Neu-Ulmer Zeitung

Was ist dran an den derben Sprüchen?

Frontalang­riffe sind beim Politische­n Aschermitt­woch wichtiger als Inhalte. Doch was davon stimmt? Ein Faktenchec­k.

- Von Christof Paulus

Passau Wer im Bierzelt auftritt, ist klug beraten, gute Laune mitzubring­en. Das Publikum erwartet wenig Inhalte – und stattdesse­n Unterhaltu­ng. In den Sälen am Politische­n Aschermitt­woch ist das kaum anders, und die beliebtest­en Rednerinne­n und Redner sind vor allem die, die ihr Publikum zum Grölen und Lachen bringen. Dabei helfen flotte Sprüche und die offene Konfrontat­ion mit dem politische­n Kontrahent­en – doch lange nicht alles, was auf der Bühne gesagt wird, hält einer Überprüfun­g stand. Ein Meister der Bierzeltre­de ist Markus Söder – der auch heuer an Aschermitt­woch in der Passauer Jahrhunder­thalle mehrere Dutzend diskussion­swürdige Thesen unter die Leute gebracht hat. Wie viel Wahrheit steckt in den markantest­en davon?

• „Bayern kann ohne Deutschlan­d leichter leben als Deutschlan­d ohne Bayern. Denn dann wäre Deutschlan­d pleite.“

• Fakten Ohne die Steuereinn­ahmen aus Bayern würden dem Bund jährlich einige Dutzend Milliarden Euro fehlen – allerdings gäbe es ja auch über 13 Millionen Menschen weniger zu versorgen. Ein großes Loch entstünde sicher im Länderfina­nzausgleic­h, in den der Freistaat zuletzt rund zehn Milliarden Euro einbezahlt­e. Doch Bayern gibt nicht nur, sondern nimmt auch: Für den Ausbau von Straßen und Schienen gibt der Bund in keinem anderen Bundesland auch nur annähernd so viel aus wie in Bayern. Unterm Strich dürfte gelten: Ohne Bayern würde dem Rest Deutschlan­ds ein starker Wirtschaft­sstandort schmerzlic­h fehlen. Doch schaut man auf die Schuldenst­andquote – das Verhältnis von Gesamtvers­chuldung und Bruttoinla­ndsprodukt –, so liegt diese aktuell bei etwa 66 Prozent. Wohl genug Luft also für den Rest des Landes, um auch ohne Bayern zumindest über die Runden zu kommen: Erst wenn die Staatsschu­lden deutlich weiter ansteigen oder die Wirtschaft­sleistung massiv einbräche, würde es problemati­sch.

• „Was unterschei­det meinen Hund Molly von Kevin Kühnert und Ricarda

Lang? Mein Hund hat eine abgeschlos­sene Ausbildung.“

• Fakten Tatsächlic­h haben sowohl Ricarda Lang, die Bundesvors­itzende der Grünen, als auch der SPD-Generalsek­retär Kevin Kühnert ihr Studium nicht abgeschlos­sen. Kühnert jobbte anschließe­nd im Callcenter, bevor er seine berufliche­n Tätigkeite­n für die Partei aufnahm, Lang startete schon während des Studiums ihre politische Karriere. Ob Söders Hund Molly – wie von ihm behauptet – tatsächlic­h ausgebilde­ter Schutzhund ist und zu welcher berufliche­n Tätigkeit das erste Haustier im Freistaat dadurch befähigt wäre, ist nicht bekannt.

• Zur Cannabis-Entkrimina­lisierung: „Ärzte warnen, Psychologe­n warnen. Die Polizei ist in heller Sorge, was passieren kann. Schaut mal, was in Holland los ist: offene Drogenkrie­ge auf der Straße!“

• Fakten Es gibt zweifellos ernst zu nehmende Kritik an den Plänen der Bundesregi­erung. Die Bundesärzt­ekammer hatte sich gegen eine Gesetzesän­derung ausgesproc­hen, die den Zugang zu Cannabis erleichter­n würde. Auch die Deutsche Gesellscha­ft für Psychother­apie warnte in einem Positionsp­apier vor den Folgen einer Legalisier­ung – wenn auch weniger drastisch. Das Papier stellt „eine gelingende Entkrimina­lisierung“in Aussicht, dafür brauche es aber „präventive Programme“. Einen Punkt hat Söder mit Blick auf die Niederland­e: Drogenkart­elle gewinnen dort immer mehr an Macht, in jüngster Vergangenh­eit häuften sich Sprengstof­fanschläge im Drogenmili­eu. Dass das Land jedoch nennenswer­t unsicherer geworden ist, ist nur schwer zu belegen: Laut Global Peace Index sind die Niederland­e auf Rang 16 der sichersten Länder der Welt – einen Platz hinter Deutschlan­d.

Für Straßenbau bekommt Bayern so viel Geld wie kein anderes Land.

• „Die AfD ist die fünfte Kolonne Moskaus.“

• Fakten Damit meint Söder, dass die Rechtsauße­n-Partei nicht im Sinne Deutschlan­ds handelt, sondern den russischen Interessen massiv Vorschub leistet. Dafür gibt es gute Argumente: Russland bot der AfD Beratungen an, zudem stehen einige Abgeordnet­e der Partei aktuell unter Spionage-Verdacht. Sie lehnen eine Unterstütz­ung der von Russland überfallen­en Ukraine weitgehend ab und setzen sich für ein Ende der Sanktionen gegen Moskau ein. Einige ihrer Politiker pflegen gute Kontakte nach Russland und reisen regelmäßig dorthin. Söder hat also durchaus Fakten auf seiner Seite.

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Markus Söder trinkt zwar keinen Alkohol, traf jedoch die bierselige Laune am Aschermitt­woch in Passau gewohnt gut.
Foto: Peter Kneffel, dpa Markus Söder trinkt zwar keinen Alkohol, traf jedoch die bierselige Laune am Aschermitt­woch in Passau gewohnt gut.

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