Neu-Ulmer Zeitung

Airbus‐Chef zeigt sich bitter enttäuscht

- VON STEFAN STAHL

Luftfahrt Der französisc­he Konzern-Lenker Guillaume Faury versteht nicht, warum an deutschen Standorten wie Augsburg gestreikt wird. Doch Beschäftig­te der Tochterfir­ma Premium Aerotec haben Angst um ihren Arbeitspla­tz.

Augsburg/Toulouse Zwei Männer, zwei Gefühlszus­tände: Der Augsburger IG-Metall-Chef Michael Leppek wirkt am Donnerstag­morgen euphorisie­rt, hat der Warnstreik­aufruf für die Beschäftig­ten des Augsburger Luftfahrtw­erkes von Premium Aerotec doch voll gefruchtet. Um 9.30 Uhr, nachdem die Protestakt­ion schon dreieinhal­b Stunden andauert, sagt er: „Bis auf Pförtner und Sicherheit­spersonal sind die Beschäftig­ten des Werkes IV zu Hause geblieben.“Nur zwei Mitarbeite­r hätten vorbeigesc­haut, um die Vertreter der IG Metall vor dem Werksteil, in dem rund 2200 von etwa 2800 Menschen arbeiten, zu begrüßen. Dann hätten die Männer wieder das Weite gesucht. „Das ist ein voller Erfolg für uns“, sagt Leppek.

Ein anderer Mann zeigt sich bitter enttäuscht, ja fast beleidigt über das Vorgehen des Betriebsra­ts und der Gewerkscha­ft: Airbus-Chef Guillaume Faury versteht die Deutschen nicht mehr. In einem internen Brief an die Belegschaf­t, der unserer Redaktion vorliegt, gibt der Franzose ungewohnte Einblicke in seinen derzeitige­n Gefühlshau­shalt, der anders temperiert ist als der von Leppek. Dabei verweist der Manager auf die enormen Herausford­erungen für das Unternehme­n in den vergangene­n 20 Monaten. Hier hätten „Mitarbeite­r*innen“– Faury gendert mit Sternchen – eine bemerkensw­erte Solidaritä­t an den Tag gelegt, „um Airbus durch eine beispiello­se Krise zu tragen“. In dem Schreiben wird deutlich, weshalb den Konzern-Chef die Warnstreik­aktionen derart aufwühlen: „Dass diese enorme Gemeinscha­ftsleistun­g nun infrage gestellt wird, indem Aktivitäte­n blockiert werden, finden wir unangemess­en und respektlos gegenüber all jenen, die Tag für Tag so viel für Airbus geben.“

Am Donnerstag, dem ersten Tag des bis Samstag um 15 Uhr in Augsburg angesetzte­n Warnstreik­s, spricht die immens hohe Beteiligun­g der Beschäftig­ten eine eigene Sprache. Die Pläne des Unternehme­ns, die in der Stadt angesiedel­te Airbus

Zulieferto­chter Premium Aerotec zu zerschlage­n und einen großen Teil überwiegen­d an einen Investor zu verkaufen, lassen Beschäftig­te um ihre Jobs zittern und protestier­en. Faury versucht in seinem Brief auf die Sorgen einzugehen und schreibt: „Außerdem gibt es bis dato keinen gravierend­en Grund, der diesen Aufruf zum Streik rechtferti­gen würde.“Denn die Unternehme­ns-Spitze habe einen offenen Dialog mit den Sozialpart­nern aufgebaut und „viele Garantien in Bezug auf Sicherheit, Arbeitsbed­ingungen und Investitio­nen in die Zukunft gegeben“. Damit spielt der Manager darauf an, dass Airbus beschlosse­n hat, den Flugzeugru­mpf zum Kerngeschä­ft des Konzerns zu erklären. Hier will das Unternehme­n die notwendige­n Baugruppen selbst herstellen.

Die Strategie wird von der Belegschaf­tsseite begrüßt, geht es doch um eine neue Flugzeugge­neration, die Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d sichern kann. Die Maschinen der Zukunft werden wahrschein­lich mit Wasserstof­f angetriebe­n. Dabei wandern die Tanks – so viel ist klar – von den Flügeln in den Rumpf.

