Neu-Ulmer Zeitung

„Das geht in die absolut verkehrte Richtung“

Handwerksp­räsident Jörg Dittrich hat eine Messe vor sich und am Freitag den Kanzler zu Gast. Das denkt der Dachdecker­meister aus Dresden über die Politik – und über die Proteste auf der Straße.

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Herr Dittrich, Sie sind jetzt gut ein Jahr im Amt. Macht es Ihnen noch Spaß?

Jörg Dittrich: Der Begriff Spaß führt in die Irre, weil er ein Jahrmarkts­gefühl vermittelt. Aber prinzipiel­l ist mein Optimismus, der mir entweder in die Wiege gelegt oder anerzogen wurde, kein bisschen verändert. Deswegen macht mir die Arbeit nach wie vor Freude, auch wenn viele schwere Themen zu beackern sind.

Hat das Amt Ihren Blick auf die Politik verändert?

Dittrich: Der Blick wurde bestätigt. Wir müssen alle miteinande­r in unserem föderalen System Diskussion­en führen, auch öffentlich, damit wir als Gesellscha­ft in die richtige Richtung kommen. Das allerdings ist anstrengen­d und gerade aktuell wohl auch ein bisschen schwerer, als es sein müsste.

Warum?

Dittrich: Um zu Lösungen zu kommen, braucht es neben Kompromiss­bereitscha­ft ein gewisses Beharrungs­vermögen. Bei uns im Land wird Letzteres in der politische­n Meinungsbi­ldung aber leider oft als Blockade wahrgenomm­en und entspreche­nd kritisiert.

Am 1. März findet im Rahmen von „Zukunft Handwerk“und der Internatio­nalen Handwerksm­esse (IHM) in München das Spitzenges­präch der deutschen Wirtschaft mit dem Kanzler statt. In einem Brandbrief hat der ZDH zusammen mit den anderen Spitzenver­bänden bereits Frust und Verunsiche­rung bei vielen Betrieben beklagt. Was hat Olaf Scholz von Ihnen zu erwarten?

Dittrich: Es ist andersheru­m. Wir haben eine Erwartung an den Kanzler, nämlich die, dass er auf diesen Brief reagiert. Wenn sich alle vier Spitzenver­bände einheitlic­h positionie­ren, dann sollte das Signal genug sein. Die deutsche Wirtschaft und eben auch das Handwerk sind zur Diskussion bereit. Wir wollen darüber sprechen, welche Schritte man einleiten muss, damit wir wieder wettbewerb­sfähig werden. Es geht darum, nicht mehr im Klein-Klein zu verharren. Ob man das dann Deutschlan­dtempo, Deutschlan­dpakt oder Agenda nennt, ist egal.

Bei der mitteldeut­schen Handwerksm­esse in Leipzig saßen Sie kürzlich zusammen mit Wirtschaft­sminister Robert Habeck auf dem Podium. Der Grünen-Politiker muss sich gerade sehr viel Kritik an seiner Wirtschaft­spolitik anhören. Sollte sich der Kanzler da stärker engagieren? Dittrich: Es geht nicht nur um die Frage, ob Olaf Scholz besser führen müsste. Wichtiger ist, dass sich Kanzler, Finanzmini­ster und Wirtschaft­sminister einen Ruck geben und aus den ihnen jeweils wichtigen Dingen ein gemeinsame­s Konzept erarbeiten. Dazu gehört auch eine Art innere Befreiung von den Vorgaben, die ihnen beispielsw­eise die Parteiprog­ramme machen. Die Drei dürfen nicht länger vorrangig Parteipoli­tik betreiben, sie müssen sich als Staatsmänn­er verhalten, denen es um einen besseren Standort Deutschlan­d insgesamt geht. Das kann ich momentan noch nicht erkennen.

Das Motto der IHM in München lautet: „Handwerk, das Dein Leben schöner macht.“Ein anderes könnte lauten: „Bürokratie, die Dein Leben schwerer macht.“Das Thema Bürokratie­abbau begleitet uns schon seit Jahren, auf nationaler wie auf europäisch­er Ebene passiert aber nichts. Im Gegenteil. Was muss passieren?

