Mit dem Kopfhörer eintauchen in die HfG‐Geschichte
Freizeit Ein Audiowalk durch die Ulmer Hochschule für Gestaltung versetzt das Publikum zurück in die große Vergangenheit.
Ulm Diese Nacht ist so frostig wie dunkel und Ulms Lichter wirken noch ein wenig ferner als sonst – wenn man hier vom Hochsträß auf die Stadt hinabblickt, von der alten Terrasse des HfG-Archivs. Der Rest der Atmosphäre kommt aus dem Funk-Kopfhörer, den man sich gerade übergezogen hat. Daraus dringt erst Sturmgepfeife, dann setzt eine Stimme ein. Sie beginnt mit der Geschichte. Sie erklärt, warum sich eine junge Gruppe Kreativer gerade hier, auf einem Ulmer Hügel, im Jahr 1953 niederließ.
Hier gründeten sie eine Hochschule, die Gestaltung und Design neu erfand, aus dem Erbe des Bauhaus’ heraus. Was die Gestaltenden antrieb? Der „Hunger nach dem Geistigen“, erklärt die Frauenstimme. Doch in welcher Zeit und unter welchen Umständen damals, „Ulm ist eine Trümmerlandschaft“. So beginnt ein Audiowalk, der in die Geschichte der Ulmer Hochschule für Gestaltung eintaucht. Oder besser gesagt eine große Collage: Hier mischt sich ein Hörspiel mit Original-Zitaten mit dem Erkundungs
Rundgang durch die historischen HfG-Hallen. Und das Ganze findet auch bewegten Ausdruck – in Tanz und Schauspiel.
Dieses Projekt, das jetzt mit drei Aufführungen zu erleben war, versteht sich als „theatraler Audiowalk“. Einmal quer durch die HfGHistorie führt diese Erkundungstour – und durch die alten, leeren Säle und Gänge. Text und Sound kommen aus dem Kopfhörer, während zwei Schauspieler und eine Tänzerin dazu eine Performance gestalten. Die Köpfe hinter dieser Idee? Das Duo „schubertstegemann“, die Theatermacherinnen Nicola Schubert (zuletzt am Theater Ulm) und Karoline Stegemann. Sie haben den Text geschaffen, Zeitzeugnisse zusammengetragen, dazu Sprecher wie Stephan Clemens und Markus Hottgenroth vom Ulmer Theater engagiert – und so setzen sie die HfG in Szene.
Alles beginnt mit der Euphorie der Gründung 1953: Nach der verheerenden Zeit des Nationalsozialismus will sich die verschworene HfG-Gemeinschaft von der Welt der Manipulation, der Sprache und Demagogie abwenden. Die Gestaltung von Produkten sollte den Bedürfnissen der Menschen folgen, und auch nach moralischen Werten entstehen. „Keine Zugeständnisse. Weder im Leben, noch im Sterben.“Während Florian Stern und Ulrike Walther solche Zeilen mit ernster Miene auf der HfG-Foyertreppe deklamieren, beginnt Eléonore Bovet, den Raum zu erobern.
Die Tänzerin bringt Bewegung in eine Performance, die HfG-Philosophie verströmt: Klar geschnittene Kleidung, klare Gedanken, klare
Formen, alles alla Ulmer Hocker – frei von Schnickschnack. „Hier oben ist die Luft klar.“
Zwischen Zitat, Fiktion und Wirklichkeit pendelt das Stück. Menschen, die die HfG prägten oder ihr vorangingen, sprechen zum Hörpublikum: Sophie Scholl selbst und vor allem ihre Schwester Inge Aicher-Scholl, die mit Otl Aicher die HfG gründete. Sie alle geistern an diesem Abend durch den Betonbau.
Die Darsteller üben hier, klare Linien auf Papier zu ziehen, wie damals die Studierenden. Und sie hantieren mit dem HfG-Modell Ulmer Hocker. Da klingt der Vortrag der alten Gebrauchsanweisung heute fast ironisch, als die Kopfhörer-Stimme den simplen, puritanischen Hocker wie ein Wunderding mit tausend Funktionen anpreist.
Doch das Projekt HfG scheiterte 1968. Wie es dazu kam, wird in einem Hörsaal spürbar. Da doziert Florian Stern, wie damals der Dozent Tomás Maldonado, an der Tafel – bis ihn eine Studentin in einen Grundsatzstreit verstrickt. Denn Machtkampf bricht aus auf dem Hochsträß. Welche Rolle darf künstlerische Intuition bei der Gestaltung spielen? Welche Rolle die Wissenschaft? Schließt das eine das andere aus? Der Beat aus dem Kopfhörer wird lauter, Stimmen driften auseinander. Das Fazit: „Es gibt nicht mehr eine Wahrheit.“Was mit Idealen begann, zerschellt an Kompromisslosigkeit – und endet beim Audiowalk mit einem traumartigen kostümierten Tanz in der verlassenen HfG-Mensa. Ein Erlebnis, das den Mythos HfG nicht beschädigt. Sondern sich in dieser Legende auch ein wenig badet.