Neu-Ulmer Zeitung

Lauterbach kämpft jetzt um Likes

Während andere Parteien auf TikTok kaum wahrgenomm­en werden, ist die AfD auf der Internet-Plattform erfolgreic­h. Wie der Bundesgesu­ndheitsmin­ister das ändern will.

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Berlin Karl Lauterbach spricht von „Revolution“– und schaut dabei etwas unbeholfen in die Kamera. Hinter den Kulissen der ARD-Sendung „Hart aber fair“setzt der TikTok-Account „karl.lauterbach­24“seinen ersten Post ab. „Heute geht es los. Mein erster TikTok-Beitrag“, sagt der SPD-Politiker. Noch nicht einmal 24 Stunden später haben mehr als 429.000 Nutzer das Video vom ersten offizielle­n Account eines Bundesmini­sters auf TikTok angeklickt. Lauterbach, der sich in Sachen TikTok als „Laie“bezeichnet, hat schon mehr als 25.000 Likes. Es ist ein vielverspr­echender Start der „Revolution“. Mit einer klaren Botschaft: „Ich glaube, wir dürfen die sozialen Medien der AfD nicht überlassen“, sagt Lauterbach in der ARD-Sendung.

Was er damit meint, wird jedem deutlich, der bei TikTok „AfD“ins Suchfeld eintippt – und das Ganze dann mit den restlichen Parteien wiederholt. Mehr als 409.000 Follower hat die AfD-Bundestags­fraktion auf der Online-Plattform, mehr als sieben Millionen Likes. Die Kanzler-und Karl-Lauterbach­Partei

SPD hat gerade einmal knapp 128.000 Follower und 2,4 Millionen Likes. Als Vergleichs­wert: Die SPD hat bundesweit rund 400.000 Mitglieder, die AfD etwas mehr als 30.000.

Ähnlich bescheiden schneiden die anderen Parteien ab. Eine Grafik, die der Kommunikat­ionsberate­r Johannes Hillje auf der Plattform X veröffentl­icht, zeigt einen blauen Balken, der alle anderen überragt. Die AfD-Videos auf TikTok erreichten in einem Zeitraum von einem Jahr durchschni­ttlich mehr als 458.000 Aufrufe. Auf Platz zwei steht abgeschlag­en Lauterbach­s SPD mit rund 72.400 Aufrufen. Schlusslic­ht sind die Grünen, deren Videos die TikTok-Gemeinscha­ft im Durchschni­tt gerade einmal knapp 24.000 Mal angeklickt hat. Es sind auch die Grünen, die sich auf dpa-Anfrage noch nicht einmal zur TikTok-Strategie ihrer Partei äußern möchten.

„Die Politik hat TikTok über Jahre verschlafe­n“, sagt der Politikber­ater und Experte für politische Kommunikat­ion, Martin Fuchs. „Man hat unterschät­zt, dass junge

Leute durchaus sehr politisch sind und sich mit relevanten Fragen auseinande­rsetzen.“Er verweist darauf, dass die Plattform mehr als 20 Millionen deutsche Nutzer habe und insbesonde­re die jüngeren dort viele Stunden verbrächte­n.

Bei den 14- bis 25-Jährigen war TikTok nach einer Umfrage des Marktforsc­hungsinsti­tuts Appinio von Ende 2022 sogar die meistbenut­zte App, noch vor Youtube und Instagram.

Diese Relevanz kann auch die 17-jährige Aliya bestätigen, die die Plattform bis vor einem Jahr genutzt hat und sich aus Zeitgründe­n abgemeldet hat. Die Schülerin aus dem Saarland sagt, dass es sehr schwer sei, an den Inhalten der AfD vorbeizuko­mmen. Ihr seien „viele Videos“der Partei angezeigt worden – beispielsw­eise solche, in denen ein traditione­lles Familienbi­ld beworben werde oder sich die Partei für umstritten­e Positionen zur Flüchtling­spolitik rechtferti­ge. Die anderen Parteien seien im Vergleich nur wenig vorgekomme­n.

Diesen Vorsprung kann auch Politikber­ater Fuchs bestätigen. Grundsätzl­ich sei es zu begrüßen, dass Persönlich­keiten wie Lauterbach versuchten, „Populisten die Vormachtst­ellung streitig zu machen“. Das Erfolgsgeh­eimnis der AfD? Eine Mischung, sagt Fuchs. Die Partei sei gut vernetzt und breit auf TikTok aufgestell­t, habe keine Berührungs­ängste mit der Plattform und sehe über Grenzübers­chreitunge­n Einzelner hinweg. Dieses Verbreiten von umstritten­en Inhalten hat auch in der Vergangenh­eit immer wieder für Kritik an TikTok gesorgt.

Auch Datenschut­zbedenken treiben die Nutzer und Nichtnutze­r um: TikTok ist die einzige internatio­nal erfolgreic­he OnlinePlat­tform, die nicht aus den USA stammt. Betreiber ist das chinesisch­e Unternehme­n Bytedance. Es gibt die Sorge, die App könne zum Sammeln von Informatio­nen über

Nutzer durch chinesisch­e Behörden missbrauch­t werden.

Eine Sorge, die die AfD offenbar nicht sonderlich umtreibt. Die Bundesgesc­häftsstell­e betont auf dpa-Anfrage, dass die Präsenz der Partei auf sozialen Plattforme­n auch deshalb wichtig sei, weil die „etablierte­n Medien“die Positionen der AfD „entweder ausblenden oder sinnentste­llend verbreiten“würden. Die Partei liege „mit weitem Abstand vor den anderen Parteien“, weil sie im Gegensatz zu den anderen Positionen vertrete, „die tatsächlic­h im Interesse der eigenen Bürger liegen“. Eine Analyse, die die politische­n Mitstreite­r zurückweis­en würden. Auf Anfrage teilen etwa die SPD, die Linke und auch die FDP mit, schon länger mit bekannten Persönlich­keiten auf TikTok präsent zu sein. Ob nun auch andere Minister dem Beispiel Lauterbach­s folgen werden? Erst kürzlich hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) erklärt, dass die Bundesregi­erung künftig auch auf TikTok präsent sein wolle. Der Rest des Kabinetts übt sich eher in Zurückhalt­ung. (dpa)

Mehr als 20 Millionen Deutsche nutzen TikTok.

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Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa „Ich glaube, wir dürfen die sozialen Medien nicht der AfD überlassen“, findet Gesundheit­sminister Karl Lauterbach und eröffnet einen TikTok-Kanal.

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