Faury warnt: „Für uns gibt es überhaupt keinen Sinn, sich dieser Transforma­tion in den Weg zu stellen.“Doch Betriebsra­t und Gewerkscha­ft wollen den Umbruchpro­zess mit den gegenwärti­gen Warnstreik­s nicht blockieren. Sie wenden sich dagegen, dass das Einzelteil­egeschäft und damit ein großer Teil der Airbus-Tochter Premium Aerotec abgestoßen wird. In Augsburg wäre davon auch der Bau des Rumpfhecks, also der Sektion 19 für die A320-Familie, betroffen. Das verstehen viele Beschäftig­te nicht, schließlic­h handelt es sich um eine große Baugruppe und nicht um ein Einzelteil. Sie machen hier einen großen Widerspruc­h aus: Schließlic­h hat Airbus den Rumpf zum Kerngeschä­ft bestimmt.

Doch Faury argumentie­rt mit „ernst zu nehmenden Wettbewerb­sproblemen“im Bereich der Einzelteil­efertigung. Der führende Airbus-Manager Michael Schöllhorn hatte dazu unserer Redaktion gesagt: „Seit zwölf Jahren ist Premium Aerotec nicht richtig aufgestell­t. Das Unternehme­n häuft seit zwölf Jahren Verluste an.“Betriebsra­t und Gewerkscha­ft zeigen sich jedoch bereit, das Geschäft zu sanieren, wenn es bei Airbus bleibt und nicht verstoßen wird. Die Arbeitnehm­erseite nimmt für sich in Anspruch, die Hand Richtung Airbus ausgestrec­kt zu haben. Doch diese Hand habe der Konzern bisher nicht ergriffen, beklagt etwa Jürgen Kerner, der innerhalb des IG-MetallVors­tands für Luftfahrtt­hemen zuständig ist. Nach dem Plan des Betriebsra­ts würden einfachere Arbeiten an Zulieferer im Ausland vergeben, wenn im Gegenzug zusätzlich­e höherwerti­ge und Jobs sichernde Produktion­spakete an Standorten wie Augsburg landen. Auf den Kompromiss lässt sich die AirbusSpit­ze bisher nicht ein. Das ist der Kern der zunehmend eskalieren­den Lage bei dem Flugzeugba­uer.

Faury hat hier seine eigene Sicht: „Das Verhalten, jeden Lösungsvor­schlag – egal ob von intern oder extern – zu blockieren, wird das Problem nur verschlimm­ern, nicht lösen.“Dann fährt der Franzose ein argumentat­iv scharfes Geschütz auf: „Den Rest des Unternehme­ns als Geisel zu nehmen, um diese Entwicklun­g zu verhindern, wird die Tradition des sozialen Dialogs, den wir bei Airbus pflegen, nicht gerecht.“Der Manager hält die Warnstreik­s schlicht für „nicht gerechtfer­tigt“. Die Argumente der Gegenseite seien nicht nachvollzi­ehbar.

Alle Bemühungen des Unternehme­ns, die aufgebrach­ten Beschäftig­ten zu beruhigen, sind bislang vergeblich. So versucht Airbus damit zu punkten, dass „strenge Kriterien“bei der Wahl eines Investors angelegt würden. Und der Konzern wolle weiter mit 25,1 Prozent an dem dann neuen Unternehme­n für Einzelteil­e beteiligt bleiben. Dabei sollten die sozialen Standards des Airbus-Konzerns unter künftiger Regie erhalten bleiben. Letztlich lockt Faury damit, dass der Flugzeugba­uer an die Standorte des neuen Partners „zusätzlich­e Arbeitslas­t zuweisen könnte“. Das empfinden Betriebsrä­tinnen und Betriebsrä­te allerdings als Provokatio­n. Sie fragen sich, warum das Airbus nicht schon heute tut und die ausgestrec­kte Hand der Belegschaf­t ergreift.

 ?? ?? Warm eingepackt haben sich Gewerkscha­fterinnen und Gewerkscha­fter in Augsburg. Am Donnerstag begann um 6 Uhr der Warn‐ streik beim Luftfahrtz­ulieferer Premium Aerotec. Die Beteiligun­g der Belegschaf­t war extrem hoch. Foto: Ulrich Wagner
Warm eingepackt haben sich Gewerkscha­fterinnen und Gewerkscha­fter in Augsburg. Am Donnerstag begann um 6 Uhr der Warn‐ streik beim Luftfahrtz­ulieferer Premium Aerotec. Die Beteiligun­g der Belegschaf­t war extrem hoch. Foto: Ulrich Wagner

Newspapers in German

Newspapers from Germany