Kulinarische Kollaboration
Fürst zu Oettingen Wallerstein Während des Krieges war der Jurist und Diplomat Kommandant auf der Kanalinsel Guernsey. Als er dort nach 1945 seine Sommerferien verbringen wollte, war er „herzlich willkommen“
Der Historiker Michael Stolle befand jüngst: „Hitler verjährt nicht.“Doch ja, er scheint sich unverändert gut zu verkaufen, dieser immerwährende deutsche Albtraum. Erst vor kurzem warf beispielsweise ein Verlag ein vierbändiges Werk mit schlappen 2430 Seiten Gesamtumfang über „Hitler/Das Itinerar/Aufenthaltsorte und Reisen von 1889 bis 1945“auf den Markt. Detaillistisch sind darin sämtliche Spaziergänge, Kutsch-, Straßenbahn- und Zugfahrten, Flug- und Schiffsreisen und jene Orte gelistet, wo sich der gewesene Wiener Obdachlose später zur Ruhe begab. Kostenpunkt der Wälzer: 399 Euro. „Nur“zweibändig, aber immerhin auch noch 1966 Seiten dick: die jetzt mit einem renommierten Wissenschaftspreis ausgezeichnete kommentierte Ausgabe von „Mein Kampf“.
Und nun also, vom Anspruch her unvergleichbar bescheidener, auch noch „Hitlers Inselwahn/Die britischen Kanalinseln unter deutscher Besetzung“. Ein Drama um Selbstbehauptung und Kollaboration im Ärmelkanal, angereichert um eine hübsche regionalgeschichtliche Dreingabe. Das Buch ruft nämlich eine bemerkenswerte historische Figur in Erinnerung: Eugen Fürst zu Oettingen-Wallerstein (kleines Bild), der auf Guernsey Kommandant war.
Doch nicht nur dieser Episode wegen sollte der Aristokrat aus dem Ries im Gedächtnis bleiben – er ist vor allem auch mit einer verzweifelten Intervention bei Reichspräsident Hindenburg im Schicksalsjahr 1933 zumindest in die bayerischen Geschichtsbücher eingegangen.
Dass deutsche Knobelbecher auf Guernsey und den drei anderen Kanalinseln Jersey, Sark und Alderney herumtrampeln konnten, beutete die Nazi-Propaganda weidlich aus. Denn der Archipel ist britisches Territorium. Er sollte als stark verbunkerter Vorposten des „Atlantikwalls“dienen. Praktisch lag da fünf Jahre in der Bucht von St.-Malo ein unsinkbares Schlachtschiff mit vielen Kanonen vor Anker. Am Lauf der Dinge änderte sich dadurch aber nichts – die Normannischen Inseln blieben im Windschatten des Weltkriegs.
Die deutsche Besetzung war weniger blutig als anderenorts. Sie provozierte keinen organisierten Widerstand – die Insulaner wollten den bissigen Hund nicht reizen. So konnten sie Repressalien vermeiden. Doch auch hier wurden Juden verfolgt; selbst ein KZ gab es. Unterernährung war an der Tagesordnung.
Der Autor des Buches – der studierte Historiker und Schauspieler Nettles („Inspector Barnaby“) – macht Wallerstein keinesfalls zur zentralen Figur der Neuerscheinung. Aber etliche Passagen lassen ahnen, wie heikel der Job eines Inselkommandaten sein konnte. Nettles schildert etwa, dass der Offizier eine Liste sanktionsbedrohter Bürger – darunter Juden – zusammenzustellen hatte. Andererseits konnte er in Konflikten gelegentlich mäßigend einwirken. Eher amüsant, dass der Fürst mit Standesgenossen der Inseln gelegentlich ein Glas Wein trank oder einen Hummer verspeiste – kulinarische Kollaboration, die London den Einheimischen nach 1945 durchaus übel nahm.
