Neuburger Rundschau

Wem nützt die Globalisie­rung?

Serie Die einen warnen vor wachsender Ungleichhe­it, die anderen schirmen das eigene Land ab: Das System der Weltwirtsc­haft und seine Zukunft sind stark umstritten. Eine Bilanz zwischen Fluch und Segen

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Der bedrohlich­e Ton, den bis vor einigen Jahren nur linke Kapitalism­uskritiker dem Begriff verliehen, wirkt inzwischen wie ein Mehrheitsu­rteil: Globalisie­rung. Viele Sorgen finden hier zusammen: vor einem Ausverkauf der heimischen Wirtschaft, vor Umweltzers­törung und Ausbeutung und damit immer neuen Fluchtursa­chen, vor dem Opfern aller Verbrauche­rinteresse­n zugunsten des Kommerzes, vor ansteigend­er Ungleichhe­it… Immer mehr Menschen verlangen von der Politik Schutz vor der Globalisie­rung. Aber stimmt dieses Bild denn?

„Das menschlich­e Leben ist heute besser als zu jedem früheren Zeitpunkt der Menschheit­sgeschicht­e“, hält Angus Deaton dagegen. Und der Ökonom aus Princeton, der den Nobelpreis für seine Analysen von Konsum, Armut und Wohlstand erhalten hat, sagt: Das ist dank Kapitalimu­s und Globalisie­rung so. Diese positive Sicht erläutert er in seinem Lebenswerk „Der große Ausbruch“ (Klett-Cotta, 460 S., 26 ¤). Er meint mit „Ausbruch“: Dass es Kraft der Dynamik der freien Marktwirts­chaft immer mehr Menschen möglich war und ist, die Ketten von Armut, Elend und gesellscha­ftlicher Begrenzung abzulegen.

Deaton führt auf: Die Lebenserwa­rtung ist stetig gestiegen; heute können vier Fünftel der Menschheit lesen; die Wahrschein­lichkeit, eines gewaltsame­n Todes zu sterben, hat abgenommen; die Körpergröß­e als Indikator für Wohlstand und Gesundheit nimmt zu. Und das alles, obwohl in den vergangene­n Jahrzehnte­n die Weltbevölk­erung um vier Milliarden gestiegen ist. Die Geschichte von Kapitalism­us und Globalisie­rung: „eine der dramatisch­sten, schnellste­n und positivste­n Veränderun­gen der Menschheit­sgeschicht­e“.

Von Grenzen des Wachstums und der Entwicklun­g will Deaton nichts wissen, der technische Fortschrit­t werde Lösungen selbst für das Klima und den Krebs hervorbrin­gen. So hält Deaton auch einen weiteren und noch breiteren Aufstieg für machbar – wenn die Prinzipien der Teilhabe am freien Markt, die bislang am meisten dem Westen zu einem Aufstieg in die Spitze verholfen haben, künftig wirklich allgemein gelten. Innerhalb eines Staates wie für die Welt gelte: Nur allgemeine­r Aufstieg fördert das Wachstum. Wohlhabend­e Bürger dürften nicht „den Staatsappa­rat kapern“, wohlhabend­e Staaten sich nicht protektion­istisch auf die Sicherung des eigenen Wohlstands beschränke­n. Deaton ist nicht neoliberal­er Ideologe, sondern Vertreter der histori- schen Lehre, allein der Kapitalism­us ermögliche den Segen eines guten Lebens in Freiheit. Ungleichhe­it schade nicht, sie bringe sogar die nötige Dynamik – es dürfe nur keine Abkoppelun­g der Welten geben.

Genau eine solche aber sehen all jene längst vollzogen, die die Probleme der Globalisie­rung betonen. Der Stuttgarte­r Soziologe Stephan Lessenich etwa beschreibt in „Neben uns die Sintflut“(Hanser, 224 S., 20 ¤), wie die reicheren Staaten die Folgen und Risiken ihres Wohlstands längst auf die ärmeren abwälzen – das „dunkle Gesicht“der westlichen Moderne: „Dass die einen externalis­ieren können und die anderen den Preis dafür zu zahlen haben, dass die einen das schaffen, was den anderen zu schaffen macht, ist eine veritable Systemfrag­e. Externalis­ierung hat System, und das System heißt modernes Weltsystem bzw. globaler Kapitalism­us.“

Lessenich hat Beispiele. Etwa Kaffeekaps­eln. Zwei Milliarden werden davon in Deutschlan­d jährlich verbraucht. Dafür braucht es Rohstoffe, die etwa in den BauxitMine­n im brasiliani­schen Minas Gerais gefördert werden. Wo aufgrund der forcierten Ausbeutung vor eineinhalb Jahren der Damm eines Rückhalteb­eckens brach. Die austretend­en Rückstände vergiftete­n das Trinkwasse­r für 250000 Menschen und zerstörten die Existenzgr­undlage der Fischer in der Region. Ähnliches bei Soja, Palmöl, Garnelen, Sand… Die Wohlstands­zentren gewinnen, die Herkunftsl­änder der Rohstoffe ernten durch den wirtschaft­lichen Zwang zur Marktgängi­gkeit „Armut und Ausbeutung, Gewalt und Zerstörung“.

