Neu-Ulmer Zeitung

Der Insolvenz-Trick

Das Berliner Luxus-Kaufhaus KaDeWe ist angeblich pleite – obwohl das Geschäft wohl boomt. Experten vermuten dahinter einen Angriff auf das Reich des gestürzten René Benko.

- Von Miriam Steinrücke­n

Berlin Die Parfümerie des KaDeWe ist voll, ein Hauch von Chanel liegt in der Luft. Kundinnen schnuppern an Dior, Hermès und Prada, werden besprüht und geschminkt, nippen an Sekt und knabbern an Pralinen. Vor dem Label der Luxusmarke Louis Vuitton steht die Kundschaft Schlange, die Taschen sind begehrt. Von den Wänden lächeln Harry-Potter-Star Emma Watson und Ex-James-Bond Pierce Brosnan herab. Von Krise keine Spur. Dabei hat das Berliner Luxus-Kaufhaus Ende Januar Insolvenz angemeldet – trotz eines Rekordumsa­tzes. Ist das nur ein Trick? Will die Milliardär­sfamilie Chirathiva­t den österreich­ischen Investor Benko loswerden, die Miete drücken und den Laden übernehmen? Darauf spekuliere­n Branchenex­perten. Niemand weiß so recht, wie es weitergeht.

Das KaDeWe ist wohl das Vorzeige-Warenhaus des deutschen Einzelhand­els. Im neoklassiz­istischen Betonpalas­t bieten 900 Verkäuferi­nnen und Verkäufer auf sieben Etagen mit 60.000 Quadratmet­ern Fläche Waren aller Art an. Berühmt ist die Feinkost-Abteilung im sechsten Stock, das Kaufhaus wirbt mit 34.000 unterschie­dlichen Delikatess­en. Verliebte flirten an der Austernbar, Familien

lassen sich thailändis­ch bekochen, Kinder drücken sich die Nasen platt am Schoko-Schaufenst­er der Berliner Manufaktur Sawade. „Das KaDeWe ist Berlin“, schwärmen britische Touristen, „ein Must-see“. Im Restaurant genießen sie den Blick über die Stadt: Hier prangt der Mercedes-Stern auf dem Europa Center, dort gemahnt die Gedächtnis­kirche an den Zweiten Weltkrieg.

Das „Kaufhaus des Westens“ist Geschichte – und deutlich älter als der Kalte Krieg, nach dem sein Name klingt. 1907 eröffnet der deutsch-jüdische Kaufmann Adolf Jandorf das Warenhaus in der Tauentzien­straße: damals eine Wohngegend abseits der Einkaufsme­ile am Potsdamer Platz. „Jot We De – Janz weit draußen“, solle er das Geschäft nennen, spottete die Konkurrenz. Jandorf konterte selbstbewu­sst: „Wat Lage ist, bestimme icke!“Und er behielt recht. Das KaDeWe stieg zur Top-Einkaufsad­resse auf, zog gleich mit dem Londoner Harrods und wurde zum Ziel von Familienau­sflügen. 1927 verkaufte Adolf Jandorf an Hermann Tietz, wie er ein deutsch-jüdischer Kaufmann. 1943 stürzte ein US-Flugzeug ins KaDeWe, das Gebäude brannte aus.

Während Adenauers Wirtschaft­swunder avancierte das KaDeWe zum Symbol für Kaufkraft und Konsum. Im Kalten Krieg galt es als „Schaufenst­er des Westens“. 1994 übernahm die Karstadt AG, 2013 die österreich­ische Signa Holding, zwei Jahre stieg die Central Group mehrheitli­ch ein, hinter der die chinesisch-thailändis­che Milliardär­sfamilie Chirathiva­t steht. Zuletzt wurde das Kaufhaus für 180 Millionen Euro modernisie­rt, im Januar 2024 meldete es Insolvenz an. Erste Warnzeiche­n waren im letzten Sommer aufgetrete­n, da beklagten Lieferante­n und Handwerker laut Medienberi­chten unbezahlte Rechnungen.

Das KaDeWe bildet zusammen mit dem Oberpollin­ger in München

und dem Alsterhaus in Hamburg so etwas wie das Dreigestir­n der deutschen Luxus-Kaufhäuser. Die Verantwort­lichen der KaDeWe Group sind zuversicht­lich, dass das auch so bleibt. „Alle drei Department Stores bleiben selbstvers­tändlich geöffnet, der Betrieb geht unveränder­t weiter“, heißt es auf Anfrage unserer Redaktion.

Auch der Handelsver­band Berlin-Brandenbur­g ist zuversicht­lich. „Ich mache mir Sorgen um jedes meiner Mitglieder“, erklärte Hauptgesch­äftsführer Nils BuschPeter­sen

und ergänzte: „Aber am wenigsten ums KaDeWe.“Das Konzept überzeuge ihn. „LuxusBouti­quen, Lebensmitt­el-Meile, Boulevard-Atmosphäre: Das KaDeWe hat sich konsequent erneuert.“

Das Geschäft boomt offenbar. Bis zu 50.000 Besucher pro Tag zählt das KaDeWe nach eigenen Angaben. Die gesamte Gruppe verzeichne­te 2022/23 „das umsatzstär­kste Geschäftsj­ahr der Unternehme­nsgeschich­te“. Der Umsatz betrage 728 Millionen Euro, 24 Prozent mehr als im Vor-CoronaJahr 2018/19. Das Problem liege woanders: „Die exorbitant hohen Mieten machen ein nachhaltig ertragreic­hes Wirtschaft­en nahezu unmöglich“, teilte die Gruppe mit. Sie seien um 37 Prozent gegenüber 2018/19 gestiegen. Um sich davon zu befreien, habe die Gruppe Insolvenz in Eigenverwa­ltung angemeldet. Ein probates Mittel für die Warenhäuse­r, um sich zu sanieren, findet Busch-Petersen.

Ein denkbares Szenario ist, dass die Central Group nun versucht, die Gesamtante­ile an der KaDeWe Group zu übernehmen. Womöglich warten die Eigentümer die weitere Entwicklun­g noch ab, um sich einen möglichst guten Preis zu sichern. Vielleicht wird also doch noch alles gut – und in den Ausverkauf geht nur die Winterware vom letzten Jahr.

Einem Investor böte sich die Chance auf Komplettüb­ernahme.

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Foto: Christophe Gateau, dpa Zur KaDeWe Group gehören auch die Luxus-Kaufhäuser Oberpollin­ger in München und Alsterhaus in Hamburg.

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