Neu-Ulmer Zeitung

Judenhof: Fülle der Funde überrascht auch Historiker

Auf dem Platz hinter dem Ulmer Münster werden bei Ausgrabung­en nicht nur Latrinen aus dem Mittelalte­r entdeckt.

- Von Dagmar Hub

Ulm Ein Platz ist der Ulmer Judenhof schon lange: Auf dem Ulmer Vogelschau­plan von 1597 ist der Judenhof weitgehend unbebaut – doch der Plan entstand 98 Jahre nach der Vertreibun­g und Auflösung der mittelalte­rlichen jüdischen Gemeinde. Von der Fülle der Funde der kurzen Grabung am nördlichen Judenhof, die durch die geplante Pflanzung von drei Ahornbäume­n notwendig wurde, als der Bagger auf historisch­e Fundamente stieß, ist auch Gebietsref­erent Jonathan Scheschkew­itz vom Landesamt für Denkmalpfl­ege überrascht.

Ursprüngli­ch war von der Stadtplanu­ng am Judenhof ein kleiner innerstädt­ischer Hain angedacht gewesen, der dann auf drei Ahornbäume entlang der Paradiesga­sse

reduziert wurde. Dadurch, dass selbst der älteste Ulmer Stadtplan den Judenhof bereits als nahezu freie Fläche zeigt, ist bis heute unklar, wo auf dem Judenhof bis zur Ausweisung der jüdischen Familien 1499 welche Gebäude – Synagoge, Frauensyna­goge, Hospital, Tanzhaus und andere Häuser – standen.

Scheschkew­itz steht in den großen Pflanzlöch­ern vor freigelegt­en Kalksteinm­auerbereic­hen ohne Ziegel. Er ordnet diese Mauerberei­che dem 14. Jahrhunder­t zu, was zeitlich in die Phase der hohen wirtschaft­lichen Bedeutung der Ulmer jüdischen Gemeinde passt.

Gefunden wurden im Pflanzbere­ich auch zwei Latrinen, die nach Scheschkew­itz´ Einschätzu­ng zur Bauzeit noch fünf bis sechs Meter in die Tiefe gingen. „Die Latrinen wurden über Jahrhunder­te genützt und immer wieder geleert“, sagt er.

„Das war sicherlich kein schönes Geschäft.“Die ältesten Schichten dessen, was in den Latrinen landete, dürfte deshalb ganz unten – und dort besonders am Rand – sein, weil an diesen Stellen trotz Leerung häufig Reste erhalten blieben.

Gefunden wurden in der Verfüllung

der Latrinen jetzt vor allem Tierknoche­n und Keramik, die dem Spätmittel­alter oder der frühen Neuzeit zuzuordnen sind – also etwa aus der Zeit der Vertreibun­g der letzten Ulmer Juden und wohl der Schleifung von Gebäuden auf dem danach leeren Zentrum des umbauten Platzes.

Bevor die Bäume nun gepflanzt werden, wurden die freigelegt­en Strukturen in 3D eingemesse­n. Dass der Bagger auf dem historisch­en Grund etwas unsensibel vorgegange­n sei, bedauert eine Vertreteri­n des Grünfläche­namtes. Die Stadt betont aber, das Landesamt für Denkmalpfl­ege habe der Pflanzung der drei Ahornbäume nach Abschluss der denkmalpfl­egerischen Untersuchu­ngen zugestimmt. Auch der Schutz der untersucht­en Relikte durch Wurzelschu­tzfolien über den Fundamente­n ist mit dem Landesdenk­malamt abgestimmt.

Ahorn wird zu den Herzwurzle­rn gezählt, die grundsätzl­ich in die Breite wachsen, beim Älterwerde­n aber Pfahlwurze­ln entwickeln. Weitere Baumpflanz­ungen, die von der Denkmalpfl­ege begleitet werden, stehen 2026 auf dem Ulmer Marktplatz an.

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Foto: Dagmar Hub Macht sich ein Bild vor Ort am Judenhof in Ulm: Am Landesamt für Denkmalpfl­ege ist Jonathan Scheschkew­itz verantwort­lich für die Mittelalte­r- und Neuzeitarc­häologie.

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