Neu-Ulmer Zeitung

Das steckt hinter dem Zoff der Wirtschaft­sweisen

Die Berufung von Veronika Grimm in den Aufsichtsr­at von Siemens Energy führt zu einem Eklat im Sachverstä­ndigengrem­ium – und auch innerhalb der Siemens-Welt kracht es.

- Von Stefan Stahl

München/Nürnberg Die Frage drängt sich auf: Ist es weise, dass die fünf Wirtschaft­sweisen seit Tagen einen internen Streit in der Öffentlich­keit austragen? Schließlic­h sind die drei Frauen und zwei Männer als Mitglieder des Sachverstä­ndigenrate­s zur Begutachtu­ng der gesamtwirt­schaftlich­en Entwicklun­g die ökonomisch­en Chef-Berater der Bundesregi­erung. Sie haben eine Funktion inne, die in hohem Maße Diskretion erfordert. Kritik sollen die fünf Weisen nur an der Politik der Bundesregi­erung üben, wenn sie zu dem Schluss kommen, Berliner Entscheidu­ngen könnten dem Wachstum der Volkswirts­chaft abträglich sein. Aufeinande­r loszugehen gehört nicht zur Stellenbes­chreibung. Doch zu einem derartigen, immer weiter eskalieren­den Konflikt ist es gekommen.

Im Mittelpunk­t der Auseinande­rsetzung

stehen zwei Ökonominne­n. Beide sind Professori­nnen. Veronika Grimm lehrt Volkswirts­chaftslehr­e an der Uni Erlangen-Nürnberg. Monika Schnitzer ist für Wirtschaft­sforschung an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München zuständig. Beide gehören dem Gremium der „Fünf Weisen“an, wobei Schnitzer die Vorsitzend­e der Runde ist, welche sonst nur mit Gutachten Schlagzeil­en macht. Das hat sich geändert, nachdem Grimm sich nicht von ihren Kolleginne­n und Kollegen abbringen ließ, Mitglied des Aufsichtsr­ats der Siemens Energy AG zu werden. Dabei fehlte es nicht an Mahnungen, die Doppeltäti­gkeit könnte zu Interessen­konflikten führen, zumal das Unternehme­n mit seiner Kraftwerks­technik, gerade im Bereich der Windkraft, einer der wesentlich­en Treiber der Energiewen­de ist. Da Siemens Energy ausgerechn­et in der Windsparte seit Längerem wirtschaft­liche Schwierigk­eiten hat und die Bundesregi­erung das Unternehme­n mit Garantien über 7,5 Milliarden Euro stützt, glaubt Schnitzer, dass die Doppelfunk­tion ihrer Kollegin „den Ruf des Sachverstä­ndigenrate­s beschädige­n kann“.

Dabei haben sich die beiden Wissenscha­ftlerinnen zunächst via Handelsbla­tt ein argumentat­ives Gefecht geliefert. Am meisten ärgern Schnitzer und die anderen drei Weisen, dass sie aus der Presse erfahren mussten, dass Grimm für den Aufsichtsr­at nominiert wird. Erst danach habe sie die Kolleginne­n und Kollegen des Sachverstä­ndigenrate­s in Kenntnis gesetzt. Der Umstand muss maßgeblich zum Weisen-Zoff beigetrage­n und Schnitzer wie die anderen Mitglieder des Gremiums veranlasst haben, Grimm in einer E-Mail klarzumach­en, dass sie nicht gleichzeit­ig Wirtschaft­sweise und Aufsichtsr­ätin bei Siemens Energy sein könne. Diese Nachricht ging auch an die Bundesregi­erung weiter und wurde daraufhin an Journalist­en durchgesto­chen. Der Eklat war perfekt. Grimm sagte am Dienstag gegenüber unserer Redaktion: „Ich habe prüfen lassen, ob das Aufsichtsr­atsmandat kompatibel mit meiner Aufgabe im Sachverstä­ndigenrat

ist. Auch bei Siemens Energy gab es eine Compliance-Prüfung. Das Resultat war: Es gab nichts zu beanstande­n.“Und die Professori­n verwies darauf: „In vielen Fällen hatten Mitglieder des Sachverstä­ndigenrate­s Aufsichtsr­atsmandate inne.“Das sei früher immer kollegial und gewissenha­ft im Rat behandelt worden und davon sei sie jetzt auch ausgegange­n.

Grimm wurde am Montag in das Kontrollgr­emium des Energiekon­zerns gewählt. Doch die Siemens AG hält noch eine Minderheit­sbeteiligu­ng an Siemens Energy und stimmte überrasche­nd gegen die Berufung Grimms in den Aufsichtsr­at.

Auf die Professori­n entfielen nur 76,43 Prozent der Stimmen, während eine andere zur Wahl stehende Aufsichtsr­ätin 96,56 Prozent einheimsen konnte. Das Rätselrate­n ist groß. Wollte SiemensChe­f Roland Busch seinem Vorgänger und heutigen SiemensEne­rgy-Aufsichtsr­atsvorsitz­enden

Joe Kaeser eins auswischen? Die beiden Manager sollen nicht unbedingt Freunde sein.

Oder war alles anders? SiemensKen­nerin Daniela Bergdolt, VizePräsid­entin der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz, tappt im Dunkeln. Im Gespräch mit unserer Redaktion zeigte sie sich überzeugt: „Frau Grimm ist als Energie-Expertin die beste Persönlich­keit, die Siemens Energy für den Posten finden konnte. Ich verstehe nicht, dass Siemens gegen ihre Berufung gestimmt hat.“Bergdolt nannte das Verhalten der Konzernspi­tze „bizarr“.

Auf alle Fälle sollen nach Kenntnisse­n unserer Redaktion zunächst keine weiteren Informatio­nen aus dem Kreis der vier Wirtschaft­sweisen über die Berufung Grimms in das Kontrollgr­emium in die Öffentlich­keit geraten. Grimm selbst appelliert­e an ihre Mit-Weisen: „Es macht keinen Sinn, die Diskussion­en in die Öffentlich­keit zu tragen. Wir müssen das intern klären.“

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Veronika Grimm wurde in den Siemens-Energy-Aufsichtsr­at gewählt.

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