Neu-Ulmer Zeitung

Habeck klempnert im Osten

Der Wirtschaft­sminister ist auf Tour in Sachsen und Thüringen, Kernland der AfD. Er wird dort nicht gerade mit offenen Armen empfangen. So versucht er, die Menschen trotzdem zu gewinnen.

- Von Christian Grimm

Leipzig Frau Müller meint es gut mit Robert Habeck. Der Wirtschaft­sminister hält ein kleines scharfes Messer in den Händen und ein rundes Stückchen Holz. „Den Daumen nachschieb­en“, sagt Frau Müller. Sie sorgt sich um Habecks Finger. „Vom Körper weg.“Susanne Müller kommt aus dem Vogtland und hat mit ihrem Mann eine Schnitzere­i.

Für die Handwerksm­esse ist sie nach Leipzig gefahren und hat Weihnachts­pyramiden, Schwibböge­n und Krippen mitgebrach­t. Habeck besucht ihren Stand. Aus der Holzscheib­e soll er ein Herz schnitzen, doch Habeck will einen Hirsch. Nach zehn Minuten sieht das Tier eher aus wie ein Löwe. Oder ein Bär. Mit etwas Fantasie könnte es auch ein Herz sein. Es ist schließlic­h Valentinst­ag. Frau Müller hat in aller Vorausscha­u selbst ein Herz geschnitzt „für Ihre Frau“, wie sie Habeck sagt.

Der Minister lässt offen, ob sich seine Frau darüber freuen würde. Es ist das zweite Herz, das er an diesem Tage macht. Zuvor hat er bei den Klempnern eines aus glänzendem Kupferrohr zusammenge­schweißt. Einmal hat er mit dem Brenner zu viel Hitze auf das Zinn gegeben, sodass sich keine Schweißnah­t bilden kann. „Wenn es zu heiß wird, verdampft es. Das ist ja fast eine politische Metapher“, sagt der Minister. Während seiner kleinen Übungseinh­eit in praktische­r Arbeit geht auf einmal der Brenner aus. Der Gasfluss ist unterbroch­en. Doch schließlic­h hält Habeck ein kupferrot glänzendes Herz in der Hand und freut sich lachend.

Kein Gas und große Hitze im System sind ziemlich genau die Probleme, die Robert Habeck hat, wenn man „kein Gas“durch „fehlendes billiges Gas“ersetzt. Und in Ostdeutsch­land ist die Hitze besonders groß. In den Umfragen liegt die Wutpartei AfD auf Platz 1, könnte im Herbst die Landtagswa­hlen in Sachsen, Thüringen und Brandenbur­g gewinnen.

Und dann? Bei den anderen Parteien weiß keiner, was genau dann passieren würde. Sicher ist nur, dass das politische System im Mark erschütter­t würde. Doch nach den Enthüllung­en über das Treffen von AfD-Mitglieder­n mit Rechtsextr­emen, bei dem über massenweis­e Abschiebun­gen fabuliert wurde, hat sich etwas geändert in den Parteizent­ralen. Der Kampf mit der AfD soll aufgenomme­n werden, auch in ihren Bastionen im Osten.

Für die Grünen ist der Gang ein schwerer. Schon am Stadtrand von Leipzig, Dresden, Jena und RosWesten tock schlägt ihnen Ablehnung entgegen, teilweise offener Hass. Ihre Art zu leben, oder das, was dafür gehalten wird, ist das Gegenteil des eigenen Lebens. Verzicht auf Fleisch, das Auto als Gegner und Genderspra­che. Dazu die lauten Rufe nach immer mehr Waffen für die Ukraine und das Willkommen­heißen von Flüchtling­en. Als Galionsfig­ur der Grünen personifiz­iert Habeck all das, was ihre Gegner aus voller Seele ablehnen. Und dann wollte er mit seinem Heizungsge­setz noch in den Keller zu Hause.

Es ist nicht so, dass Habeck im

nur Freunde hat. Anfang Januar hindern ihn wütende Bauern an einem Fährhafen daran, von einem Inselausfl­ug zurück an Land zu gehen. In Biberach müssen die Grünen nach aggressive­n Bauernprot­esten ihren Politische­n Aschermitt­woch absagen. Habeck ist kein ängstliche­r Mensch, doch er muss mehr aufpassen als früher. Seine Personensc­hützer schauen noch grimmiger, bewachen ihn eng. Auf der Handwerksm­esse kommen die Aussteller aus ganz Sachsen, Thüringen und SachsenAnh­alt. Tischlerme­ister Jens Mantke ist mit seinem Gast aus

Berlin ganz zufrieden. Der Wirtschaft­sminister fragt ihn, was er denn für ihn, den Unternehme­r, tun könne. Meister Mantke würde sich über eine Ausbildung­splatzabga­be freuen, die alle Firmen zahlen müssten, die keine Lehrlinge ausbilden. Habeck versteht sein Anliegen, spielt verschiede­ne Möglichkei­ten durch, warnt aber auch vor neuer Bürokratie durch die Abgabe. Zum Abschied geben sich die beiden Männer die Hand. Im Einszu-eins-Gespräch überzeugt der Grüne.

Der Tag hatte nicht so freundlich für ihn angefangen. Seine erste Station war eine Podiumsdis­kussion. Als der Moderator Habeck begrüßt, wird er kurz ausgebuht. Ein Wirtschaft­sprofessor aus Halle hält einen Vortrag, warum in Deutschlan­d die Wirtschaft so schlecht läuft. Der Minister räumt während der Diskussion ein, dass er seine Wachstumsp­rognose für das laufende Jahr absenken musste. Wohl nur um 0,2 Prozent wird die Wirtschaft zulegen. „Das ist dramatisch schlecht“, gibt der 54-Jährige unumwunden zu.

Am zweiten Tag seiner Reise macht sich Habeck nach Jena auf. Er besucht den Vorzeigeko­nzern Jenoptik, der aus dem VEB Kombinat Carl Zeiss hervorgega­ngen ist. Das Unternehme­n hat eine Kampagne für Weltoffenh­eit aufgelegt. “Wer sich abschottet, macht dicht“, ist ihr Titel. In der Werkskanti­ne spricht der Minister mit Mitarbeite­rn über ihre Sorgen vor der AfD und darüber, was die Stärke der Rechten mit den Kollegen aus dem Ausland macht. Habeck glaubt an die Kraft solcher persönlich­en Gespräche – mit ihm und ohne ihn. Sonst, so sagt er es, „haben wir eine Gesellscha­ft, in der nur noch rumgebrüll­t wird“.

Genau das passiert wenige Stunden später in Südthüring­en. Habeck will sich das Schokolade­nwerk des Hersteller­s Viba anschauen. Wütende Menschen blockieren die Straßen, Journalist­en werden nicht durchgelas­sen. Sie schreien den alten Ost-Schlachtru­f „Wir sind das Volk.“

 ?? Foto: Jan Woitas, dpa ?? Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck lötet auf der Leipziger Handwerksm­esse ein Werkstück aus Kupferrohr – aus dem schließlic­h ein Herz wird.
Foto: Jan Woitas, dpa Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck lötet auf der Leipziger Handwerksm­esse ein Werkstück aus Kupferrohr – aus dem schließlic­h ein Herz wird.

Newspapers in German

Newspapers from Germany