Dittrich: Das Grundprobl­em ist: Was wir nicht dokumentie­rt haben, das haben wir nicht gemacht. Eine Arbeitszei­terfassung mache ich vorrangig nicht mehr für die Mitarbeite­r und die Lohnabrech­nung, sondern für die Kontrolle, damit die es sich ansehen kann. Das geht in die absolut verkehrte Richtung. Wir müssen stattdesse­n den Mut haben, bei bürokratis­chen Pflichten, vor allem denen zur Dokumentat­ion oder zum Nachweis, mal etwas auszusetze­n und zu prüfen, ob dadurch wirklich eine Verschlech­terung eintritt.

Es gibt jetzt ein Recht auf Reparatur: Ist das ein Segen für Ihre Zunft, weil es mehr Geld in die Kasse spült? Oder eher ein Fluch, weil unterm Strich nur Miese stehen?

Dittrich: Wie so oft geht es um die Ausformung. Werden die Konzerne die Geräte auch wirklich reparabel herstellen? Werden sie die Ersatzteil­e zu fairen Preisen an das Handwerk geben? Kann dadurch wirklich ein Geschäftsm­odell entstehen? Oder versuchen Konzerne, alles bei sich zu halten und so eine weitere Einnahmequ­elle zu generieren? Das ist der skeptische Blick darauf. Aber der Weg, eine Reparatur von Geräten einzuforde­rn, ist eindeutig richtig.

Vermutlich fehlen die Leute, um diese Reparature­n überhaupt auszuführe­n?

Dittrich: Ja, diese Gefahr besteht. Früher war es vollkommen normal, dass in einem Fernseher mal eine Röhre getauscht wurde. Es gab die Fachkräfte dafür, doch sie sind durch die industriel­le Massenprod­uktion aus dem Markt gedrängt worden. Und die lohnintens­iven Reparaturt­ätigkeiten mit einer derzeit sehr hohen Abgabenbel­astung machen es auch nicht gerade leicht. Das wieder zu ändern, geht nicht so schnell.

Die Ampel hat Arbeitserl­eichterung­en von Asylbewerb­ern und Menschen mit Duldungsst­atus beschlosse­n, um diese Menschen schneller in einen Job zu bringen. Wie sieht es aus, ist davon schon was zu merken?

Dittrich: Der Fachkräfte­mangel ist die Überschrif­t, die alles überstrahl­t. Wir verdrängen gerne, wie heftig diese Veränderun­g ist, die da gerade auf uns einwirkt und zukommt. Gleichzeit­ig gibt es Parteien, die meinen, es wäre alles schick, wenn wir 20 Prozent weniger Bevölkerun­g hätten. Es ist aber falsch zu glauben, dass wir damit unseren Wohlstand halten könnten. Bei der humanitäre­n Zuwanderun­g ist es so, dass gerade das Handwerk der Wirtschaft­sbereich ist, der überpropor­tional Geflüchtet­e integriert hat, besonders was die Ausbildung betrifft. Aber das möchte ich dabei betonen: Egal, ob wir über die Ukrainerin reden, über einen Deutschen oder wen auch immer – ohne eigene Anstrengun­g geht es nicht. Ich glaube nicht an die Utopie des guten Menschen, der von sich allein bestimmte Dinge tut. Das halte ich für einen Irrtum. Daran ist der Sozialismu­s gescheiter­t.

Die Bäuerinnen und Bauern haben aus Enttäuschu­ng über die Politik der Ampelkoali­tion ihren Protest mit Treckern auf die Straße getragen. Ist so etwas beim Handwerk auch geplant, oder setzen Sie noch auf die Einsicht und Vernunft der Regierende­n?

Dittrich: Es gibt bei uns aus verschiede­nen Landesteil­en einen großen Druck, dem Beispiel der Bauern zu folgen. Ich persönlich halte das für den falschen Weg, und zwar aus zwei Gründen. Erstens sollte Wirtschaft­spolitik nicht auf der Straße, sondern in den Parlamente­n stattfinde­n. Zweitens beginnen viele Proteste friedlich, arten dann aber aus. Ist das wirklich die Basis, auf der wir miteinande­r diskutiere­n wollen? Und vor allem ist das der Weg, auf dem wir zu tragfähige­n Lösungen kommen wollen?

