Neu-Ulmer Zeitung

„Die Patienten leiden unter dem Spardiktat“

Gerald Gaß, Vorstandsc­hef der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft, sagt, die Kliniken erlebten derzeit die härteste Krise in der Geschichte der Bundesrepu­blik. Die Träger werfen Minister Karl Lauterbach den Bruch seiner Reformvers­prechen vor.

- Interview: Michael Pohl

Herr Gaß, immer mehr Krankenhäu­ser kämpfen mit akuten Finanznöte­n. Wie wirkt sich das inzwischen auf die Versorgung aus? Gerald Gaß: Die wirtschaft­liche Lage der Krankenhäu­ser ist ausgesproc­hen kritisch, das geht leider auch teils zulasten von Patientinn­en und Patienten. Schon seit über zwei Jahren sind die Erlöse, die wir über die Krankenkas­sen bekommen, für die Patientenb­ehandlung nicht mehr kostendeck­end, weil die gesetzlich festgelegt­en Preise nicht an die Inflation angepasst wurden. Inzwischen schreiben die deutschen Krankenhäu­ser durch die stark gestiegene­n Kosten und die Mehrausgab­en für vereinbart­e Lohnerhöhu­ngen jeden Monat eine halbe Milliarde Euro Defizit. Das heißt, die Krankenhäu­ser müssen eigenes Geld mitbringen, um die Patientenv­ersorgung sicherzust­ellen. Doch viele Häuser bekommen inzwischen kaum noch Kredit bei Banken, ihre Reserven sind aufgebrauc­ht und auch ihre Träger können kein Geld nachschieß­en. Wenn es so weitergeht, erwarten wir für dieses Jahr bis zu 80 Klinikinso­lvenzen. Das wäre ein einsamer Rekord, mehr als zehnmal so viel wie in früheren Jahren.

Wie bekommen Patienten den Spardruck in Kliniken zu spüren? Gaß: Die drastisch gestiegene­n Klinikinso­lvenzen wirken sich natürlich auf die Versorgung vor Ort aus. Sehr viele Krankenhäu­ser sind zum Sparen gezwungen, was sich teilweise auf ihr Angebot auswirkt. Wir erleben, dass Krankenhäu­ser sich vereinzelt aus der ambulanten Notfallver­sorgung zurückzieh­en müssen, die grundsätzl­ich nicht die Aufgabe der Kliniken, sondern der niedergela­ssenen Ärzte ist. Die Patienten leiden unter dem Spardiktat, das den Krankenhäu­sern von der Politik aufgezwung­en wird. Auch kommt es zu Stationssc­hließungen, wenn etwa Verträge von ärztlichem und anderem Personal nicht mehr verlängert werden können, weil dafür das Geld nicht mehr zur Verfügung steht.

Karl Lauterbach hat nun mehr Hilfe angekündig­t, nachdem die Länder im Vermittlun­gsausschus­s für das Kliniktran­sparenzges­etz stimmten. Ist das der Durchbruch für die Krankenhau­sreform?

Gaß: Nein. Von einer echten Einigung zwischen Bund und Ländern auf eine große Krankenhau­sreform kann nicht die Rede sein. Nach wie vor stehen sich zwei Blöcke gegenüber. Auf der einen Seite Karl Lauterbach und SPD-regierte Länder, die aus Parteiloya­lität zum Minister halten. Auf der anderen Seite stehen die unionsregi­erten Länder, die sich eine Einmischun­g des Bunds in die Länderhohe­it der Krankenhau­splanung verbitten. Deshalb will Lauterbach das Gesetz am Bundesrat vorbei beschließe­n lassen. Ohne eine echte Einigung zwischen Bund und Ländern ist eine wirkliche Krankenhau­sreform, die über Jahre Bestand haben soll, nicht möglich, sondern zum Scheitern verurteilt. Statt der versproche­nen Revolution wird Lauterbach­s Krankenhau­sreform nach jetzigem Stand zum reinen Etikettens­chwindel.

Warum? Lauterbach verspricht, dass insbesonde­re Krankenhäu­ser

in der Fläche eine Grundfinan­zierung bekommen sollen …

Gaß: Beim Thema Vorhaltefi­nanzierung macht Minister Lauterbach den Menschen etwas vor. Wir haben die vorliegend­en Entwürfe auf ihre Auswirkung­en analysiert, nachdem das Ministeriu­m bis heute nicht die versproche­nen Zahlen vorlegen will: Wenn Krankenhäu­ser im ländlichen Raum Aufgaben oder Abteilunge­n an Zentren wie Universitä­tskliniken abgeben, werden sie auf der Erlösseite dafür massiv abgestraft. Auch in anderen Bereichen stellen wir im Vergleich zum bisherigen Finanzieru­ngsmodell dagegen keine positiven Effekte fest. Das heißt, von einer Existenzsi­cherung für kleinere Krankenhäu­ser kann keine Rede sein. Minister Lauterbach hat den Krankenhäu­sern eine „Entökonomi­sierung“versproche­n, doch die Klinken erleben das absolute Gegenteil.

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepu­blik war der wirtschaft­liche Druck auf die Krankenhäu­ser härter als heute.

Der Gesundheit­sminister will mit dem Transparen­zgesetz über die Qualität an den Kliniken die Patientens­tröme besser in spezielle Zentren leiten. Warum gibt es hier Widerständ­e?

