Das Unglück der mittleren Jahre
Literatur Die Ehe am Kriseln, die Karriere am Stocken, und dann auch noch Ärger mit den Kindern und dem Hund – der neue Roman des Amerikaners Jonathan Safran Foer
Wenn der Ehemann jeden Abend noch einmal im Bad verschwindet mit einer dämlichen Ausrede, weil er noch heimlich seine Pille gegen Haarverlust schlucken möchte, was läuft dann eigentlich schief? Zumal, wenn die Pille auch noch eine echte Gefährdung fürs Sexleben darstellt? Eben! Dann steckt man vermutlich mittendrin in einer schwer kriselnden Ehe. Jacob und Julia heißen in diesem Fall die beiden einst sich Liebenden. Wenn der Roman von Jonathan Safran Foer beginnt, sind sie noch als Paar und Familie vereint. Nach außen hin ist also alles noch hui: schicke Jobs, er Autor, sie Innenarchitektin, drei schlaue Söhne, schickes Haus, zwei Autos und ein Hund. Mittelschichten-Idyll. Innen aber ist längst alles pfui. Wozu auch der Hund sein Teil beiträgt. Er verteilt seine riechende Hinterlassenschaft im ganzen Haus! Es stinkt also gewaltig im schicken Domizil der Familie Bloch in Washington D.C.
Jonathan Safran Foer galt einst mit Mitte zwanzig nach seinem Debütroman „Alles ist erleuchtet“als große Hoffnung der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Damals schrieb er über einen jungen Amerikaner, der auf der Suche nach seinen jüdischen Vorfahren durch die Ukraine reist. Ein Mittzwanziger auf Identitätssuche. Nun ist er 39 Jahre alt und damit in jenem mittleren Alter angelangt, in dem die eigene Familie nicht mehr nur Zukunftsvision ist, sondern Gegenwart. Oder auch, wie bei Jonathan Safran Foer, bereits wieder Vergangenheit. Seine Ehe mit der Schriftstellerin Nicole Krauss scheiterte vor zwei Jahren.
Wie viel von seinem eigenen Erleben im neuen Roman steckt, erklärt Foer im Buch selbst. „Das ist nicht mein Leben, aber das bin ich“, lässt er Jacob, ebenfalls Autor, über die von ihm geschriebene Fernsehserie sagen. „Hier bin ich“, so lautet auch der Titel seines nun dritten Romans, in dem Foer das private Debakel der Blochs in all seinen Verästelungen und genau beobachteten Alltagsszenen beschreibt. „Jacob und Julia hatten es geschafft, getrennt zusammenzuarbeiten: Du drehst eine Runde mit Argus, während ich Max bei den Mathehausaufgaben helfe, während du die Wäsche zusammenlegst, während ich den entscheidenden Legostein suche …“
Ein weiterer großer amerikanischer Ehe- und Familienroman also? jeden Fall ein gewaltiger, fast 700 Seiten dick. Aber so, wie man mit Jacob und Julia beim Scheitern dieser Ehe leidet, so schmerzt es zugleich, dass dieser Roman nicht so großartig geworden ist, wie er hätte sein können, dass Foer sein fein gezeichnetes Sittenbild einer amerikanisch-jüdischen Familie mit Dialogen überlädt. So, als seien Teile dieses Romans einst als Vorlage für eben jene Fernsehserie geschrieben worden, an die Jacob seit Jahren sein Talent verschenkt. Selbst Grundschulkinder wie das Jüngste der Blochs, der fremdwortverliebte Benny, sprechen so, als hätten sie das Skript eines professionellen Gagschreibers vor sich liegen, hantieren da im Übrigen schon lässig mit Worten wie „zölibatär“und stellen Fragen wie diese: „Warum ist Fallen das Epitom des Lebens?“Oder: „Der Klang der Zeit? Was ist damit passiert?“
Andererseits: Das, woran der Roman leidet, seine Dialoglastigkeit, macht wiederum seine Stärke aus, sein Dialogreichtum. Und zwar immer dann, wenn Foer zu einem authentischen Ton findet, zwischen Frau und Mann, zwischen Vater und Großvater, zwischen Cousin und Cousin. Dann ist es ein Genuss, all diesen irrsinnig schlagfertigen und geistreichen Blochs zuzuhören. Und sei es auch nur einem kleinen Geplänkel wie dem zwischen Jacob und seinem Vater Irv. „Nichts schafft sich von selbst aus der Welt“, erklärt Irv – „Fürze schon“, antwortet der erwachsene Sohn. Und der Vater erwidert: „Dein Haus stinkt, Jacob. Du riechst es nur nicht, weil es deines ist.“
Hochkomisch, tieftraurig, unglaublich berührend, extrem persönlich ... So liest sich dieser Roman auf weiter Strecke, sodass einem die Unzulänglichkeiten, die Übersetzungsfehler, von denen etliche seit dem Erscheinen bereits aufgespürt wurden, und manch offensichtliches Bemühen um Gewichtigkeit umso mehr ins Auge fallen. Wie zum Beispiel die fast hölzern wirkende ReAuf miniszenz an Leo Tolstois berühmtesten ersten Satz: „Alle glücklichen Morgen gleichen einander, wie auch alle unglücklichen Morgen, und dass sie so furchtbar unglücklich sind, hat folgende Ursache: Das Gefühl, dass man ein solches Unglück schon einmal erlebt hat…“
Das kleine private Unglück, Jonathan Safran Foer bettet es in ein viel größeres. Und erweitert mit einem gewagten Kunstgriff seinen Ehe- und Familienroman hin zur Dystopie. Just als die Ehe der Blochs ins Wanken gerät, ausgelöst im Übrigen durch anzügliche SMS, die das liebes- und lebenshungrige Weichei Jacob an eine Kollegin verschickt, bebt im Nahen Osten die Erde. Die muslimischen Staaten nutzen die Situation und lassen ihre Armeen gegen das durch Zerstörung geschwächte Israel aufmarschieren. Der israelische Ministerpräsident ruft alle Juden, auch in der Diaspora, zum Dienst an der Waffe auf. Auch der Cousin Tamir, der zur Bar-Mizwa von Blochs ältestem Sohn aus Israel angeflogen ist, fordert Jacob auf, mit ihm zurückzukehren und zu kämpfen. Jacob willigt tatsächlich ein – was Julia mit der hämischen Bemerkung quittiert: „Sie brauchen Männer.“
Und so ist „Hier bin ich“weit mehr als nur ein Roman übers Unglücklichsein in den mittleren Jahren. Jonathan Safran Foer beschreibt auch das Ringen um den eigenen Glauben, um die – wie im Falle Jacobs – jüdische Identität. „Hier bin ich“: Den Satz, mit dem Abraham im 1. Buch Mose seinem Gott antwortet, macht er zum Titel und Leitmotiv des Romans. Wenn schon nicht als Ehemann, dann zumindest als Vater wird Jacob dem Anspruch gerecht. Und auch als Hundeherrchen. Argus, sein alter Hund, kann bis zuletzt auf dieses sympathische Weichei zählen. Hier ist er, Jacob Bloch, nicht mehr und nicht weniger.
„Hier bin ich“, dieser vielschichtige Roman hätte also ein großes Glück sein können. Ein kleines aber ist er allemal.