Der 6. Fürst und Herr zu Oettingen-Oettingen und Oettingen-Wallerstein, Graf von Oettingen-Baldern und Herr von Soetern, geboren 1885 und gestorben 1969, ist auf diffizile Aufgaben gut vorbereitet worden. Der Prinz studierte Jura, ließ sich zum Diplomaten ausbilden und war auch in politischen Dingen nicht unerfahren. Nach Referendariat und Jahren als Attaché in Petersburg und Paris machte er den Ersten Weltkrieg zunächst als Leutnant bei den Ulanen mit; zuletzt vertrat er das Auswärtige Amt beim Generalgouvernement in Warschau.
1923 berief ihn Kronprinz Rupprecht von Bayern zum Chef seiner Hof- und Vermögensverwaltung. Die Stunde des Thronprätendenten kam 1933 – er wollte Bayern zum Bollwerk gegen die Nazis machen. Deshalb versuchte er unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme im Februar 1933 in letzter Minute, die Gleichschaltung des Freistaats zu verhindern und die Monarchie als „kleineres Übel“wieder zu etablieren.
Der Wittelsbacher entsandte Oettingen-Wallerstein auf die ganz große Bühne, nach Berlin: Am 24. Februar – drei Tage vor dem Reichstagsbrand! – kreuzte der bei Hindenburg auf mit einem Brief Rupprechts in der Tasche. Inhalt: Er habe sich in schwerer Stunde entschlossen, „den Thron seiner Väter zu besteigen“, aber er werde als „Statthalter“nichts unternehmen, was die Reichseinheit gefährde.
Der Reichspräsident ließ Oettingen-Wallerstein kühl abblitzen. Er warnte ihn sogar vor einer Anklage wegen Hochverrats. Damit war der Weg für Hitlers Diktatur auch in Bayern endgültig geebnet.
Im Zweiten Weltkrieg gehörte Oettingen-Wallerstein zur Militärverwaltung in Frankreich. Von 1940 an amtierte er als Inselkommandant auf Guernsey. Die diesbezügliche Quellenlage ist dürftig. Doch stimmen alle verfügbaren Berichte darüber überein, dass er aus – nicht näher bezeichneten – „politischen Gründen“1942 abgelöst wurde.
Der heutige Fürst OettingenWallerstein ließ gegenüber unserer Zeitung keinen Zweifel, dass die Nazis den Monarchisten nicht gemocht, ihn vielmehr „gegängelt“hätten. Nach Darstellung des Chefs des Hauses berichteten ältere Familienangehörige von einem Streit mit der SS, bei dem es um Deportationen aus einem Altenheim auf Guernsey, um Befehlsverweigerung und Ohrfeigen gegangen sein soll.
Die Tatsache, dass der Rittmeister (Hauptmann) aus „politischen Gründen“abgelöst und vom Westen, wo man bis 1944 sprichwörtlich wie Gott in Frankreich lebte, an die bleihaltigere Ostfront abkommandiert wurde, lässt die Annahme nicht unplausibel erscheinen, dass er für die Nazis längst eine unerwünschte Person war. Sie wussten schließlich um seine Rolle 1933. Noch vor der Übernahme einer Ortskommandantur in Russland verunglückte der Offizier in Dnjepropetrowsk und wurde nach einer Behandlung im Lazarett Ende 1942 aus dem Wehrdienst entlassen.
Nach 1949 saß er für die BayernPartei im Bundestag. Er war auch stellvertretender Vorsitzender dieser Gruppierung und Chef des Verbandes der Grundbesitzer und der Vereinigung des Adels in Bayern.
Als Mitte der 60er Jahre auf Guernsey eine Anfrage des ehemaligen Inselkommandanten eintraf, ob er seine Sommerferien dort verbringen dürfe, brauchte er nicht lange auf Antwort zu warten: Die Einheimischen erinnerten sich, dass sich das Blaublut während der Okkupation durchaus nicht als „Boche“aufgespielt hatte, sondern auch in Uniform bemüht gewesen war, Mensch zu bleiben, mit dem man reden konnte. Jedenfalls erhielt Durchlaucht postwendend die Antwort: „Herzlich willkommen.“
Werner Reif
Auch hier wurden Juden verfolgt und gab es ein KZ