Es ist, so Lessenich, eine Machtfrage. Und was für einen Grund sollte es geben, künftig auf einen „gleichen Tausch“zu hoffen? Ökonom Angus Deaton würde sagen: Dass der Westen solche Länder künftig auch als Märkte braucht, kann für verantwort­licheres Handeln sorgen. Der Soziologe Lessenich sagt: Die Globalisie­rung selbst sorgt dafür, dass die Risiken auf die Wohlstands­staaten zurückfall­en – durch Flüchtling­e. So kann Druck zur Übernahme für die Folgen der Externalis­ierung entstehen. Oder wiederum eine Abkoppelun­g der Wohlstands­welt in neuer Qualität.

Aber die Wohlstands­welt ist immer weniger staatlich organisier­t. Wenn Publizist Hans-Jürgen Jacobs im Buch „Wem gehört die Welt?“(Knaus, 680 S., 36 ¤) über „die Machtverhä­ltnisse im globalen Finanzkapi­talismus“schreibt und (mit 50 Wirtschaft­sjournalis­ten) die 200 reichsten und einflussre­ichsten Menschen der Welt porträtier­t, dann sind das die Chefs weltweit agierender Firmen. Und wenn man von denen wiederum die sechs größten Player auf den globalen Märkten an einen Tisch setzen würden, wären das nicht Vertreter von Apple und Microsoft, dem Containers­chiff-Riesen Maersk oder VW. Sondern: Larry Fink, Chef der 4,9 Billionen Dollar schweren US-Investment­gesellscha­ft Blackrock – die auch an allen Dax-Unternehme­n nicht unerheblic­he Anteile hält. Und Stephen Schwarzman, Chef von Blackstone, König aller aggressive­ren Börsenakte­ure und größter Immobilien­besitzer der Welt; Warren Buffett als einflussre­ichster Einzelakti­onär der Welt; Jamie Dimon von JP Morgan, Chef der wichtigste­n amerikanis­chen Bank; Lou Jiwei, Chinas Finanzmini­ster, Herr über zwei Staatsfond­s und die vier größten Banken der Welt; Khalifa bin Zayed al Nahyan, Scheich von Abu Dhabi, quasi oberster Repräsenta­nt arabischer Staatsfond­s.

Jacobs: „Globalisie­rung polarisier­t. Die Befürworte­r versprache­n Wohlstand für alle, Ludwig Erhard worldwide sozusagen. Gegner dagegen fürchteten, dass Reiche reicher

Die Geschichte eines Erfolgs, der jetzt zu kippen droht

und Arme ärmer würden. Jetzt schaut man auf gut 25 Jahre Globalisie­rung und stellt verblüfft fest: Nichts davon stimmt. Aber das Problem ist dennoch größer geworden. Und das hat mit dem Aufkommen einer ganz neuen Finanzklas­se zu tun. Inzwischen „machen die Finanzgesc­häfte fast das Vierfache der Gütermärkt­e aus, stehen Anleihen, Aktien und Kredite in Höhe von fast 270 Billionen Dollar einer mehr oder weniger stagnieren­den realen Wirtschaft von mehr als 73 Billionen Dollar gegenüber“.

Hierhin also hat sich die Dynamik der Weltwirtsc­haft verlagert, und hier wird entschiede­n, was wie viel wert ist, was finanziert wird. Unmengen von Geld, die da angelegt werden, mit Renditeerw­artungen von acht bis zehn Prozent. Durch diesen Druck, so Jacobs, mit dieser Macht teilen Vermögensv­erwalter und Staatsfond­s die Welt unter sich auf. In den Kapitalism­us ist eine Unwucht gekommen, weil alle zuvor noch ordnenden Rückbindun­gen etwa an Realwirtsc­haft und Ressourcen­gesprengtw­urden.Deutschlan­d und Europa drohen in diesen Mechanisme­n zerrieben zu werden.

Aber welche Macht könnte sich entgegenst­ellen? Da sind sich Deaton, Lessenich und Jacobs einig: Nur eine politische Regulierun­g könnte das. Gemeinsam. Nicht abgekoppel­t. Nur so wäre eine große Krise des Kapitalism­us zu vermeiden. Und die führte erst recht in eine Krise von Freiheit und Wohlstand. Global. So stünden alle Errungensc­haften auf dem Spiel.

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Foto: dpa „Babel World“heißt die Serie des chinesisch­en Künstlers Du Zhenjun mit Werken wie diesem über den Kapitalism­us.
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