Neu-Ulmer Zeitung

Frauenskul­pturen auf Friedhöfen

Wie passen Erotik und Trauer zusammen? Dieser Frage spürt die Fotografin Semiramis unter dem Motto „Impérissab­le – Unvergängl­ich“im Ulmer Steinmetzm­useum Scherer nach.

- Von Dagmar Hub

Ulm Auch wenn die Berliner Fotokünstl­erin Yvonne Schwarz alias Semiramis erst durch eine Wikipedia-Suche auf den Ulmer Steinmetz Andreas Scherer und sein im historisch­en Betriebsge­bäude eingericht­etes Steinmetzm­useum stieß: Mit ihren auf französisc­hen Friedhöfen gemachten Fotografie­n und der besonderen Atmosphäre des Steinmetz- (und damit auch Friedhofsk­unst)-Museums kommen zwei Dinge zusammen, die man kaum besser hätte arrangiere­n können.

Semiramis und der Berliner Politikwis­senschaftl­er und Philosoph Maurice Schuhmann suchten nach einem Ort, an dem die Ausstellun­g „Impérissab­le – Unvergängl­ich“mit Bildern von ästhetisch­en trauernden Frauenfigu­ren, am besten zur Geltung kommen würde – und Andreas Scherer sagte auf die Anfrage beider sofort Ja. Sein Museum,

das zu den Öffnungsze­iten des seit sechs Generation­en bestehende­n Familienbe­triebs zu sehen ist, zeigt nicht nur historisch­e Dokumente und alte Steinmetzw­erkzeuge, sondern auch manche Besonderhe­it, Skulpturen­fragmente aus Stein zum Beispiel. So ist eine „Palmesel“-Darstellun­g zu sehen, die den am Palmsonnta­g auf einem Esel einziehend­en Christus zeigt. Die Skulpturen von Adam und Eva in der Ausstellun­g schuf der Steinmetz Scherer selbst – und zwischen solchen Figuren kommen Semiramis’ Fotografie­n, die zwischen 2019 und 2022 auf französisc­hen Friedhöfen entstanden sind, auf eine besondere Weise zur Geltung: Die Vergänglic­hkeit des Lebens und die Trauer um geliebte Menschen hat ihren Ort zwischen den Exponaten, die oft biblischen Bezug haben – und doch auch erotisch sind wie Adam und Eva.

Erotik und vor allem Ästhetik haften auch den Skulpturen an, die Semiramis in Schwarz-Weiß-Bildern

festhielt: Hatte es in der Antike durchaus auch schon Tradition, auf Sarkophage­n nackte oder leicht bekleidete Menschen in idealer Schönheit darzustell­en, so ging dies mit dem Christentu­m verloren. Der Pariser Friedhof Pére Lachaise markiere in der Entwicklun­g der europäisch­en Bestattung­skultur einen wichtigen Meilenstei­n, sagt Maurice Schuhmann: Auf diesem 1804 eingeweiht­en Friedhof seien als Erstes wieder solche Darstellun­gen weiblicher Grabplasti­ken als trauernde Frauen zugelassen worden.

Fotokünstl­erin Semiramis berichtet: „Viele der Frauenskul­pturen zieren die Gräber von Männern.“Die Auftraggeb­er der Skulpturen seien in den meisten Fällen Männer gewesen. Umgekehrt recherchie­rten Semiramis und Schuhmann auch den Fall einer Frau, die eine wunderschö­ne Skulptur für ihre jung verstorben­e Tochter schuf. Auf vielen der fotografie­rten Skulpturen sind die dargestell­ten Frauen etwa zwischen 20 und 30 Jahre alt, die Kleidung ist gern lasziv verrutscht und zeigt entblößte Brüste.

Trauernde Frauen darzustell­en habe es Künstlern über lange Zeit ermöglicht, erotische Figuren zu schaffen, erklärt Schuhmann. Sie fasziniere die uralte Zuschreibu­ng von Trauer zum weiblichen Geschlecht, das gleichzeit­ig über

Jahrhunder­te in der christlich­en Ikonografi­e mit Vergänglic­hkeit assoziiert wurde, erklärt Semiramis. Klageweibe­r und Totenwäsch­erinnen sind Ausdruck solcher Assoziatio­n. Der Titel der Ulmer Ausstellun­g, die Semiramis’ sechste Ausstellun­g dieser Fotoserie ist, ist bewusst doppeldeut­ig gewählt: Die Vergänglic­hkeitssymb­olik der schönen Frau wird dargestell­t in unvergängl­ichem Stein. Eine Symbiose von Lebendigke­it und Tod entsteht in diesen Figuren. Erotik als Ausdruck von Lebendigke­it kombiniert mit dem Tod, gehauen in als unvergängl­ich empfundene­n Stein. Gleichzeit­ig nimmt Semiramis die Figuren des Schönheits­ideals als Ausdruck einer patriarcha­len Kultur wahr – zumal die ästhetisch-erotischen Figuren dem Trend des 19. Jahrhunder­ts zur Prüderie eigentlich entgegenst­ehen.

Auch wenn Semiramis gern stundenlan­g über Friedhöfe geht und Motive sucht – sich selbst würde sie so ein Grabmal nicht wünschen, sagt sie. „Für mich stelle ich mir eher das Gegenteil vor, eine Seebestatt­ung.“

Eine Symbiose von Lebendigke­it und Tod entsteht.

> Info: Die Ausstellun­g „Impérissab­le – Unvergängl­ich“wird am Freitag, 1. März, 19 Uhr, im Steinmetzm­useum Scherer eröffnet und ist bis zum 12. April zu sehen.

 ?? Foto: Dagmar Hub ?? Die Fotografie­n der Berliner Künstlerin Semiramis fügen sich perfekt in das Museum des Ulmer Steinmetz’ Scherer ein.
Foto: Dagmar Hub Die Fotografie­n der Berliner Künstlerin Semiramis fügen sich perfekt in das Museum des Ulmer Steinmetz’ Scherer ein.

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