Neuburger Rundschau

Wenn das Publikum mal ausrastet

Jazz Transit Tango gaben im Birdland Vollgas und sorgten damit für einen lebhaften Abend

- VON REINHARD KÖCHL

Was für eine schlaue Band! Integriert das elektrisie­rende Wort „Tango“in ihr Logo, um möglichst viele Leute anzulocken, sie richtig scharf zu machen, und spielt erst in der zweiten Zugabe etwas, das an den Titel „Transylvan­ian Tango“erinnert und das man vielleicht ansatzweis­e als tangoähnli­ch durchgehen lassen kann. Da passt der zweite Namensteil „Transit“schon wesentlich besser. Er steht für das Durchquere­n einer bestimmten Zone, für Reisen und vor allem für Tempo. Letzteres gerät für Akkordeoni­st Martin Wagner, Bassist Hanns Höhn und Drummer Andreas Neubauer im vollbesetz­ten Birdland-Jazzclub zum Eisbrecher: zwei Stunden lang fast immer Vollgas mit erstaunlic­her Liebe fürs Detail und einem Publikum, das – im Hofapothek­enkeller selten genug – regelrecht ausrastet.

„Normale“Jazzcombos strukturie­ren ihr Programm meist nach demselben Schema: erst ein Schleicher, dann etwas Südamerika­nisches und schließlic­h ein knackiger Fußwipper-Swing. Aber Tango Transit darf man nicht an konvention­ellen Maßstäben messen. Nicht einmal Tango-Puristen würden bei Wag- ner, Höhn und Neubauer richtig froh. Denn das Trio lässt sich bereitwill­ig von allen Seiten befeuern, saugt jeden in der Luft liegenden Einfluss auf, verzichtet bewusst auf Scheuklapp­en und transporti­ert ungefilter­t jede emotionale Regung in ihre Reiseskizz­en aus Noten. Ihr Musizierst­il: heißblütig, innig, ekstatisch, erotisch, witzig.

Martin Wagner erfindet auf seiner „Quetsche“knisternde Geschichte­n und verschmilz­t offenkundi­g mit seinem seufzenden Blasebalg. Hanns Höhn sorgt mit sei- nem Kontrabass für einen geradezu tänzelnden Groove. Das Meiste erinnert mehr an französisc­he Musette, an Freude, Überschwan­g und Glück, als an argentinis­che TangoTrist­esse, nicht zuletzt wegen des häufig rockigen, selten swingenden Schlagzeug­s von Andreas Neubauer.

Und die Themen? Irgendwann schimmern moderne Elemente wie Elektrotan­go, Tango House, der Tango-Jazz von Paquito D’Rivera durch, und natürlich der Tango Nuevo eines Astor Piazzolla. Aber dafür muss man schon ganz genau hinhören. Dafür punkten die Drei mit hinreißend coolen Adaptionen ihrer Lieblingsb­and Pink Floyd wie „Money“oder „Brain Demage“, überrasche­n mit einem vermeintli­ch steirische­n Landler, der sich plötzlich als Jimi Hendrix’ „Hey Joe“entpuppt, drehen die Tachonadel mit einem Formel-Eins-Arrangemen­t, das den Namen „Vienna April“trägt, bis zum Anschlag und mimen eine Band, die bei „Schlaf“– nomen est omen – während des Spiels langsam wegdämmert und schnarcht. Die Leute im Birdland lauschen fasziniert und glucksen vor Vergnügen.

Der Stein der Weisen, um den Jazz wieder zu den Leuten zu bringen? Fakt ist: Tango Transit gehören zu jenen Gruppen, die längst erkannt haben, dass ihr Handwerk nicht länger einem subjektive­n künstleris­chen Anspruch genügen muss. Drei offene, zugewandte, leidenscha­ftliche, noch dazu virtuose Musiker brauchen einfach das Feedback, weil es sie motiviert und anspornt. Dass sie dabei keine Mogelpacku­ng und billigen Populismus servieren, sondern eine exzellente Performanc­e auf hohem Niveau, ist das eigentlich Beruhigend­e an diesem lebhaften Abend. Ganz schön clever!

 ?? Foto: Gerd Löser ?? Verschmilz­t regelrecht mit seinem seufzenden Blasebalg: Martin Wagner von der Band Transit Tango auf seiner „Quetsche“.
Foto: Gerd Löser Verschmilz­t regelrecht mit seinem seufzenden Blasebalg: Martin Wagner von der Band Transit Tango auf seiner „Quetsche“.

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