Neue Horizonte suchen
Freimaurer Seit sechs Jahren gibt es die Neuburger Loge „Freiheit am Finkenstein“. Was die beharrlich suchenden Brüder antreibt
Im Alltag fühlt Rüdiger Hackenberg den Menschen auf den Zahn. Und auch abseits seines Berufslebens geht der Zahnarzt gerne den Dingen auf den Grund. Der Mediziner ist Meister vom Stuhl der Neuburger Loge „Freiheit am Finkenstein“und damit Vorsitzender eines ziemlich außergewöhnlichen „Vereins“. Aus der Historie umgibt Freimaurer die Aura eines verschwiegenen Männerbundes, doch dieses Image hält Rüdiger Hackenberg für obsolet. Er sieht sich vielmehr als einen spirituell Suchenden.
Vor etwa zwölf Jahren habe er sich der Freimaurerei verschrieben, zunächst in der Ingolstädter Loge „Theodor zur Festen Burg“, erzählt der 46-Jährige. Doch irgendwann drängte es ihn, mit einer Schar Gleichgesinnter eine eigene Bruderschaft zu gründen. Heute gelten bei den Freimaurern nicht mehr alle ehernen Gesetze, es gibt auch Schwestern, doch in der Neuburger Loge sind nur Männer zugelassen. Die Gründungsversammlung der „Freiheit am Finkenstein“war vor sechs Jahren in Ingolstadt, ein Jahr später folgte die Lichteinbringung, die man sich nach einem Augenzeugenbericht etwa so vorstellen muss:
Flügeltüren öffnen sich und eine Schar Männer schreitet beinahe lautlos und andächtig aus dem halbdunklen Tempel. Über den schwarzen Anzügen tragen sie Schurze, manche ganz weiß, andere mit Rosetten verziert. Die Hände stecken in weißen Handschuhen. Still stellen sie sich vor der festlich ge- deckten Tafel auf, die behandschuhte Rechte ans Herz gelegt. An den Wänden hängen Ölgemälde, von denen streng ehemalige Meister der Loge blicken. An vielen Stellen im Saal kann man Abbildungen von Zirkel und Winkelmaß erkennen. Dann erscheinen zwei Brüder, die sich vom Rest der Teilnehmer durch besonders farbenprächtige Schurze und Abzeichen abheben. Nach einem kurzen Dankeswort an die Versammelten löst sich die Spannung und macht geschäftigen Vorbereitungen zum Abendessen Platz.
Seit diesem Ritual im März 2012 gilt der Neuburger Ableger als „vollkommene Loge“. Das Licht spielt in der Freimaurerei eine besondere Rolle, deshalb ist es für Neugründungen ein großes Ereignis, wenn es der Großloge überreicht wird. Der Ritus habe allerdings nichts mit Geheimniskrämerei zu tun, unterstreicht Rüdiger Hackenberg, es gehe um Traditionen. „Wir verbergen nichts, man kann alles irgendwo nachlesen.“Doch für Außenstehende umweht die Freimaurerei ein Hauch von Verschwörung, was mit den mysteriösen Aufnahmehandlungen und der verborgenen Tempelarbeit zur charakterlichen Bildung der Mitglieder zu tun haben mag. Die „alten Pflichten“von 1723 regeln die offizielle Initiation. Es wird nach Lehrlingen, Gesellen und Meistern unterschieden. Die Grade gehen einher mit der moralisch-geistigen Selbstfindung der Brüder, der symbolischen Arbeit am „rauen Stein“.
Wer Freimaurer werden will, muss selbst aktiv werden – und „ein freier Mann von gutem Ruf sein“, erklärt Rüdiger Hackenberg. „Man klopft bei einer Loge an und nimmt als Suchender an Veranstaltungen teil.“Danach entscheide die Loge, ob der Interessent dazu passe. „Es geht um Reflexion und Kontemplation. Das Ganze hat sicher eine esoterische Komponente“, ergänzt der Meister vom Stuhl. Die spirituelle Erfahrung mache aus einem Freimaurer einen besseren Menschen, die Mitglieder lebten streng nach den Idealen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. „Und wollen damit jeden Tag die Welt zu einem besseren Ort machen“, betont der Neuburger.
Wie viel Anziehung dieser Weg hat, zeigt die Zahl prominenter Freimaurer: Goethe, Lessing, Voltaire und Wolfgang Amadeus Mozart waren Logenbrüder, ebenso Herrschende und Politiker wie Friedrich der Große, George Washington und Winston Churchill und Kreative wie Louis Armstrong, Clark Gable oder Mark Twain. Doch Politik und Religion sind in den Logen tabu. Es geht nicht um Missionierung, sondern um Selbstfindung. Religion und Freimaurerei schlössen sich zwar nicht aus, sagt Rüdiger Hackenberg, doch der Kampf der Katholischen Kirche gegen die freimaurerische Lehre ist Legende. Und nach dem 1983 in Kraft getretenen Codex Iuris Canonici waren Freimaurer faktisch exvon kommuniziert. „Heute leben wir nur mehr in schwerer Sünde“, lächelt er und findet: „Als Freimaurer Atheist zu sein, ist schwierig. Es braucht schon eine gewisse Spiritualität.“
In säkularen Zeiten der allgemeinen Sinnsuche erfährt die Bewegung wieder mehr Zulauf. Im Dritten Reich verboten, erholte sich die Freimaurerei in Deutschland nach 1945 nur langsam, in der DDR war sie bis 1989 verboten. Heute existieren fünf Großlogen mit rund 15000 Mitgliedern, weltweit gibt es 4,5 Millionen Brüder. Im Freimaurerischen Hilfswerk engagiert sich die Bewegung auch sozial. Zwar legte schon der Wilhelmsbadener Kongress anno 1782 die Regeln einer seriösen Freimaurerei in Deutschland fest, die Legendenbildung blieb aber hartnäckig. Populärwissenschaftliche Autoren und Hobbyforscher haben das Ihre dazu getan, aus alten Mythen aberwitzige Theorien zu rühren, die die Freimaurerei in zweifelhaftem Licht erscheinen lassen. Eine moderate Öffnung soll die Bewegung nun greifbarer und seriöser machen. Die Neuburger Loge trifft sich zwei Mal im Monat in ihrem Tempel in Sinning, zur rituellen Tempelarbeit und aus gesellschaftlichem Anlass. „Wir sind an einem kontinuierlichen Wachstrum interessiert“, wirbt Rüdiger Hackenberg. Jedes Jahr ein neues Mitglied zu gewinnen, das die geistige Reife besitze, sei das Ziel.