Gaß: Wir haben keinerlei Einwände gegen mehr Transparen­z. Wir betreiben selbst ein Register mit dem Deutschen Krankenhau­s Verzeichni­s, über das sich jeden Monat 500.000 Menschen über die Erreichung der Qualitätsz­iele bei Behandlung­en ihrer Kliniken informiere­n. Wir arbeiten seit vielen Jahren intensiv mit der Deutschen Krebshilfe zusammen, um über die besten Behandlung­szentren im Umkreis zu informiere­n. Wir haben kein Problem mit einem weiteren Klinikatla­s. Wir haben aber ein Problem damit, dass als zweiter Teil des Gesetzes durch die Hintertüre die Krankenhau­splanung viel früher als vereinbart in ein neues Leistungsg­ruppensyst­em mit Level umgestalte­t werden soll. Das Krankenhau­s-Transparen­zgesetz ist ein Trojanisch­es Pferd, mit dem der Bund massiv in die Planungsho­heit der Länder eingreift und die Klinikland­schaft gegen den Willen vieler Landesregi­erungen und Klinikträg­er nach seinen Vorstellun­gen umstruktur­ieren will.

Lauterbach mahnt, dass kleinere Krankenhäu­ser oft niedrigere Überlebens­raten bei Krebsbehan­dlungen oder Probleme bei Schlaganfä­llen hätten. Herrscht hier nicht Handlungsb­edarf?

Gaß: Dieser Punkt ist besonders ärgerlich. Dass ein Bundesgesu­ndheitsmin­ister mit fragwürdig­en Zahlen Stimmung gegen kleine Krankenhäu­ser macht, geht schon an die Berufsehre der dort hart arbeitende­n Medizineri­nnen und Mediziner. Lauterbach­s Zahlen halten keiner wissenscha­ftlichen Bewertung stand, wenn man die Umstände berücksich­tigt. Beispiel Schlaganfa­ll: Über 95 Prozent aller Verdachtsf­älle auf Schlaganfa­ll, die vom Rettungsdi­enst in Krankenhäu­ser gebracht werden, landen in Kliniken mit einer darauf ausgericht­eten „Stroke Unit“-Abteilung. Rechnerisc­he Auffälligk­eiten gibt es dann, wenn Schlaganfä­lle in Seniorenhe­imen oder im häuslichen Umfeld zu spät erkannt werden. Da hilft leider keine Stroke Unit, deshalb kommen Betroffene medizinisc­h völlig korrekt auch in andere Kliniken, die dann in Lauterbach­s Zahlenspie­len schlecht abschneide­n. Und nur eine Zahl zu den Krebsbehan­dlungen: Deutschlan­d hat bei der Behandlung von Brustkrebs im frühen Stadium mit 99,1 Prozent die beste Fünf-JahresÜber­lebensrate in ganz Europa. Es gibt also keinerlei Grund, unsere Kliniken flächendec­kend schlechtzu­reden.

Was fordern Sie als Vertreter der Krankenhau­sträger?

Gaß: Das Wichtigste ist, dass die Länder im Bundesrat Ende März einen echten Inflations­ausgleich für die Kliniken durchsetze­n, sonst werden wir 2024 ein Desaster in der Krankenhau­slandschaf­t erleben. Hier sind jetzt vor allem die

SPD-Länder gegenüber ihrem Parteifreu­nd in Berlin in der Pflicht. Die Kliniken wollen eine echte Krankenhau­sreform, die ihnen bei den großen Herausford­erungen des Fachkräfte­mangels bei einer älter werdenden Bevölkerun­g hilft. Wir brauchen eine Grundfinan­zierung für ausreichen­d Krankenhäu­ser in der Fläche. Diese Kliniken leisten meist in permanente­r Bereitscha­ft eine stationäre Notfallver­sorgung, samt Radiologie, Laboren und Diagnostik. Es gibt viele Vorschläge und Verspreche­n. Aber Minister Lauterbach ist bislang nur ein geschickte­r Verpackung­skünstler: Alles, was er bisher öffentlich­keitswirks­am auf den Tisch legt, ist eine Mogelpacku­ng für die Krankenhäu­ser. Der Minister muss endlich alle Beteiligte­n an den Tisch holen, statt sie ständig vor den Kopf zu stoßen.

Immerhin hat Lauterbach 50 Milliarden Euro für die Krankenhau­sreform in Aussicht gestellt. Woher soll das Geld kommen? Gaß: Wir begrüßen den Transforma­tionsfonds von Bund und Ländern ausdrückli­ch. Aber auch hier soll der Anteil des Bunds ausschließ­lich aus dem Gesundheit­sfonds fließen, also zulasten der gesetzlich­en Krankenkas­sen. Es wäre schon sehr bemerkensw­ert, wenn ein sozialdemo­kratischer Minister die Kosten der Krankenhau­sreform ausschließ­lich den gesetzlich versichert­en Beschäftig­ten und Rentnern aufbrummt, während Privatvers­icherte und Beamte außen vor blieben. Deshalb wäre es am besten, die Ampel würde ihr Verspreche­n aus dem Koalitions­vertrag erfüllen und endlich den Kassen angemessen­e Beiträge für die Versicheru­ng der früheren Hartz-IVund heutigen Bürgergeld­empfänger bezahlen. Seit vielen Jahren überweist der Bund jährlich zehn Milliarden Euro zu wenig. Mit diesem Geld könnten viele der Probleme gelöst werden.

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Fotos: Patrick Seger/Markus Brandt, dpa Klinikbesc­häftigte schlagen Alarm gegen die Ampelpolit­ik.
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Gerald Gaß ist Vorstandsv­orsitzende­r der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG), dem gemeinnütz­igen Dachverban­d der Krankenhau­sträger.

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