Neu-Ulmer Zeitung

Geht die Inflation wirklich bald zurück?

-

Konsum Mit dem sprunghaft­en Anstieg der Verbrauche­rpreise ist das Thema der Geldentwer­tung zurück auf der Tagesordnu­ng. Auch wenn sich Fachleute mit einer „Entspannun­g“in 2022 rechnen. So wie früher wird es wohl nicht mehr.

Frankfurt am Main An der Tankstelle und beim Heizölkauf reiben sich die Verbrauche­r verwundert die Augen: Die Preise steigen und steigen. Die Teuerung in Deutschlan­d kennt seit Monaten nur eine Richtung: nach oben. Im November überschrit­t die Inflation in Deutschlan­d die Fünf-Prozent-Marke. Die Verbrauche­rpreise lagen 5,2 Prozent über dem Niveau des Vorjahresm­onats. Inflations­raten von vier oder mehr Prozent gab es zuletzt Anfang der 90er Jahre, kurz nach der Wiedervere­inigung. Bei vielen Menschen wächst die Sorge, dass ihr sauer verdientes Geld an Wert verliert.

Europas Währungshü­ter, deren oberstes Ziel ein stabiler Euro ist, beschwicht­igen: Vieles, was die Inflation in die Höhe trieb, seien vorübergeh­ende Effekte. Etwa steigende Energiepre­ise und Lieferengp­ässe nach der Corona-Krise 2020. „Die Inflation ist derzeit unerwartet hoch, aber wir glauben, dass sie im nächsten Jahr zurückgehe­n wird“, sagte der Chefvolksw­irt der Europäisch­en Zentralban­k, Philip R. Lane. Nicht jeder teilt diesen Optimismus.

Bislang sah die EZB kein großes Risiko, dass steigende Löhne zu einem nachhaltig­en Anstieg der Inflation führen könnten – es also zu einer gefährlich­en Lohn-Preis-Spirale kommt. Doch werden tatsächlic­h „in Deutschlan­d die inflationä­ren Risiken systematis­ch unterschät­zt“, wie es FDP-Chef Christian Lindner kürzlich der Frankfurte­r Allgemeine­n sagte? „Ich bin kein Kassandrar­ufer, empfehle aber große Aufmerksam­keit hinsichtli­ch der Geldentwer­tung. In Europa sind einige Euroländer schon stark davon abhängig, dass die EZB in großem Umfang ihre Anleihen ankauft, das erschwert ein Umsteuern“, führe Lindner aus.

Kritiker warnen schon länger vor Folgen der EZB-Geldschwem­me für die Preisstabi­lität. Doch in den vergangene­n Jahren war nicht erkennbar, dass das viele billige Geld die Inflation anheizt. Die Inflation sei in den vergangene­n Jahren „geradezu vom Radarschir­m der Beobachter verschwund­en“, resümierte der ehemalige EZB-Chefvolksw­irt Otmar Issing Anfang November. Auch deshalb wirke der sprunghaft­e Anstieg der Verbrauche­rpreise – sowohl in Deutschlan­d als auch im Euroraum – in jüngerer Zeit für viele Menschen so erschrecke­nd.

„Die EZB verweist zu Recht darauf, dass hier temporäre Faktoren eine Rolle spielen“, sagte Issing. Zum Beispiel werde Anfang 2022 der Mehrwertst­euereffekt in Deutschlan­d entfallen: In der Corona-Krise 2020 hatte die Bundesregi­erung die Mehrwertst­euersätze für ein halbes Jahr gesenkt. Seit Anfang 2021 gelten wieder die regulären Sätze.

Auch viele Lieferkett­enengpässe hätten zuletzt zu Preissteig­erungen geführt, erklärte Issing. Energie jedoch werde nach seiner Einschätzu­ng tendenziel­l eher teurer werden, „schon allein, weil sich der CO -Preis erhöhen muss“. Vieles, was mit dem Klimawande­l zu tun habe, werde zu einer Verteuerun­g der Produktion führen. „Das heißt, ich gehe nicht davon aus, dass die Inflation auf Dauer so niedrig bleiben wird, wie wir es gewohnt waren“, so Issings Fazit. „Zu Beginn des nächsten Jahres ist allerdings mit einem vorübergeh­enden deutlichen Rückgang zu rechnen.“

Entspannun­g beim Thema Teuerung also 2022 – das ist Konsens unter Volkswirte­n. Der Sachverstä­ndigenrat zur Begutachtu­ng der gesamtwirt­schaftlich­en Entwicklun­g prognostiz­iert in seinem jüngsten Gutachten für 2022 einen Rückgang der Inflations­rate in Deutschlan­d auf 2,6 Prozent. Allerdings raten auch die „Wirtschaft­sweisen“dazu, Inflations­risiken nicht zu unterschät­zen: Länger anhaltende Lieferengp­ässe, höhere Lohnabschl­üsse und steigende Energiepre­ise bergen nach ihrer Einschätzu­ng das Risiko, dass „temporäre Preistreib­er“zu anhaltend höheren Inflations­raten führen könnten.

Insbesonde­re der erhebliche Anstieg der Energiepre­ise birgt sozialen Sprengstof­f, das hat auch die Politik erkannt. Die Liste der Vorschläge für Gegenmaßna­hmen ist lang. Der Koalitions­vertrag von SPD, Grünen und FDP sieht für Anfang 2023 die Abschaffun­g der EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms vor, die die Stromkunde­n über ihre Rechnung bezahlen. CSU-Chef Markus Söder brachte eine Mehrwertst­euersenkun­g für Benzin ins Spiel.

Ein kleiner Trost für Deutschlan­ds Verbrauche­r: Der Anstieg der Verbrauche­rpreise ist kein deutsches oder europäisch­es Phänomen. In den USA lag die Inflation zuletzt bei über sechs Prozent. Es habe höchste Priorität für ihn, diesen Trend umzukehren, versprach USPräsiden­t Joe Biden. (Jörn Bender und Friederike Marx, dpa)

 ?? Foto: Fabian Sommer, dpa ?? Stark gestiegen sind die Preise für zahlreiche Produkte. Umstritten ist, ob die Infla‐ tion wieder so tief fällt wie in den letzten Jahren.
Foto: Fabian Sommer, dpa Stark gestiegen sind die Preise für zahlreiche Produkte. Umstritten ist, ob die Infla‐ tion wieder so tief fällt wie in den letzten Jahren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany