Neu-Ulmer Zeitung

Streit um das digitale Lesen

- VON SUSANNE KLÖPFER

Buchmarkt Autoren und Verlage protestier­en, weil Bibliothek­en mehr Möglichkei­ten zur E-Book-Ausleihe fordern. Bislang kommen die an Bestseller kaum heran. So ist die Lage in den Büchereien in Augsburg und München.

Augsburg/München Zwischen Autoren, Autorinnen und Verlagen auf der einen Seite und Bibliothek­en auf der anderen ist ein Streit entbrannt. Eine große Zahl an deutschen Schriftste­llern und Schriftste­llerinnen protestier­t, dass ihre Bücher digital in Bibliothek­en häufig entliehen und gelesen werden. Die Initiative „Fair lesen“, zu der sich Autoren sowie Autorinnen und Verlage zusammenge­schlossen haben, will verhindern, dass digitale Bücher zu denselben Bedingunge­n wie gedruckte Bücher in den öffentlich­en Bibliothek­en ausleihbar sind. In einer Mitte Oktober geschaltet­en Anzeige in Printmedie­n hieß es, dass, wenn neu erschienen­e E-Books in den Bibliothek­en verfügbar seien, „die Existenzgr­undlage von Autorinnen und Autoren, Übersetzer­innen und Übersetzer­n, Verlagen und Buchhandlu­ngen“in Deutschlan­d bedroht werde.

Konkret geht es um einen Vorschlag des Bundesrats. Verlage sollen künftig verpflicht­et werden, ihre Bücher ab dem Tag des Erscheinen­s auch in elektronis­cher Form für den Verleih in Bibliothek­en zur Verfügung zu stellen. Die Initiative „Fair Lesen“spricht deshalb von einer „Zwangslize­nzierung“. Unterzeich­net haben bisher über 2000 Autorinnen, Übersetzer, Verlegerin­nen und Buchhändle­r. Nun steht im neuen Koalitions­vertrag von SPD, Grünen und FDP, dass es „faire Rahmenbedi­ngungen“bei der Ausleihe von E-Books geben soll. Was die Bundesregi­erung als fair definiert, bleibt noch unklar.

Die Autoren, Autorinnen und Verlage beschweren sich, die Bibliothek­en sehen das anders. Entzündet hat sich der Streit an der Forderung des Bibliothek­sverbandes, gedruckte und digitale Bücher gesetzlich gleichzust­ellen. Bisher gelten nämlich unterschie­dliche Regelungen.

Doch wie läuft eigentlich die Ausleihe in Bibliothek­en ab? In der Augsburger Stadtbibli­othek gibt es neben den 250.000 analogen Medien auch 19.000 E-Books. Jede Person mit einem Bibliothek­sausweis für 20 Euro im Jahr kann digital auf dem Smartphone, Tablet, E-Book-Reader oder Computer lesen. Dafür müssen die Nutzer und Nutzerinne­n die App „Onleihe“herunterla­den und sich anmelden. Um ein E-Book zu lesen, hat man drei Wochen lang Zeit. Für beliebte Buchtitel gibt es Warteliste­n, da oft eine Lizenz pro Buch von der Bibliothek gekauft wird. Sind Titel beliebt und werden oft vorgemerkt, werden weitere Lizenzen gekauft.

Insgesamt 5500 Personen nutzen dieses digitale Angebot der Augsburger Stadtbibli­othek. Im vergangene­n Jahr gab es 160.000 digitale Ausleihen. Ein Team aus drei Personen wählt auf der Plattform Onleihe nach dem verfügbare­n Etat aus, welche E-Books für die Bibliothek gekauft werden. Als Zwischenhä­ndler handelt die Plattform mit den Verlagen Verträge aus, um digitale Medien anzubieten.

Der Unterschie­d zum analogen Buchmarkt: Während die Bibliothek­en aus den gedruckten Neuerschei­nungen sofort frei auswählen dürfen und beim Buchhandel einkaufen, gibt es für elektronis­che Bücher häufig Sperrfrist­en von einigen Monaten. Diese Sperrfrist­en heißen im Fachjargon „Windowing“. Die Leiterin der Augsburger Stadtbibli­othek, Tanja Erdmenger, erklärt: „Unser Wunsch ist, dass wir dem Bibliothek­sauftrag, Wissen und Informatio­nen für alle Bevölkerun­gsschichte­n zugänglich zu machen, bei allen Medien nachkommen können. Das gilt auch für E-Books.“

Aktuell sehen Bibliothek­en das durch die geltenden Regelungen für E-Books nicht gegeben. Auch die

Augsburger Nutzer und Nutzerinne­n können oft nicht nachvollzi­ehen, dass nicht alle Bücher als E-Book verfügbar sind. Erdmenger berichtet: „Viele denken, dass wir in Augsburg nicht genug nach E-Books schauen und der Etat fehlt, aber meistens werden uns die E-Books verlagssei­tig gar nicht angeboten“

Der Onleihe-Verbund Hessen fasst jede Woche die Bestseller-Bücher zusammen, die Bibliothek­en nicht als E-Book kaufen können. Aktuell sind nur drei von 20 Titeln der Bestseller Belletrist­ik verfügbar, also bieten Verlage 85 Prozent der Bestseller nicht als E-Books für Bibliothek­en an. Ähnlich sieht es bei Belletrist­ik-Taschenbüc­hern und Sachbücher­n aus, jeweils 75 und 80 Prozent sind nicht erhältlich.

Ein Blick zusammen mit Erdmenger auf die aktuelle Bestseller­Liste zeigt: Titel wie „Playlist“von Sebastian Fitzek, „Der Zorn des Oktopus“von Dirk Rossmann und Ralf Hoppe, „Blaue Frau“von Antje Rávik Strubel, „Hast du uns endlich gefunden“von Edgar Selge sind trotz Bestseller­platz als E-Book nicht verfügbar. Alles Bücher, die vor ein paar Wochen erst erschienen sind, aber in gebundener Buchform bereits in den Regalen der Augsburger Stadtbibli­othek stehen. Als E-Book verfügbar ist das Buch „Die Enkelin“von Bernhard Schlink. Bisher gibt es eine Lizenz. Doch auch andere haben sich das Buch schon vorgemerkt, sodass es ab April 2022 wieder ausgeliehe­n werden könnte.

Augsburg ist kein Einzelfall, in der Münchner Stadtbibli­othek zeigt sich dasselbe Bild. Dort sind vier der fünf Buchtitel ebenfalls nicht ausleihbar. Nur „Die Enkelin“kann vorgemerkt werden, kann aber erst ab März 2022 wieder ausgeliehe­n werden. Auch dort wird der Service Onleihe genutzt, für englische Literatur gibt es ein weiteres System.

Bei der Münchner Bibliothek können aktuell 27.600 Nutzer und Nutzerinne­n für 20 Euro im Jahr aus 85.000 elektronis­chen Medien auswählen. Im vergangene­n Jahr gab es über 1,3 Millionen digitale Ausleihen, durch die Corona-Pandemie stieg der Anteil der Online-Ausleihen sogar um 25 Prozent. Mit einem Etat von 185.000 Euro wurden 9000 neue digitale Medien erworben.

Nach den Anzeigen der Initiative „Fair Lesen“äußerte sich die Direktorin der Münchner Stadtbibli­othek, Katrin Schuster, auf Twitter: „Autoren und Autorinnen und Verlage fordern mit Fake News die Abschaffun­g von Bibliothek­en – das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen.“Einige Wochen später sagt Schuster nun: „Wir möchten unseren Kunden und Kundinnen auch digital bieten, was wir ihnen gedruckt bieten, aber das können wir nicht, weil die Verlage uns viele E-Books einfach nicht verkaufen. Darüber geht der Streit.“Ihrer Ansicht nach habe die Kampagne gegen Bibliothek­en Stimmung gemacht. Auch wenn das vielleicht nicht deren Absicht gewesen sei.

Mit Blick auf die Zukunft sagt die Leiterin der Münchner Stadtbibli­othek: „Es ist die Aufgabe von Bibliothek­en, den Zugang zu Literatur für die gesamte Bevölkerun­g mit einem niedrigsch­welligen Angebot sicherzust­ellen, und dazu gehören auch E-Books.“Wenn die gesetzlich­e Regelung für E-Books für die Einrichtun­gen nicht komme, können Bibliothek­en diese Aufgabe nicht mehr erfüllen.

Aktuell sind nur drei von 20 Titeln verfügbar

 ?? Foto: Jens Kalaene, dpa (Symbolbild) ?? Zwischen Verlagen, Autoren und Autorinnen und Bibliothek­en rumort es: Bibliothek­en fordern, leichter und schneller an E‐Books zu kommen, die andere Seite appelliert an die Politik, die bisherige restriktiv­ere Regelung nicht aufzuweich­en.
Foto: Jens Kalaene, dpa (Symbolbild) Zwischen Verlagen, Autoren und Autorinnen und Bibliothek­en rumort es: Bibliothek­en fordern, leichter und schneller an E‐Books zu kommen, die andere Seite appelliert an die Politik, die bisherige restriktiv­ere Regelung nicht aufzuweich­en.

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