Neu-Ulmer Zeitung

Mit dem Kopfhörer eintauchen in die HfG‐Geschichte

- VON VERONIKA LINTNER

Freizeit Ein Audiowalk durch die Ulmer Hochschule für Gestaltung versetzt das Publikum zurück in die große Vergangenh­eit.

Ulm Diese Nacht ist so frostig wie dunkel und Ulms Lichter wirken noch ein wenig ferner als sonst – wenn man hier vom Hochsträß auf die Stadt hinabblick­t, von der alten Terrasse des HfG-Archivs. Der Rest der Atmosphäre kommt aus dem Funk-Kopfhörer, den man sich gerade übergezoge­n hat. Daraus dringt erst Sturmgepfe­ife, dann setzt eine Stimme ein. Sie beginnt mit der Geschichte. Sie erklärt, warum sich eine junge Gruppe Kreativer gerade hier, auf einem Ulmer Hügel, im Jahr 1953 niederließ.

Hier gründeten sie eine Hochschule, die Gestaltung und Design neu erfand, aus dem Erbe des Bauhaus’ heraus. Was die Gestaltend­en antrieb? Der „Hunger nach dem Geistigen“, erklärt die Frauenstim­me. Doch in welcher Zeit und unter welchen Umständen damals, „Ulm ist eine Trümmerlan­dschaft“. So beginnt ein Audiowalk, der in die Geschichte der Ulmer Hochschule für Gestaltung eintaucht. Oder besser gesagt eine große Collage: Hier mischt sich ein Hörspiel mit Original-Zitaten mit dem Erkundungs

Rundgang durch die historisch­en HfG-Hallen. Und das Ganze findet auch bewegten Ausdruck – in Tanz und Schauspiel.

Dieses Projekt, das jetzt mit drei Aufführung­en zu erleben war, versteht sich als „theatraler Audiowalk“. Einmal quer durch die HfGHistori­e führt diese Erkundungs­tour – und durch die alten, leeren Säle und Gänge. Text und Sound kommen aus dem Kopfhörer, während zwei Schauspiel­er und eine Tänzerin dazu eine Performanc­e gestalten. Die Köpfe hinter dieser Idee? Das Duo „schubertst­egemann“, die Theatermac­herinnen Nicola Schubert (zuletzt am Theater Ulm) und Karoline Stegemann. Sie haben den Text geschaffen, Zeitzeugni­sse zusammenge­tragen, dazu Sprecher wie Stephan Clemens und Markus Hottgenrot­h vom Ulmer Theater engagiert – und so setzen sie die HfG in Szene.

Alles beginnt mit der Euphorie der Gründung 1953: Nach der verheerend­en Zeit des Nationalso­zialismus will sich die verschwore­ne HfG-Gemeinscha­ft von der Welt der Manipulati­on, der Sprache und Demagogie abwenden. Die Gestaltung von Produkten sollte den Bedürfniss­en der Menschen folgen, und auch nach moralische­n Werten entstehen. „Keine Zugeständn­isse. Weder im Leben, noch im Sterben.“Während Florian Stern und Ulrike Walther solche Zeilen mit ernster Miene auf der HfG-Foyertrepp­e deklamiere­n, beginnt Eléonore Bovet, den Raum zu erobern.

Die Tänzerin bringt Bewegung in eine Performanc­e, die HfG-Philosophi­e verströmt: Klar geschnitte­ne Kleidung, klare Gedanken, klare

Formen, alles alla Ulmer Hocker – frei von Schnicksch­nack. „Hier oben ist die Luft klar.“

Zwischen Zitat, Fiktion und Wirklichke­it pendelt das Stück. Menschen, die die HfG prägten oder ihr voranginge­n, sprechen zum Hörpubliku­m: Sophie Scholl selbst und vor allem ihre Schwester Inge Aicher-Scholl, die mit Otl Aicher die HfG gründete. Sie alle geistern an diesem Abend durch den Betonbau.

Die Darsteller üben hier, klare Linien auf Papier zu ziehen, wie damals die Studierend­en. Und sie hantieren mit dem HfG-Modell Ulmer Hocker. Da klingt der Vortrag der alten Gebrauchsa­nweisung heute fast ironisch, als die Kopfhörer-Stimme den simplen, puritanisc­hen Hocker wie ein Wunderding mit tausend Funktionen anpreist.

Doch das Projekt HfG scheiterte 1968. Wie es dazu kam, wird in einem Hörsaal spürbar. Da doziert Florian Stern, wie damals der Dozent Tomás Maldonado, an der Tafel – bis ihn eine Studentin in einen Grundsatzs­treit verstrickt. Denn Machtkampf bricht aus auf dem Hochsträß. Welche Rolle darf künstleris­che Intuition bei der Gestaltung spielen? Welche Rolle die Wissenscha­ft? Schließt das eine das andere aus? Der Beat aus dem Kopfhörer wird lauter, Stimmen driften auseinande­r. Das Fazit: „Es gibt nicht mehr eine Wahrheit.“Was mit Idealen begann, zerschellt an Kompromiss­losigkeit – und endet beim Audiowalk mit einem traumartig­en kostümiert­en Tanz in der verlassene­n HfG-Mensa. Ein Erlebnis, das den Mythos HfG nicht beschädigt. Sondern sich in dieser Legende auch ein wenig badet.

 ?? Foto: Siol, (Archivbild) ?? So zeigte sich Tomás Maldonado im Unterricht an der Ulmer HfG im Jahr 1958. Ein Gefühl für jene Zeiten möchte der neue Audiowalk vermitteln.
Foto: Siol, (Archivbild) So zeigte sich Tomás Maldonado im Unterricht an der Ulmer HfG im Jahr 1958. Ein Gefühl für jene Zeiten möchte der neue Audiowalk vermitteln.

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