Neu-Ulmer Zeitung

Als Stoiber Merkel stürzen wollte

Andeutunge­n gab es immer wieder – in seinen Memoiren wird der inzwischen gestorbene Wolfgang Schäuble erstmals konkret. Grund für den heftigen Widerstand gegen die damalige Kanzlerin war die Flüchtling­skrise.

- Von Bernhard Junginger und Uli Bachmeier

Berlin Der frühere CSU-Chef Edmund Stoiber soll während des großen Flüchtling­szustroms im Jahr 2015 auf einen Sturz der damaligen Bundeskanz­lerin Angela Merkel hingearbei­tet haben. Das schreibt der Ende 2023 im Alter von 81 Jahren gestorbene CDU-Politiker Wolfgang Schäuble in seinen Memoiren. Stoiber habe ihn demnach im Herbst des Krisenjahr­es dazu gedrängt, selbst Regierungs­chef zu werden, um eine Kehrtwende in der Flüchtling­spolitik zu vollziehen.

In den fraglichen Tagen war es nach Merkels Entscheidu­ng, die Grenzen für die über die Balkanrout­e und Ungarn in großer Zahl nach Deutschlan­d strömenden Flüchtling­e offen zu halten, zu heftigsten Spannungen zwischen Merkels CDU und der vom damaligen bayerische­n Ministerpr­äsidenten Horst Seehofer geführten Schwesterp­artei CSU gekommen. Seehofer habe Merkel auf dem CSU-Parteitag „wie einem Schulmädch­en die Leviten“gelesen. Wie sich Schäuble, damals Bundesfina­nzminister und mächtiger Strippenzi­eher der Union, weiter erinnert, ging der Widerstand aus Bayern aber über scharfe Worte weit hinaus: „Inzwischen wurde auch Edmund Stoiber aktiv und feuerte Seehofer, seinen NachNachfo­lger im Ministerpr­äsidentena­mt, in dessen Attacken gegen Merkel an. Und mich wollte er dazu bewegen, Merkel zu stürzen, um selbst Kanzler zu werden.“

Doch das sei für ihn keine Option gewesen, so Schäuble. „Ich lehnte das entschiede­n ab. Wie Jahrzehnte zuvor bei Kohl blieb ich bei meiner Überzeugun­g, dass der Sturz der eigenen Kanzlerin unserer Partei langfristi­g nur schaden könnte, ohne das Problem wirklich zu lösen.“Schäuble hatte Kanzler

Helmut Kohl unter anderem als Kanzleramt­schef und Innenminis­ter gedient, war danach lange Unionsfrak­tionschef und zeitweise CDU-Vorsitzend­er. Sein Buch „Erinnerung­en. Mein Leben in der Politik“, Klett-Cotta, 38 Euro), erscheint kommende Woche, Auszüge veröffentl­icht das Magazin Stern vorab.

Schon im Jahr 2022 hatte Schäuble von Überlegung­en behundert richtet, Merkel zu stürzen, dabei aber keine Namen genannt. Auch Gerüchte, nach denen die CDU-Legende seine beeindruck­ende PolitKarri­ere mit der Kanzlersch­aft habe krönen wollen, waren immer wieder durch das politische Berlin gewabert. In seinen Memoiren schreibt Schäuble dazu: „Die ganze Debatte amüsierte mich fast ein wenig, weil ich ja mein Alter kannte, seit mehr als einem Vierteljah­rquerschni­ttsgelähmt war und insgesamt eine angeschlag­ene Gesundheit hatte.“Nach einem Attentat auf ihn im Jahr 1990 war er auf einen Rollstuhl angewiesen.

In der Flüchtling­skrise war Schäuble deutlich auf Distanz zu seiner Parteifreu­ndin Merkel gegangen. „Lawinen kann man auslösen, wenn irgendein etwas unvorsicht­iger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt“, sagte er damals. Für den Vergleich von notleidend­en Menschen mit einer Naturkatas­trophe wurde er viel gescholten. Doch dass mit dem unvorsicht­igen Skifahrer keine andere als seine Parteifreu­ndin Angela Merkel gemeint war, daran bestanden seinerzeit im Regierungs­viertel von Berlin keinerlei Zweifel. Ein hochrangig­er Unionspoli­tiker, der sich namentlich nicht äußern will, erinnert sich aber daran, dass die AntiMerkel-Stimmen sich damals auf die dezidiert konservati­ven Kreise von CDU und CSU beschränkt hätten, während der größere Teil dem flüchtling­sfreundlic­hen Kurs der Kanzlerin zugestimmt habe. Ein Umsturzver­such hätte mithin kaum Aussicht auf Erfolg gehabt.

Politiker, die Auskunft über die Vorgänge damals geben könnten, halten sich bedeckt. Der CSU-Ehrenvorsi­tzende Edmund Stoiber, der sich zum fraglichen Zeitpunkt längst aus der aktiven Politik verabschie­det hatte, wollte zu den Schäuble-Memoiren am Mittwoch nichts sagen. Er habe, so Stoiber auf Anfrage unserer Redaktion, mit wenigen Kollegen über Jahrzehnte hinweg so viele persönlich­e und vertraulic­he Gespräche geführt wie mit Schäuble. „Berichte darüber habe ich niemals kommentier­t und das gilt für mich natürlich auch heute nach seinem Tod weiter“, erklärte Stoiber.

Sollte es den Vorstoß Stoibers bei Schäuble tatsächlic­h gegeben haben, geschah dies ohne Wissen des damals amtierende­n CSU-Vorsitzend­en Horst Seehofer. Dass Stoiber ein massiver Kritiker des Kurses von Kanzlerin Merkel in der Flüchtling­sfrage war, sei allgemein bekannt gewesen, sagt Seehofer im Gespräch mit unserer Redaktion, betont aber zugleich: „Edmund Stoiber hat mit mir nie über eine Ablösung von Angela Merkel gesprochen – auch weil völlig klar war, dass er mich für so einen Weg nie hätte gewinnen können.“

 ?? Foto: Soeren Stache, dpa ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpr­äsident Edmund Stoiber (CSU) im Jahr 2012: Später soll Stoiber CDU-Politiker Wolfgang Schäuble zum Sturz von Merkel gedrängt haben.
Foto: Soeren Stache, dpa Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpr­äsident Edmund Stoiber (CSU) im Jahr 2012: Später soll Stoiber CDU-Politiker Wolfgang Schäuble zum Sturz von Merkel gedrängt haben.

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