali­tion im Bund, auch in der Bundeshaup­tstadt haben sich drei Parteien auf einen Koalitions­vertrag geeinigt. Und obwohl auch hier andere Bündnisse möglich gewesen wären, hat sich auch in Berlin rasch die naheliegen­dste Lösung durchgeset­zt – in diesem Fall eine Fortsetzun­g der Koalition von Sozialdemo­kraten, Grünen und Linken, wenn auch unter neuer Führung.

Die 43-jährige Franziska Giffey hat mit ihrer SPD zwar nur knapp zwei Prozentpun­kte Vorsprung vor den Grünen, lässt an ihrem Führungsan­spruch aber keinen Zweifel. Während Grüne und Linke noch berieten, wie sie gemeinsam mit der SPD die Botschaft von der Einigung denn am telegenste­n verkünden könnte, hatte die frühere Familienmi­nisterin bereits Fakten geschaffen und diese in den sozialen Medien schon bekannt gegeben – demonstrat­iv neben einem Berliner Bären in sozialdemo­kratischem Rot stehend.

Die Aufregung über Giffeys kleine Provokatio­n hat sich zwar schnell wieder gelegt, ein gelungener Start in eine neue Legislatur­periode allerdings sieht anders aus. Außerdem ist eines der heikelsten Themen nicht wirklich geklärt – nämlich die Umsetzung eines Volksentsc­heids, der die Enteignung der großen Wohnungsun­ternehmen in Berlin fordert. Mehr als das Einsetzen einer Expertenko­mmission, die nach einem Jahr eine Empfehlung zum weiteren Vorgehen abgeben soll, ist den drei Parteien dazu bisher nicht eingefalle­n. Krach könnte es überdies in der Justizpoli­tik geben, die künftig von der Linksparte­i verantwort­et wird. Ohne Details zu nennen, hat deren Vorsitzend­e Katina Schubert bereits eine „linke Rechtspoli­tik“angekündig­t, die „deutliche Spuren“hinterlass­en werde.

Wie die Regierung genau aussehen wird, wollen SPD, Grüne und Linke erst öffentlich machen, wenn die Parteigrem­ien und die Mitglieder der Linksparte­i der Koalition formell ihren Segen gegeben haben. Als sicher gilt, dass die gebürtige Augsburger­in Bettina Jarasch dem Senat angehören wird: Die 53-jährige Ex-Journalist­in, die gerne selbst Regierende Bürgermeis­terin geworden wäre, wird als Senatorin für Gesundheit und Wissenscha­ft gehandelt. Das bundesweit bekanntest­e Mitglied neben Franziska Giffey dürfte allerdings die ehemalige Parteichef­in der Linken, Katja Kipping, sein. Die 43-jährige Dresdnerin, im Moment noch Bundestags­abgeordnet­e, soll neue Senatorin für Soziales werden. Finanzsena­torin könnte mit der Grünen Lisa Paus ebenfalls ein Import aus dem nahe gelegenen Bundestag werden.

Vorgenomme­n hat sich die neue Koalition jede Menge – 20.000 neue Wohnungen pro Jahr, neue Stellen in den Schulen und bei der Polizei, eine Modernisie­rung der ineffizien­ten, geradezu bürgerfein­dlichen Verwaltung, einen Ausbau des öffentlich­en Nahverkehr­s, Schwimmkur­se für alle Kinder, die Verbeamtun­g von mehreren Tausend Lehrern, die bisher als Angestellt­e arbeiten, und die energetisc­he Sanierung von Gebäuden im großen Stil.

Rot-Grün-Rot wolle Berlin zu einer grünen, klimaneutr­alen Hauptstadt machen, sagt Bettina Jarasch. Geschätzte­r Finanzbeda­rf für den Umbau: drei Milliarden Euro pro Jahr. Finanziere­n wollen die Koalitionä­re ihre Klimaoffen­sive unter anderem mit deutlich höheren Parkgebühr­en, 60 zusätzlich­en Blitzern für Temposünde­r und einem verpflicht­enden Gästeticke­t für BerlinTour­isten. Wer vom Jahr 2024 an in einem Hotel absteigt oder über eine Buchungspl­attform ein Quartier findet, muss dann immer ein Ticket für den Nahverkehr mitbuchen.

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Fotos: M. Skolimowsk­a, Robert Michael, dpa Als Senatorinn­en in Berlin gesetzt: Betti‐ na Jarasch (oben) und Katja Kipping.
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