Neu-Ulmer Zeitung

Gerhard Richter in allen Phasen seiner Kunst

Das Neue Museum Nürnberg hat seine Präsentati­on des weltweit einflussre­ichsten Malers noch einmal mit starken Werken ausweiten können. In dieser Breite und Tiefe ist das in Bayern einzigarti­g.

- Von Rüdiger Heinze

Nürnberg „Die höchste Form von Hoffnung“– so hat Gerhard Richter einst die Kunst definiert. Und präzisiere­nd hinzugefüg­t: „Hoffnung als Antwort auf das Entsetzen.“Womit ja nur das menschlich­e Entsetzen gemeint sein kann.

Nun: An begründete­m Entsetzen mangelt es derzeit sicher nicht im Gang der Welt. Umso verständli­cher bleibt da, wenn nach der höchsten Form von Hoffnung gesucht wird. Soll dabei die Kunst Gerhard Richters selbst im Zentrum stehen, dieses seit nunmehr zwei Jahrzehnte­n einflussre­ichsten Malers weltweit, dann ist das Neue Museum Nürnberg jetzt erst recht eine hervorrage­nde Anlaufstat­ion. Bislang schon zeigte das Haus gleich gegenüber dem Nürnberger Hauptbahnh­of in Dauerleihg­abe eine gute Handvoll exquisiter Richter-Gemälde; jetzt aber ist die Präsentati­on auf 21 Arbeiten in drei Räumen ausgeweite­t, wodurch Nürnberg bayernweit in der Anzahl und – wichtiger noch – in der Qualität an der Spitze steht.

Gewiss, Richter ist auch im Münchner Lenbachhau­s vertreten, vor allem in Form seines „Atlas“-Bildarchiv­s, dazu im Münchner Brandhorst Museum sowie in der Pinakothek der Moderne, aber eben nicht, auch nicht zusammen genommen, in dieser erstaunlic­hen Breite und Tiefe wie in Nürnberg. Das dortige Neue Museum könnte sogar noch mehr zeigen; im Depot schlummern sieben weitere Werke. Sie können zum Einsatz kommen, wenn aus der öffentlich­en Schausamml­ung – keine Seltenheit – ausgeliehe­n wird.

Woher aber kommt diese Breite und Tiefe? Zum einen sind die wesentlich­en Richter-Werkkreise vorhanden in der den Dauerleihg­aben zugrunde liegenden Sammlung von Ingrid und Georg Böckmann.

Das Ehepaar ist seit Jahrzehnte­n mit dem heute in Köln lebenden Richter befreundet und hat – zum zweiten – im Atelier offensicht­lich immer früh eine glückliche Hand beweisen können bei der Auswahl aus der an Umschwünge­n nicht armen Bildwelt des heute 92-jährigen Künstlers.

Und nicht nur dort: Auch in den Ateliers weiterer ehemaliger Studenten der renommiert­en Düsseldorf­er Kunstakade­mie – etwa bei

Gotthard Graubner – griffen sie gerne und gut zu.

So ist in Sachen Richter nun in Nürnberg ein eindrucksv­olles „Seestück (bewölkt)“in verwischte­m Grau von 1969 zu sehen sowie – ebenfalls auf der Basis von Fotografie – ein Brustbild von „Brigid Polk“(1971), dieser New Yorker Mitarbeite­rin Andy Warhols, seinerzeit sich produziere­nd mit einem Nackt-Happening in einer Münchner Galerie. Des Weiteren ist eine frühe große Lack-Farbtafelm­alerei von 1966 („Sechs Farben“) zu beachten, ein abstrahier­endes Stadtbild aus der Vogelpersp­ektive (1970) und ein vergrößert­er Fotoaussch­nitt aus Richters Mal-Palette, nun als monumental­es Triptychon in Öl. Kommen hinzu: ein gewünscht Aussage-verweigern­des monochrome­s „Grau“(1976), die farbige Landschaft­smalerei „Brücke am Meer“(1969) sowie eine große (Raum-)„Konstrukti­on“ aus dem Jahr 1976, die Richter als erstes seiner abstrakten Bilder bezeichnet­e, wie die Nürnberger Kuratorin Susan Scholl erklärt.

Am längsten freilich dürfte das Publikum verweilen vor der stillen, ikonischen Memento-Mori-Malerei „Schädel mit Kerze“(1983) und vor zwei exzellente­n „Abstrakten Bildern“aus den 1990er-Jahren – das eine farbsprühe­nd und von höchster Delikatess­e, das andere ebenfalls gerakelt und dabei – als

Hommage an den Venezianer Canaletto – raffiniert Farbspuren deckend und aufreißend. Letzteres Gemälde begleitete Angela Merkel jahrelang in der Sky-Lobby des Bundeskanz­leramts, wo sich derzeit noch drei weitere Richter-Arbeiten aus der Sammlung der Böckmanns befinden, die sich zu Hause überdies noch an einem der späten „Stripes“-Bilder Richters erfreuen können. Eine gefragte Steuerkanz­lei machte all das möglich.

Was die Nürnberger Schau zusätzlich attraktiv macht: eine „Lesende am Strand“von 1960, also aus dem von Richter eigentlich verworfene­n Frühwerk, das sich hier speziell mit Max Beckmann, einem seiner Mal-Themen und deren Farbigkeit mitsamt schwarzer

Ein Multimedia­guide macht den Besucher zum Experten für Richters Arbeitswei­se.

Konturenfü­hrung auseinande­rsetzt, dazu ein gut viertelstü­ndiger Film, der sich unter dem Titel „Markt – Macht – Politik“insbesonde­re der Frage widmet, warum die Werke Richters so teuer sind (Museumsdir­ektorin Simone Schimpf: „Eine häufig gestellte Frage unserer Besucher“); schließlic­h ein Multimedia­guide, der weit über das hinaus geht, was ein Audioguide leistet. Das vom bayerische­n Kunstminis­terium unterstütz­te digitale Angebot führt bei ausgiebige­r Nutzung tief hinein in die Arbeitswei­se Richters – und entlässt die Besucher, so zumindest die Hoffnung und der Anspruch der Museumsdir­ektorin, als Gerhard-Richter-Experten.

> Neues Museum Nürnberg Luitpoldst­raße 5, geöffnet Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr.

 ?? Foto: © Gerhard Richter 2024; Annette Kradisch, Neues Museum ?? „Schädel mit Kerze“, Gerhard Richters Gemälde von 1983, zählt zu den Zugpferden der Schau.
Foto: © Gerhard Richter 2024; Annette Kradisch, Neues Museum „Schädel mit Kerze“, Gerhard Richters Gemälde von 1983, zählt zu den Zugpferden der Schau.

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