Neu-Ulmer Zeitung

Deutlich mehr rechte Straftaten

20 Prozent mehr Delikte in Bayern. Das Allgäu ist ein Hotspot

- Von Jonathan Lindenmaie­r

Ende der 1920er-Jahre in der Wagnerstra­ße 14, Maria Herbst zwei Nummern tiefer in der 12. Beide erinnern sich noch gut an den nahen Spielplatz: „Da waren zwei Sandkästen, ein Planschbec­ken und in der Mitte das Milchhäusl­e, da gab es sogar Eis.“Im nahen Milchladen holten die Mädchen mit eigenen Kannen Milch für ihre Familien.

Nun also das Wiedersehe­n. Kurz davor ist den Damen die Aufregung anzumerken. Hildegard Rüb ist sich unsicher: Ob sie mich überhaupt noch erkennt? Ist da überhaupt eine gemeinsame Erinnerung? Maria Herbst rätselt ob des Namens „Rüb“der angebliche­n Kindheitsf­reundin: „Ich bin gespannt.“Als ihr die Betreuerin auf dem Weg durch das Heim den Geburtsnam­en „Hauck“verrät, dämmert es sofort: „Ja klar, die Haucks Hildegard!“Die von nebenan, die mit dem bekannten Ledergesch­äft.

Und dann die Sekunden der ersten Begegnung nach so langer Zeit: Strahlen in beiden Gesichtern, Hildegard Rüb ergreift sofort die Hände „ihrer“Maria, drückt sie fest, „ja gibt’s das denn“, um kurz zu stoppen: „Ich darf doch Maria sagen, oder?“Was Maria Herbst nur recht ist, auch sie freut sich riesig, ihre Hildegard zu sehen. „Ich hätte sie sofort erkannt, auch wenn wir uns zufällig in der Stadt begegnet wären.“

Die folgenden zweieinhal­b Stunden vergehen wie im Flug – so viel haben sich die 100-Jährige und die 99-Jährige zu berichten, so viele Erinnerung­en auszutausc­hen: über Mitbewohne­r in ihren Häusern, die böse Ordensschw­ester im kamen die Familien in Notquartie­ren unter. In den Stadtteil der Kindheit kehrten allerdings nur die Haucks zurück, Rübs drei Brüder bauten nach Ende ihrer Kriegsgefa­ngenschaft das zerstörte Haus in der Wagnerstra­ße und das Elternhaus in der Sterngasse auf. Dort eröffneten die Brüder auch das Ledergesch­äft wieder. Im Haus in Grombühl lebte Hildegard Rüb bis vor fünf Jahren, bis dahin konnte sie sich allein versorgen.

Was beide Rentnerinn­en teilen: Sie haben keine eigenen Kinder. An sozialen Kontakten fehlt es ihnen dennoch nicht. Hildegard Rüb wird regelmäßig von Neffen und Nichten zum Essen abgeholt, Maria Herbst trifft sich noch monatlich mit anderen Seniorinne­n und Senioren zum Stammtisch. Wie man bis ins zarte Alter von 100 Jahren geistig und körperlich so fit bleibt? „Dafür gibt es kein Rezept“, sagen beide unisono. Außer vielleicht: beweglich bleiben, im Kopf und in den Gliedern. Und der Humor: Hildegard Rüb und Maria Herbst finden immer etwas zum Lachen. Ab sofort auch wieder gemeinsam.

München Die Zahl der Straftaten mit rechtem Hintergrun­d hat in Bayern um mehr als 20 Prozent zugenommen. Verzeichne­ten die Sicherheit­sbehörden in den Jahren 2021 und 2022 noch etwa 2500 Delikte, stieg der Wert im vergangene­n Jahr auf 3055 an. Das teilte das bayerische Innenminis­terium auf Anfrage unserer Redaktion mit.

Besonders viele Straftaten verzeichne­te das Landeskrim­inalamt im oberbayeri­schen Rottal-Inn, in Amberg in der Oberpfalz, aber beispielsw­eise auch in Würzburg oder im Allgäu – dort vor allem in den kreisfreie­n Städten Lindau und Memmingen.

Als rechte Straftat ist ein Delikt dann gelistet, wenn es aus einem rechten Motiv heraus begangen wurde oder wenn die Ermittleri­nnen und Ermittler beim Täter eine rechte Orientieru­ng feststelle­n. Nicht in dieser Statistik erfasst sind Delikte, die dem Milieu der Reichsbürg­er zugeordnet werden, 375 waren es im vergangene­n Jahr.

Das bayerische Innenminis­terium nennt im Wesentlich­en zwei Gründe für den Anstieg: Der Krieg in Nahost und die Anschläge der Hamas vom 7. Oktober. „Auch innerhalb der rechten Szene wurden die Terroransc­hläge thematisie­rt und haben einen Fokus sowohl auf den Staat Israel als auch auf Antisemiti­smus bedingt“, sagte ein Sprecher. Der Krieg sorgte zuletzt für einen Anstieg der antisemiti­schen Straftaten, die auch religiös motiviert waren. Nicht zuletzt schlägt sich die Landtagswa­hl auch in den Fallzahlen, insbesonde­re durch Propaganda­delikte sowie Sachbeschä­digungen, beispielsw­eise Schmierere­ien auf Wahlplakat­en, nieder.

Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Die Zahl der extremisti­schen Straftaten aus dem rechten Spektrum ist gesunken. Darunter fallen Delikte, die auf die Abschaffun­g der freiheitli­ch demokratis­chen Grundordnu­ng zielen. Lag diese Zahl in Bayern 2022 noch bei über 700, waren es im vergangene­n Jahr 476 Delikte.

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