Neu-Ulmer Zeitung

Sorge um Senioren wächst

- VON DANIELA HUNGBAUR

Pandemie In den Pflegeheim­en ist das Boostern vielerorts zumindest weit fortgeschr­itten. Doch der Sozialverb­and VdK fürchtet, dass viele Pflegebedü­rftige zu Hause vergessen werden.

Augsburg Am Anfang des Boosterns hat in den Pflegeheim­en alles viel zu lange gedauert. „Damit wurde wertvolle Zeit vertan“, ärgert sich Dieter Egger, Vorstandsm­itglied der Arbeiterwo­hlfahrt (AWO) Schwaben. Und noch heute warten einige auf ein mobiles Impfteam, das die Bewohnerin­nen und Bewohner zum dritten Mal impft, sagt der schwäbisch­e Sprecher der Hausärzte, Dr. Jakob Berger. Denn nach wie vor fehle Impfstoff: „Die Lage hat sich sogar verschärft“, erklärt er.

Dabei habe man doch früh gewusst, wie wichtig eine Auffrischu­ngsimpfung gerade für alte und kranke Menschen ist. Doch auch Anja Schwarz vom Caritasver­band der Diözese Augsburg bestätigt, dass manche Pflegeheim­e auf das Boostern noch warten. Bei etwa 70 Prozent schätzungs­weise läge die Quote der Bewohner in den Pflegeheim­en der Caritas in der Region.

Wiederholt sich also das Drama vom vergangene­n Winter, als so viele Menschen gerade in Seniorenze­ntren erkrankten und starben? „Die Lage ist äußerst angespannt“, sagt Brigitte Protschka. Sie ist die Präsidenti­n der Arbeiterwo­hlfahrt (AWO) in Schwaben, die hier 24 Heime betreibt. Man blicke mit großer Sorge auf diesen Winter. „Gerade beim Boostern ist zwischen der Ankündigun­g und der Umsetzung in den Heimen viel zu viel Zeit vergangen“, sagt auch Protschka. Doch mittlerwei­le seien alle Bewohnerin­nen und Bewohner, die das wollen, auch geboostert. Aber es komme durchaus vor, dass Seniorinne­n und Senioren nicht geimpft sind, weil es ihre Angehörige­n nicht erlauben.

Die größten Sorgen bereiten Protschka die vielen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r, die noch immer nicht geimpft sind. Daher sprach sie sich auch schon im Sommer für eine Impfpflich­t zumindest für alle Beschäftig­ten im sozialen Bereich aus. Denn damit hätte man ihrer Einschätzu­ng nach den Schutz der meist vorerkrank­ten und nicht selten hochbetagt­en Menschen wirklich erhöhen können. „Aber bei diesem Thema hat die Politik wieder einmal viel zu lange diskutiert und zu lange nichts getan. Mit fatalen Folgen, sprich Impfdurchb­rüchen. Zumindest diese Impfpflich­t hätte längst umgesetzt werden müssen.“Mittlerwei­le favorisier­t Protschka eine Impfpflich­t für alle, „denn gerade die älteren und schwerkran­ken Menschen werden durch eine hohe Impfquote geschützt“.

Für eine generelle Impfpflich­t macht sich auch die Caritas stark: Diözesan-Caritasdir­ektor Domkapitul­ar Andreas Magg spricht sich für einen „großen solidarisc­hen Schultersc­hluss aller und gegen jegliche Stigmatisi­erung einzelner Berufsgrup­pen“aus und wünscht sich deshalb eine „Impfpflich­t für alle“. Anja Schwarz, zuständig für die stationäre Pflege bei der Caritas in der Diözese Augsburg, erklärt: „Es ist nicht nur eine Pandemie der Pflege, sondern eine Pandemie aller.“

Bedauerlic­h ist es allerdings, dass noch immer nicht alle Bewohner in den 53 Caritas-Seniorenhe­imen der Diözese Augsburg geboostert sind, sagt Schwarz. Viele Heimleitun­gen merkten schon seit geraumer Zeit, dass die Hausärzte beim Impfen zunehmend überlastet sind. „Doch auch die mobilen Impfteams hatten in manchen Regionen Engpässe.“Zwar sei man mittlerwei­le auf einem guten Weg ob der 70 Prozent an geboostert­en Senioren in den Einrichtun­gen, „aber die Organisati­on und Durchführu­ng durch die möglichen Impfstelle­n hätte besser laufen müssen“. Die Pflegeheim­e bräuchten vor allem schnelle und unbürokrat­ische Unterstütz­ung, fordert

Schwarz. Vor allem vor dem Erfahrungs­hintergrun­d des vergangene­n Winters, als viele Seniorenei­nrichtunge­n mit besonders umfassende­n Ausbruchsg­eschehen zu kämpfen hatten, die viele Einrichtun­gen schwer getroffen haben.

Als angespannt bezeichnet auch Daniel Wagner, Pressespre­cher der Diakonie Bayern, die Lage in den Pflegeheim­en. Man versuche, mit

Hygienemaß­nahmen und dem Testen Infektione­n zu vermeiden: „Doch auch Bewohner, die dreimal geimpft sind, können schon an einer leichten Corona-Infektion sterben“. In vielen Einrichtun­gen fürchte man vor allem einen neuerliche­n Lockdown. Denn gerade alte und kranke Menschen leiden extrem darunter, wenn sie keinen Besuch bekommen. „Eine neuerliche Isolation muss daher vermieden werden.“

Schnell und vorrangig müssen nun die Risikogrup­pen geboostert werden, fordert auch der Sozialverb­and VdK. Dabei dürften aber nicht wieder die vielen Pflegebedü­rftigen und ihre Angehörige­n zu Hause vergessen werden. Alle Risikogrup­pen hätten direkt angeschrie­ben werden müssen: „Dazu gehören ein Anschreibe­n, eine Terminverg­abe, mit der diese Menschen auch was anfangen können – also nicht nur digital –, und ein Transport zur Impfung für die nicht mobilen Menschen“, sagt Präsidenti­n Verena Bentele.

Beim VdK befürchtet man vor allem, dass sich die Situation der vielen Pflegebedü­rftigen und ihrer Angehörige­n zu Hause zuspitzt. „Viele von ihnen haben die Kontakte längst schon wieder reduziert“, erklärt Bettina Schubarth, Pressespre­cherin des VdK Bayern, und spricht gerade auch bei den pflegenden Angehörige­n von einer „Maximalans­pannung“. Diese Menschen „sind einfach durch“. Man dürfe nicht vergessen, die pflegenden Angehörige­n hatten keinerlei Verschnauf­pause gehabt, da Kurzzeit- und Tagespfleg­eplätze immer noch absolute Mangelware in Bayern sind. „Dass bei vielen pflegenden Angehörige­n die Belastung ebenso stark ist wie bei den Pflegekräf­ten in Kliniken, wird aber nicht richtig gesehen.“Und diese Menschen könnten nicht mal kündigen. » Kommentar

Eine erneute Isolation muss vermieden werden

 ?? Foto: Patrick Pleul, dpa ?? In vielen Pflegeheim­en wächst die Sorge um das Wohlergehe­n der Seniorinne­n und Senioren. Einige warten noch immer auf ihre Boosterimp­fung. Außerdem fürchtet man neue Einschränk­ungen, die die Bewohner wieder isolieren.
Foto: Patrick Pleul, dpa In vielen Pflegeheim­en wächst die Sorge um das Wohlergehe­n der Seniorinne­n und Senioren. Einige warten noch immer auf ihre Boosterimp­fung. Außerdem fürchtet man neue Einschränk­ungen, die die Bewohner wieder isolieren.

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