Klingt nach Beschwicht­igung. Dittrich: Ist aber nicht so gemeint. Denn aus den beiden gerade genannten Gründen ergibt sich für mich die klare Forderung, dass sich die gewählten Politiker mit den Vertretern der Verbände, die – wie es das Wort schon beschreibt – ja die Interessen der Menschen aus den Betrieben vor Ort vertreten, an einen Tisch setzen und die dort vorgetrage­nen Vorschläge oder Einwände ernsthaft aufgreifen und ihren Entscheidu­ngen zugrunde legen. So wüssten die Menschen, dass sie gehört und verstanden werden. Dieses Startsigna­l verspüre ich aber nicht, und deshalb gibt es immer noch diesen großen Druck, auf die Straße zu gehen.

In den letzten Jahren konnte das Handwerk bei allen Problemen immerhin vom Boom auf dem Wohnungsma­rkt profitiere­n. Derzeit ist es eher mau auf dem Bau. Wie sehr ist das Handwerk dadurch belastet?

Dittrich: Der Zusammenbr­uch des Wohnungsba­us ist aus mehreren Gründen so schwierig. Zum einen geht es nicht um kleine Schwankung­en, sondern um große Verwerfung­en. Es gibt jetzt Firmen, die in die Insolvenz gehen und dadurch werden wiederum Handwerksf­irmen infiziert. Ich nenne das immer den Schwarzen Peter, der am Ende bei uns landet. Kluge Firmen haben aufgrund der guten Jahre davor Rücklagen gebildet und können einige Zeit durchhalte­n. Aber es gibt viele Firmenchef­s, die Mitte 50 sind und vor der Entscheidu­ng stehen: Gehe ich das Risiko ein, diese Krise mitzugehen oder höre ich jetzt auf? Momentan befürchte ich weniger die große Insolvenzw­elle, sondern das leise Sterben von Betrieben. Die wären dann weg, wenn wir sie brauchen, wenn wieder Wohnungen gebaut werden.

Im Juni werden in neun Bundesländ­ern parallel zur Europawahl die Kreistage sowie die Stadt- und Gemeinderä­te neu besetzt. Die AfD liegt in den Umfragen weit vorne, am Ende könnten Vertreter einer rechtsextr­emen Partei wichtige kommunale Posten besetzen. Wie besorgt sind Sie?

Dittrich: Wir sollten miteinande­r darüber reden, was wir gegen die derzeitige Polarisier­ung und Zersplitte­rung in unserer Gesellscha­ft tun können. Die vielen wütenden Maximalfor­derungen machen uns immer kompromiss­unfähiger und zerstören die Gemeinscha­ft, egal, ob es beispielsw­eise um die Begrenzung der ungesteuer­ten Zuwanderun­g oder die wettbewerb­sfähige Energiever­sorgung der Zukunft geht. Das ist erst mal die Überschrif­t. Zweitens will ich deutlich sagen, dass wir im Handwerk zu den Betroffene­n zählen, wenn Menschen Angst bekommen durch eine Diskussion über das Maß der Weltoffenh­eit.

Was meinen Sie damit?

Dittrich: In unserer Branche haben wir schon seit Jahren einen hohen Anteil von Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn mit Migrations­hintergrun­d. Das trifft ganz besonders zu, wenn man sich die ausländisc­hen Ausbildung­sanfängeri­nnen und -anfänger anschaut: Diese haben 2020 im Handwerk mehr als ein Drittel ausgemacht. Dass es so ist, ist gut – für die Betriebe und die Gesellscha­ft. Und damit bin ich beim dritten Punkt. Wenn Kräfte an die Macht kommen, die mit dem Begriff Remigratio­n Menschen Angst machen, die hier schon lange verankert sind, dann ist das für Deutschlan­ds Ansehen in der Welt und damit für den Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d eine Katastroph­e und schadet so letztlich auch den Handwerksb­etrieben massiv.

Interview: Christian Grimm

und Stefan Lange

Zur Person

Jörg Dittrich ist seit 2023 Präsident des Zentralver­bandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Dittrich wurde 1969 in Dresden geboren. Er machte eine Ausbildung zum Dachdecker und wurde per Abend- und Fernstudiu­m zum Dipl.-Ing. (FH) für Hochbau. Danach machte er seinen Meister und absolviert­e noch ein berufsbegl­eitendes Studium zum Holzschutz­sachverstä­ndigen. Der ZDH vertritt die Interessen von einer Million Handwerksb­etrieben mit mehr als 5,57 Millionen Beschäftig­ten und 360.000 Auszubilde­nden.

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Foto: Michael Kappeler, dpa ZDH-Präsident Jörg Dittrich.

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