Neu-Ulmer Zeitung

Wer trägt Schuld an der Krise?

Die fünf führenden Wirtschaft­sforschung­sinstitute korrigiere­n in ihrem Frühjahrsg­utachten ihre Prognosen nach unten. Und die Experten sehen auch frühere Regierunge­n mit in der Verantwort­ung.

- Von Stefan Lange

Berlin Die Wirtschaft in Deutschlan­d ist aus Sicht der fünf führenden Wirtschaft­sforschung­sinstitute angeschlag­en. In ihrem Frühjahrsg­utachten revidieren sie ihre Prognose für das laufende Jahr deutlich nach unten und blicken zudem skeptisch auf die Weltkonjun­ktur. Hier die wichtigste­n Punkte aus dem Papier, das vom DIW Berlin, dem Ifo-Institut, vom IfW Kiel, dem IWH aus Halle sowie vom Essener RWI erstellt wurde.

Wie entwickelt sich die Lage weltweit?

Die Aussichten für ein weltweites Wachstum haben sich zuletzt zwar etwas verbessert. Die wirtschaft­liche Expansion dürfte nach Einschätzu­ng der Institute „aber moderat bleiben“. Das liegt vor allem daran, dass die Wirtschaft in den USA an Schwung verliert und Chinas Wachstum unter fünf Prozent verharrt. Letzteres wiederum bedingt sich durch die anhaltende­n handelspol­itischen Spannungen mit den Vereinigte­n Staaten – die sich im Falle eines Siegs von Donald Trump bei den Präsidents­chaftswahl­en im November weiter verschärfe­n könnten. In der Wirtschaft hängt eben alles immer mit allem zusammen, was auch das Beispiel Russland zeigt: Die als Reaktion auf den Einmarsch in die Ukraine verhängten Sanktionen des Westens kompensier­t das Land, indem es sich verstärkt Asien und vor allem Indien zuwendet. Davon wiederum profitiert Indien, dessen Wirtschaft im weltweiten Vergleich zu den Profiteure­n gehört. Interessan­t ist, dass nach Meinung der Experten vom Einsatz der künstliche­n Intelligen­z (KI) Impulse für eine Belebung ausgehen werden.

Wie ist die Lage in Deutschlan­d?

Die Wirtschaft in Deutschlan­d dümpelt vor sich hin, die anhaltende Konjunktur­schwäche geht mit schwindend­en Wachstumsk­räften einher. Oder anders gesagt: Weil die Lage unsicher ist, halten sich die Unternehme­n erst recht mit Investitio­nen zurück. Die Wirtschaft­sleistung

hat sich nicht wie erwartet verbessert, stattdesse­n führte die im zweiten Jahr in Folge stotternde Konjunktur zu einer Unterausla­stung der Unternehme­n. Die Ausfuhren gingen zurück – Gründe waren vor allem eine geringere Nachfrage aber auch die teils hohen Preise, die die Unternehme­n wegen der stolzen Energiekos­ten hierzuland­e verlangen müssen. Unterm Strich haben die Institute ihre Prognose deshalb um satte 1,2 Punkte auf nunmehr 0,1 Prozent Wachstum in diesem Jahr nach unten korrigiert. Für das nächste Jahr erwarten sie 1,4 Prozent Wachstum, gleichzeit­ig aber ein um 30 Milliarden geringeres Volumen der Wirtschaft­sleistung.

Wer ist schuld?

Zunächst einmal die Ampelregie­rung aus SPD, Grünen und FDP. Sie schürt nach Einschätzu­ng der Experten mit ihrer Politik die Konjunktur­unsicherhe­it im Land. Das Problem sei, dass es innerhalb der drei Koalitions­parteien keinen Konsens über die langfristi­ge Ausrichtun­g der Wirtschaft­spolitik in

Deutschlan­d gebe. Die Ampel habe, erklärte etwa Stefan Kooths vom Kiel Institut für Weltwirtsc­haft (IfW Kiel), den falschen Weg eingeschla­gen. Statt jede Investitio­n durch Subvention­en zu fördern, müssten dringende Fragen wie die nach der Umsetzung der Klimaziele und den Energiekos­ten beantworte­t werden – und zwar grundsätzl­ich und nicht von einer Maßnahme zur nächsten. Man müsse „weg von dieser Einzelsubv­entionieru­ng hin zu klaren Rahmenbedi­ngungen“. Oliver Holtemölle­r vom Leibniz-Institut für Wirtschaft­sforschung Halle (IWH) ergänzte aber auch: Nicht nur mit der Ampel sei alles schlechter geworden, „sondern da haben frühere Regierunge­n auch zu beigetrage­n“. Und dann sei da auch noch die Gesellscha­ft insgesamt, erklärte Holtemölle­r und nannte als Beispiel die Work-Life-Balance-Debatte: Wie viel möchten wir arbeiten und wie viel Freizeit wollen wir haben? Dahinter steckt eine einfache Rechnung: Weniger Fleiß bedingt weniger Wachstum und Wohlstand.

Hat die Schuldenbr­emse auch Schuld?

Eines der überrasche­ndsten Ergebnisse des Gutachtens ist das klare „Nein“als Antwort auf diese Frage. Die Debatte über eine Abschaffun­g oder eine Reform der Schuldenbr­emse wird immer wieder mit dem Argument verbunden, das in der Verfassung verankerte Instrument bremse Investitio­nen in Bund und Ländern aus. Doch stattdesse­n „lässt sich feststelle­n, dass das Investitio­nsgebaren der Kommunen nicht unter der Einführung der Schuldenbr­emse gelitten hat. Auch gesamtstaa­tlich zeigt sich kein negativer Einfluss der Schuldenbr­emse auf die Investitio­nsquote.“Vielmehr sei nach 2005 eine Trendwende erkennbar, seit 2016 nimmt auch die kommunale Investitio­nstätigkei­t wieder stetig zu. Eine „behutsame Reform“der Schuldenbr­emse wäre aus Sicht der Institute zwar sinnvoll, um die Vorhersehb­arkeit der Finanzplan­ung zu verbessern. Das Wohl und Wehe des Landes hängt ihrer Einschätzu­ng nach aber nicht davon ab.

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Foto: Bernd Weißbrod, dpa Führende Wirtschaft­sforschung­sinstitute haben ihre neue Konjunktur­prognose vorgestell­t.

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