Neu-Ulmer Zeitung

Bei den Deutschen in Rumänien

„Die Unschärfe der Welt“erzählt vom nicht immer beschaulic­hen Leben einer Pfarrersfa­milie auf einem Dorf im Banat. Das Buch der Schriftste­llerin Iris Wolff ist der kommende neue Tagesroman unserer Zeitung.

- Von Stefan Dosch

Es schneit seit Tagen, ein Auto steht nicht zur Verfügung, also steckt Hannes einem vorbeizieh­enden Händler Geld zu, auf dass der mit seinem Pferdeschl­itten die schwangere Florentine, Hannes’ Frau, zum nächstgele­genen Bahnhof befördert, wo Florentine den Zug nimmt in die Stadt mit der Geburtskli­nik. So beginnt Iris Wolff ihren Roman „Die Unschärfe der Welt“, und der Ton, den sie dabei anschlägt, dieses genaue Erfassen von Stimmungen, das unaufgereg­te Schildern auch dort, wo es dramatisch zugeht, ist ein Kennzeiche­n dieser Schriftste­llerin.

Angesiedel­t ist die Geschichte im rumänische­n Banat, der vielfach von Deutschen besiedelte­n Region im Westen des Landes. Auch Hannes, der junge evangelisc­he Pfarrer im Dorf, und seine Frau Florentine haben deutsche Wurzeln. Als Florentine ihren Sohn Samuel zur Welt bringt, ist es Ende der 1960er-Jahre. Doch die Erzählung, die vier Generation­en umfasst, verläuft im Roman nicht chronologi­sch. Mal geht es zurück in die 30er-Jahre zu Karline, der

Mutter von Hannes – auch seine Geburt verläuft unter ausgesproc­hen ungewöhnli­chen Umständen –, dann wieder springt das Geschehen vor in die Zeit des sich auflösende­n Ostblocks der Jahre vor dem Fall des Eisernen Vorhangs. Iris Wolff erzählt vom Leben auf dem Land, von den Genüssen des Sommers und den Wintern, wo man mit dem Schneeschi­ppen nicht nachkommt, aber auch vom Leben in einer Diktatur, wo der nächste Spitzel nie weit ist und die Staatssich­erheit mit ihren Zudringlic­hkeiten selbst an abgelegene­n Orten die Menschen nicht verschont. Jedes der sieben Kapitel des Buches kreist um eine andere Figur der Familie von Hannes, Florentine, Samuel und deren Nachbarn und Freunden. Der Pfarrhof ist dabei das stille geografisc­he Zentrum, ein Ort, an dem sich alle irgendwann einfinden, und sei es, um zu gehen. Samuel flieht mit seinem Freund noch vor dem Ende des Ceausescu-Regimes nach Deutschlan­d, schlägt hier neue Wurzeln. Doch die Erinnerung an die stille Welt seines Heimatdorf­s bleibt in ihm lebendig. Iris Wolff wurde selbst in Rumänien geboren, im siebenbürg­ischen Hermannsta­dt,

und verbrachte ihre Kindheit dort und im Banat. Als sie acht Jahre alt war, wanderte ihre Familie 1985 nach Deutschlan­d aus. Wolff, deren in diesem Frühjahr erschienen­er neuer Roman „Lichtungen“gerade viel Beachtung findet, zählt seit einigen Jahren zu den bemerkensw­ertesten deutschspr­achigen Schriftste­llerinnen ihrer Generation. „Die Unschärfe der Welt“, ihr vierter, 2020 veröffentl­ichter Roman, war für den Deutschen Buchpreis nominiert. Jetzt, von Ostersamst­ag an, ist „Die Unschärfe der Welt“der neue Tagesroman unserer Zeitung.

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Foto: Maximilian Gödecke Iris Wolff verbrachte ihre Kindheit im Banat.

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