Das steckt hinter dem Zoff der Wirtschaftsweisen
Die Berufung von Veronika Grimm in den Aufsichtsrat von Siemens Energy führt zu einem Eklat im Sachverständigengremium – und auch innerhalb der Siemens-Welt kracht es.
München/Nürnberg Die Frage drängt sich auf: Ist es weise, dass die fünf Wirtschaftsweisen seit Tagen einen internen Streit in der Öffentlichkeit austragen? Schließlich sind die drei Frauen und zwei Männer als Mitglieder des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung die ökonomischen Chef-Berater der Bundesregierung. Sie haben eine Funktion inne, die in hohem Maße Diskretion erfordert. Kritik sollen die fünf Weisen nur an der Politik der Bundesregierung üben, wenn sie zu dem Schluss kommen, Berliner Entscheidungen könnten dem Wachstum der Volkswirtschaft abträglich sein. Aufeinander loszugehen gehört nicht zur Stellenbeschreibung. Doch zu einem derartigen, immer weiter eskalierenden Konflikt ist es gekommen.
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung
stehen zwei Ökonominnen. Beide sind Professorinnen. Veronika Grimm lehrt Volkswirtschaftslehre an der Uni Erlangen-Nürnberg. Monika Schnitzer ist für Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München zuständig. Beide gehören dem Gremium der „Fünf Weisen“an, wobei Schnitzer die Vorsitzende der Runde ist, welche sonst nur mit Gutachten Schlagzeilen macht. Das hat sich geändert, nachdem Grimm sich nicht von ihren Kolleginnen und Kollegen abbringen ließ, Mitglied des Aufsichtsrats der Siemens Energy AG zu werden. Dabei fehlte es nicht an Mahnungen, die Doppeltätigkeit könnte zu Interessenkonflikten führen, zumal das Unternehmen mit seiner Kraftwerkstechnik, gerade im Bereich der Windkraft, einer der wesentlichen Treiber der Energiewende ist. Da Siemens Energy ausgerechnet in der Windsparte seit Längerem wirtschaftliche Schwierigkeiten hat und die Bundesregierung das Unternehmen mit Garantien über 7,5 Milliarden Euro stützt, glaubt Schnitzer, dass die Doppelfunktion ihrer Kollegin „den Ruf des Sachverständigenrates beschädigen kann“.
Dabei haben sich die beiden Wissenschaftlerinnen zunächst via Handelsblatt ein argumentatives Gefecht geliefert. Am meisten ärgern Schnitzer und die anderen drei Weisen, dass sie aus der Presse erfahren mussten, dass Grimm für den Aufsichtsrat nominiert wird. Erst danach habe sie die Kolleginnen und Kollegen des Sachverständigenrates in Kenntnis gesetzt. Der Umstand muss maßgeblich zum Weisen-Zoff beigetragen und Schnitzer wie die anderen Mitglieder des Gremiums veranlasst haben, Grimm in einer E-Mail klarzumachen, dass sie nicht gleichzeitig Wirtschaftsweise und Aufsichtsrätin bei Siemens Energy sein könne. Diese Nachricht ging auch an die Bundesregierung weiter und wurde daraufhin an Journalisten durchgestochen. Der Eklat war perfekt. Grimm sagte am Dienstag gegenüber unserer Redaktion: „Ich habe prüfen lassen, ob das Aufsichtsratsmandat kompatibel mit meiner Aufgabe im Sachverständigenrat
ist. Auch bei Siemens Energy gab es eine Compliance-Prüfung. Das Resultat war: Es gab nichts zu beanstanden.“Und die Professorin verwies darauf: „In vielen Fällen hatten Mitglieder des Sachverständigenrates Aufsichtsratsmandate inne.“Das sei früher immer kollegial und gewissenhaft im Rat behandelt worden und davon sei sie jetzt auch ausgegangen.
Grimm wurde am Montag in das Kontrollgremium des Energiekonzerns gewählt. Doch die Siemens AG hält noch eine Minderheitsbeteiligung an Siemens Energy und stimmte überraschend gegen die Berufung Grimms in den Aufsichtsrat.
Auf die Professorin entfielen nur 76,43 Prozent der Stimmen, während eine andere zur Wahl stehende Aufsichtsrätin 96,56 Prozent einheimsen konnte. Das Rätselraten ist groß. Wollte SiemensChef Roland Busch seinem Vorgänger und heutigen SiemensEnergy-Aufsichtsratsvorsitzenden
Joe Kaeser eins auswischen? Die beiden Manager sollen nicht unbedingt Freunde sein.
Oder war alles anders? SiemensKennerin Daniela Bergdolt, VizePräsidentin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, tappt im Dunkeln. Im Gespräch mit unserer Redaktion zeigte sie sich überzeugt: „Frau Grimm ist als Energie-Expertin die beste Persönlichkeit, die Siemens Energy für den Posten finden konnte. Ich verstehe nicht, dass Siemens gegen ihre Berufung gestimmt hat.“Bergdolt nannte das Verhalten der Konzernspitze „bizarr“.
Auf alle Fälle sollen nach Kenntnissen unserer Redaktion zunächst keine weiteren Informationen aus dem Kreis der vier Wirtschaftsweisen über die Berufung Grimms in das Kontrollgremium in die Öffentlichkeit geraten. Grimm selbst appellierte an ihre Mit-Weisen: „Es macht keinen Sinn, die Diskussionen in die Öffentlichkeit zu tragen. Wir müssen das intern klären.“